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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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gehen, ich hätte nicht hinein können. Nun, das hätte
Nichts gemacht! Ich könnte jetzt zwanzig Mal um
die Stadt laufen und mir einbilden, es gäbe kein
größeres Vergnügen auf der Welt, als die Beine zu
brauchen. Wir wollen Licht anzünden!
(er thuts)
Das Feuerzeug ist noch auf dem alten Platz, ich
wette, denn wir haben hier im Hause zwei Mal zehn
Gebote. Der Hut gehört auf den dritten Nagel,
nicht auf den vierten! Um halb zehn Uhr muß
man müde seyn! Vor Martini darf man nicht
frieren, nach Martini nicht schwitzen! Das steht in
einer Reihe mit: Du sollst Gott fürchten und lieben!
Ich bin durstig!
(ruft) Mutter! Pfui! Als ob ich's
vergessen hätte, daß sie da liegt, wo auch des Bier-
wirths Knecht sein Nußknackermaul nicht mehr mit
einem Ja Herr! aufzureißen braucht, wenn er gerufen
wird! Ich habe nicht geweint, als ich die Todten-
glocke in meinem finstern Thurmloch hörte, aber --
Rothrock, Du hast mich auf der Kegelbahn nicht den
letzten Wurf thun lassen, obgleich ich die Boßel schon
in der Hand hielt, ich lasse Dir nicht zum letzten
Athemzug Zeit, wenn ich Dich allein treffe, und das
kann heut Abend noch geschehen, ich weiß, wo Du
gehen, ich hätte nicht hinein können. Nun, das hätte
Nichts gemacht! Ich könnte jetzt zwanzig Mal um
die Stadt laufen und mir einbilden, es gäbe kein
größeres Vergnügen auf der Welt, als die Beine zu
brauchen. Wir wollen Licht anzünden!
(er thuts)
Das Feuerzeug iſt noch auf dem alten Platz, ich
wette, denn wir haben hier im Hauſe zwei Mal zehn
Gebote. Der Hut gehört auf den dritten Nagel,
nicht auf den vierten! Um halb zehn Uhr muß
man müde ſeyn! Vor Martini darf man nicht
frieren, nach Martini nicht ſchwitzen! Das ſteht in
einer Reihe mit: Du ſollſt Gott fürchten und lieben!
Ich bin durſtig!
(ruft) Mutter! Pfui! Als ob ich’s
vergeſſen hätte, daß ſie da liegt, wo auch des Bier-
wirths Knecht ſein Nußknackermaul nicht mehr mit
einem Ja Herr! aufzureißen braucht, wenn er gerufen
wird! Ich habe nicht geweint, als ich die Todten-
glocke in meinem finſtern Thurmloch hörte, aber —
Rothrock, Du haſt mich auf der Kegelbahn nicht den
letzten Wurf thun laſſen, obgleich ich die Boßel ſchon
in der Hand hielt, ich laſſe Dir nicht zum letzten
Athemzug Zeit, wenn ich Dich allein treffe, und das
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[108/0176] gehen, ich hätte nicht hinein können. Nun, das hätte Nichts gemacht! Ich könnte jetzt zwanzig Mal um die Stadt laufen und mir einbilden, es gäbe kein größeres Vergnügen auf der Welt, als die Beine zu brauchen. Wir wollen Licht anzünden! (er thuts) Das Feuerzeug iſt noch auf dem alten Platz, ich wette, denn wir haben hier im Hauſe zwei Mal zehn Gebote. Der Hut gehört auf den dritten Nagel, nicht auf den vierten! Um halb zehn Uhr muß man müde ſeyn! Vor Martini darf man nicht frieren, nach Martini nicht ſchwitzen! Das ſteht in einer Reihe mit: Du ſollſt Gott fürchten und lieben! Ich bin durſtig! (ruft) Mutter! Pfui! Als ob ich’s vergeſſen hätte, daß ſie da liegt, wo auch des Bier- wirths Knecht ſein Nußknackermaul nicht mehr mit einem Ja Herr! aufzureißen braucht, wenn er gerufen wird! Ich habe nicht geweint, als ich die Todten- glocke in meinem finſtern Thurmloch hörte, aber — Rothrock, Du haſt mich auf der Kegelbahn nicht den letzten Wurf thun laſſen, obgleich ich die Boßel ſchon in der Hand hielt, ich laſſe Dir nicht zum letzten Athemzug Zeit, wenn ich Dich allein treffe, und das kann heut Abend noch geſchehen, ich weiß, wo Du

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/176>, abgerufen am 27.11.2024.