bildete Verwandtschaft mit der Flöte dicke thun. Es versteht sich von selbst, daß ich nicht alle Schwa- ben, und noch weniger bloß die Schwaben, zur schwäbischen Schule rechne, denn auch Kerner etc. ist ein Schwabe.
Vielleicht sagt der Eine oder der Andere: dieß sind ja alte, bekannte, längst festgestellte Dinge. Allerdings. Ja, ich würde erschrecken, wenn es sich anders verhielte, denn wir sollen im Aesthetischen, wie im Sittlichen, nach meiner Ueberzeugung nicht das elfte Gebot erfinden, sondern die zehn vor- handenen erfüllen. Bei alledem bleibt Demjeni- gen, der die alten Gesetztafeln einmal wieder mit dem Schwamm abwäscht und den frechen Kreide- Commentar, mit dem allerlei unlautre Hände den Grundtext übermalt haben, vertilgt, immer noch sein bescheidenes Verdienst. Es hat sich ein gar zu ver- dächtiges Glossarium angesammelt. Die Poesie soll nicht bleiben, was sie war und ist: Spiegel des Jahrhunderts und der Bewegung der Menschheit im Allgemeinen, sie soll Spiegel des Tags, ja der Stunde werden. Am allerschlimmsten aber kommt das Drama weg, und nicht, weil man zu viel,
bildete Verwandtſchaft mit der Flöte dicke thun. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß ich nicht alle Schwa- ben, und noch weniger bloß die Schwaben, zur ſchwäbiſchen Schule rechne, denn auch Kerner ꝛc. iſt ein Schwabe.
Vielleicht ſagt der Eine oder der Andere: dieß ſind ja alte, bekannte, längſt feſtgeſtellte Dinge. Allerdings. Ja, ich würde erſchrecken, wenn es ſich anders verhielte, denn wir ſollen im Aeſthetiſchen, wie im Sittlichen, nach meiner Ueberzeugung nicht das elfte Gebot erfinden, ſondern die zehn vor- handenen erfüllen. Bei alledem bleibt Demjeni- gen, der die alten Geſetztafeln einmal wieder mit dem Schwamm abwäſcht und den frechen Kreide- Commentar, mit dem allerlei unlautre Hände den Grundtext übermalt haben, vertilgt, immer noch ſein beſcheidenes Verdienſt. Es hat ſich ein gar zu ver- dächtiges Gloſſarium angeſammelt. Die Poeſie ſoll nicht bleiben, was ſie war und iſt: Spiegel des Jahrhunderts und der Bewegung der Menſchheit im Allgemeinen, ſie ſoll Spiegel des Tags, ja der Stunde werden. Am allerſchlimmſten aber kommt das Drama weg, und nicht, weil man zu viel,
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[XXII/0042]
bildete Verwandtſchaft mit der Flöte dicke thun.
Es verſteht ſich von ſelbſt, daß ich nicht alle Schwa-
ben, und noch weniger bloß die Schwaben, zur
ſchwäbiſchen Schule rechne, denn auch Kerner ꝛc. iſt
ein Schwabe.
Vielleicht ſagt der Eine oder der Andere: dieß
ſind ja alte, bekannte, längſt feſtgeſtellte Dinge.
Allerdings. Ja, ich würde erſchrecken, wenn es ſich
anders verhielte, denn wir ſollen im Aeſthetiſchen,
wie im Sittlichen, nach meiner Ueberzeugung nicht
das elfte Gebot erfinden, ſondern die zehn vor-
handenen erfüllen. Bei alledem bleibt Demjeni-
gen, der die alten Geſetztafeln einmal wieder mit
dem Schwamm abwäſcht und den frechen Kreide-
Commentar, mit dem allerlei unlautre Hände den
Grundtext übermalt haben, vertilgt, immer noch ſein
beſcheidenes Verdienſt. Es hat ſich ein gar zu ver-
dächtiges Gloſſarium angeſammelt. Die Poeſie ſoll
nicht bleiben, was ſie war und iſt: Spiegel des
Jahrhunderts und der Bewegung der Menſchheit im
Allgemeinen, ſie ſoll Spiegel des Tags, ja der
Stunde werden. Am allerſchlimmſten aber kommt
das Drama weg, und nicht, weil man zu viel,
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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. XXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/42>, abgerufen am 16.02.2025.
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