Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.
erlitten, daß ich Unrecht thun muß, um nicht zu er- liegen, wenn's mich so recht anfaßt. Sieh, ich gehe vorhin über die Straße, da kommt der Pocken-Fritz daher, der Gaudieb, den ich vor Jahren in's Loch stecken ließ, weil er zum dritten Mal lange Finger bei mir gemacht hatte. Früher wagte der Hallunke nicht, mich anzusehen, jetzt trat er frech auf mich zu und reichte mir die Hand. Ich wollte ihm einen hinter die Ohren geben, aber ich besann mich und spuckte nicht einmal aus, wir sind ja Vettern seit 8 Tagen, und es ist billig, daß Verwandte sich grüßen. Der Pfarrer, der mitleidige Mann, der mich gestern be- suchte, meinte zwar, ein Mensch habe Niemanden zu vertreten, als sich selbst, und es sey ein unchristlicher Hochmuth von mir, daß ich auch noch für meinen Sohn aufkommen wolle; sonst müßte Adam es sich so gut zu Gemüthe ziehen, wie ich. Herr, ich glaub's gern, daß es den Frieden des Erzvaters im Paradiese nicht mehr stört, wenn Einer seiner Ur-Ur-Enkel zu morden oder zu rauben anfängt, aber raufte er sich nicht die Haare über Kain? Nein, nein, es ist zu viel! Ich könnte mich zuweilen nach meinem Schatten
erlitten, daß ich Unrecht thun muß, um nicht zu er- liegen, wenn’s mich ſo recht anfaßt. Sieh, ich gehe vorhin über die Straße, da kommt der Pocken-Fritz daher, der Gaudieb, den ich vor Jahren in’s Loch ſtecken ließ, weil er zum dritten Mal lange Finger bei mir gemacht hatte. Früher wagte der Hallunke nicht, mich anzuſehen, jetzt trat er frech auf mich zu und reichte mir die Hand. Ich wollte ihm einen hinter die Ohren geben, aber ich beſann mich und ſpuckte nicht einmal aus, wir ſind ja Vettern ſeit 8 Tagen, und es iſt billig, daß Verwandte ſich grüßen. Der Pfarrer, der mitleidige Mann, der mich geſtern be- ſuchte, meinte zwar, ein Menſch habe Niemanden zu vertreten, als ſich ſelbſt, und es ſey ein unchriſtlicher Hochmuth von mir, daß ich auch noch für meinen Sohn aufkommen wolle; ſonſt müßte Adam es ſich ſo gut zu Gemüthe ziehen, wie ich. Herr, ich glaub’s gern, daß es den Frieden des Erzvaters im Paradieſe nicht mehr ſtört, wenn Einer ſeiner Ur-Ur-Enkel zu morden oder zu rauben anfängt, aber raufte er ſich nicht die Haare über Kain? Nein, nein, es iſt zu viel! Ich könnte mich zuweilen nach meinem Schatten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#ANTON"> <p><pb facs="#f0132" n="64"/> erlitten, daß ich Unrecht thun muß, um nicht zu er-<lb/> liegen, wenn’s mich ſo recht anfaßt. Sieh, ich gehe<lb/> vorhin über die Straße, da kommt der Pocken-Fritz<lb/> daher, der Gaudieb, den ich vor Jahren in’s Loch<lb/> ſtecken ließ, weil er zum dritten Mal lange Finger bei<lb/> mir gemacht hatte. Früher wagte der Hallunke nicht,<lb/> mich anzuſehen, jetzt trat er frech auf mich zu und<lb/> reichte mir die Hand. Ich wollte ihm einen hinter<lb/> die Ohren geben, aber ich beſann mich und ſpuckte<lb/> nicht einmal aus, wir ſind ja Vettern ſeit 8 Tagen,<lb/> und es iſt billig, daß Verwandte ſich grüßen. Der<lb/> Pfarrer, der mitleidige Mann, der mich geſtern be-<lb/> ſuchte, meinte zwar, ein Menſch habe Niemanden zu<lb/> vertreten, als ſich ſelbſt, und es <choice><sic>ſcy</sic><corr>ſey</corr></choice> ein unchriſtlicher<lb/> Hochmuth von mir, daß ich auch noch für meinen<lb/> Sohn aufkommen wolle; ſonſt müßte Adam es ſich<lb/> ſo gut zu Gemüthe ziehen, wie ich. Herr, ich glaub’s<lb/> gern, daß es den Frieden des Erzvaters im Paradieſe<lb/> nicht mehr ſtört, wenn Einer ſeiner Ur-Ur-Enkel zu<lb/> morden oder zu rauben anfängt, aber raufte er ſich<lb/> nicht die Haare über Kain? Nein, nein, es iſt zu<lb/> viel! Ich könnte mich zuweilen nach meinem Schatten<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0132]
erlitten, daß ich Unrecht thun muß, um nicht zu er-
liegen, wenn’s mich ſo recht anfaßt. Sieh, ich gehe
vorhin über die Straße, da kommt der Pocken-Fritz
daher, der Gaudieb, den ich vor Jahren in’s Loch
ſtecken ließ, weil er zum dritten Mal lange Finger bei
mir gemacht hatte. Früher wagte der Hallunke nicht,
mich anzuſehen, jetzt trat er frech auf mich zu und
reichte mir die Hand. Ich wollte ihm einen hinter
die Ohren geben, aber ich beſann mich und ſpuckte
nicht einmal aus, wir ſind ja Vettern ſeit 8 Tagen,
und es iſt billig, daß Verwandte ſich grüßen. Der
Pfarrer, der mitleidige Mann, der mich geſtern be-
ſuchte, meinte zwar, ein Menſch habe Niemanden zu
vertreten, als ſich ſelbſt, und es ſey ein unchriſtlicher
Hochmuth von mir, daß ich auch noch für meinen
Sohn aufkommen wolle; ſonſt müßte Adam es ſich
ſo gut zu Gemüthe ziehen, wie ich. Herr, ich glaub’s
gern, daß es den Frieden des Erzvaters im Paradieſe
nicht mehr ſtört, wenn Einer ſeiner Ur-Ur-Enkel zu
morden oder zu rauben anfängt, aber raufte er ſich
nicht die Haare über Kain? Nein, nein, es iſt zu
viel! Ich könnte mich zuweilen nach meinem Schatten
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Zitationshilfe: | Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/132>, abgerufen am 27.07.2024. |