Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Leonhard.
(für sich) Vor dem Teufel selbst, glaub' ich!
Meister Anton.
Mein Vater arbeitete sich, weil er sich Tag und
Nacht keine Ruhe gönnte, schon in seinem dreizigsten
Jahre zu Tode, meine arme Mutter ernährte mich
mit Spinnen, so gut es ging, ich wuchs auf, ohne
etwas zu lernen, ich hätte mir, als ich größer wurde,
und doch noch immer Nichts verdienen konnte, wenig-
stens gern das Essen abgewöhnt, aber wenn ich mich auch
des Mittags zuweilen krank stellte und den Teller zurück-
schob, was wollte es bedeuten? am Abend zwang mich der
Magen, mich wieder für gesund zu erklären. Meine
größte Pein war, daß ich so ungeschickt blieb, ich
konnte darüber mit mir selbst hadern, als ob's meine
eigene Schuld wäre, als ob ich mich in Mutterleibe
nur mit Freßzähnen versehen, und alle nützliche Eigen-
schaften und Fertigkeiten, wie absichtlich, darin zurück-
gelassen hätte, ich konnte roth werden, wenn mich die
Sonne beschien. Gleich nach meiner Confirmation
trat der Mann, den sie gestern begraben haben, der
Meister Gebhard, zu uns in die Stube. Er runzelte
Leonhard.
(für ſich) Vor dem Teufel ſelbſt, glaub’ ich!
Meiſter Anton.
Mein Vater arbeitete ſich, weil er ſich Tag und
Nacht keine Ruhe gönnte, ſchon in ſeinem dreizigſten
Jahre zu Tode, meine arme Mutter ernährte mich
mit Spinnen, ſo gut es ging, ich wuchs auf, ohne
etwas zu lernen, ich hätte mir, als ich größer wurde,
und doch noch immer Nichts verdienen konnte, wenig-
ſtens gern das Eſſen abgewöhnt, aber wenn ich mich auch
des Mittags zuweilen krank ſtellte und den Teller zurück-
ſchob, was wollte es bedeuten? am Abend zwang mich der
Magen, mich wieder für geſund zu erklären. Meine
größte Pein war, daß ich ſo ungeſchickt blieb, ich
konnte darüber mit mir ſelbſt hadern, als ob’s meine
eigene Schuld wäre, als ob ich mich in Mutterleibe
nur mit Freßzähnen verſehen, und alle nützliche Eigen-
ſchaften und Fertigkeiten, wie abſichtlich, darin zurück-
gelaſſen hätte, ich konnte roth werden, wenn mich die
Sonne beſchien. Gleich nach meiner Confirmation
trat der Mann, den ſie geſtern begraben haben, der
Meiſter Gebhard, zu uns in die Stube. Er runzelte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0107" n="39"/>
          <sp who="#LEO">
            <speaker><hi rendition="#g">Leonhard</hi>.</speaker><lb/>
            <stage>(für &#x017F;ich)</stage>
            <p>Vor dem Teufel &#x017F;elb&#x017F;t, glaub&#x2019; ich!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ANTON">
            <speaker><hi rendition="#g">Mei&#x017F;ter Anton</hi>.</speaker><lb/>
            <p>Mein Vater arbeitete &#x017F;ich, weil er &#x017F;ich Tag und<lb/>
Nacht keine Ruhe gönnte, &#x017F;chon in &#x017F;einem dreizig&#x017F;ten<lb/>
Jahre zu Tode, meine arme Mutter ernährte mich<lb/>
mit Spinnen, &#x017F;o gut es ging, ich wuchs auf, ohne<lb/>
etwas zu lernen, ich hätte mir, als ich größer wurde,<lb/>
und doch noch immer Nichts verdienen konnte, wenig-<lb/>
&#x017F;tens gern das E&#x017F;&#x017F;en abgewöhnt, aber wenn ich mich auch<lb/>
des Mittags zuweilen krank &#x017F;tellte und den Teller zurück-<lb/>
&#x017F;chob, was wollte es bedeuten? am Abend zwang mich der<lb/>
Magen, mich wieder für ge&#x017F;und zu erklären. Meine<lb/>
größte Pein war, daß ich &#x017F;o unge&#x017F;chickt blieb, ich<lb/>
konnte darüber mit mir &#x017F;elb&#x017F;t hadern, als ob&#x2019;s meine<lb/>
eigene Schuld wäre, als ob ich mich in Mutterleibe<lb/>
nur mit Freßzähnen ver&#x017F;ehen, und alle nützliche Eigen-<lb/>
&#x017F;chaften und Fertigkeiten, wie ab&#x017F;ichtlich, darin zurück-<lb/>
gela&#x017F;&#x017F;en hätte, ich konnte roth werden, wenn mich die<lb/>
Sonne be&#x017F;chien. Gleich nach meiner Confirmation<lb/>
trat der Mann, den &#x017F;ie ge&#x017F;tern begraben haben, der<lb/>
Mei&#x017F;ter Gebhard, zu uns in die Stube. Er runzelte<lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0107] Leonhard. (für ſich) Vor dem Teufel ſelbſt, glaub’ ich! Meiſter Anton. Mein Vater arbeitete ſich, weil er ſich Tag und Nacht keine Ruhe gönnte, ſchon in ſeinem dreizigſten Jahre zu Tode, meine arme Mutter ernährte mich mit Spinnen, ſo gut es ging, ich wuchs auf, ohne etwas zu lernen, ich hätte mir, als ich größer wurde, und doch noch immer Nichts verdienen konnte, wenig- ſtens gern das Eſſen abgewöhnt, aber wenn ich mich auch des Mittags zuweilen krank ſtellte und den Teller zurück- ſchob, was wollte es bedeuten? am Abend zwang mich der Magen, mich wieder für geſund zu erklären. Meine größte Pein war, daß ich ſo ungeſchickt blieb, ich konnte darüber mit mir ſelbſt hadern, als ob’s meine eigene Schuld wäre, als ob ich mich in Mutterleibe nur mit Freßzähnen verſehen, und alle nützliche Eigen- ſchaften und Fertigkeiten, wie abſichtlich, darin zurück- gelaſſen hätte, ich konnte roth werden, wenn mich die Sonne beſchien. Gleich nach meiner Confirmation trat der Mann, den ſie geſtern begraben haben, der Meiſter Gebhard, zu uns in die Stube. Er runzelte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/107
Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/107>, abgerufen am 25.11.2024.