Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892. Mutter Baumert (außer sich, weinend). Nu da seht irsch, nu da seht irsch! Da bleibt's 'n noch ni amal. Da wird a das ganze bißel scheenes Essen wieder von sich geben. Der alte Baumert (kommt wieder, weinend vor Jngrimm). Nee, nee! mit mir is bald gar alle. Mich habn se bald a so weit! Hat man sich amal was gutes dergattert, da kann ma's ni amal mehr bei sich behaltn. (Er sitzt weinend nieder auf die Ofenbank.) Jäger (in plötzlicher Aufwallung, fanatisch). Und da derbei gibt's Leute, Gerichtsschulzen, garnich weit von hier, Schmärwampen, die de's ganze Jahr nischt weiter zu thun haben, wie uns 'n Herrgott im Himmel a Tag abstehln. Die wolln behaupten, de Weber kennten gut und gerne auskommen, se wern bloß zu faul. Ansorge. Das sein gar keene Mensche. Das sein Unmensche, sein das. Jäger. Nu laß ock gut sein, a hat sei Fett. Jch und d'r rothe Bäcker mir habn's 'n eingetränkt und bevor m'r abzogen zu guter letzte, sangen m'r noch's Bluttgerichte. Ansorge. O Jees's, Jees's, is das das Lied? Jäger. Ja, ja, hie hab ich's. Ansorge. 'S heeßt doch glob ich's Dreißicher Lied oder wie. Jäger. Jch wer'sch amal vorlesen. Mutter Baumert. Wer hat denn das Lied derfundn? Jäger. Das weeß kee Mensch nich. Nu hört amal druf. (Er ließt, schülerhaft buchstabirend, schlecht betonend aber mit unverkennbar starkem Gefühl. Alles klingt heraus: Verzweiflung, Schmerz, Wuth, Haß, Rachedurst.) Hier im Ort ist ein Gericht Noch schlimmer als die Vehmen, Wo man nicht erst ein Urtheil spricht, Das Leben schnell zu nehmen. Mutter Baumert (außer ſich, weinend). Nu da ſeht irſch, nu da ſeht irſch! Da bleibt’s ’n noch ni amal. Da wird a das ganze bißel ſcheenes Eſſen wieder von ſich geben. Der alte Baumert (kommt wieder, weinend vor Jngrimm). Nee, nee! mit mir is bald gar alle. Mich habn ſe bald a ſo weit! Hat man ſich amal was gutes dergattert, da kann ma’s ni amal mehr bei ſich behaltn. (Er ſitzt weinend nieder auf die Ofenbank.) Jäger (in plötzlicher Aufwallung, fanatiſch). Und da derbei gibt’s Leute, Gerichtsſchulzen, garnich weit von hier, Schmärwampen, die de’s ganze Jahr niſcht weiter zu thun haben, wie uns ’n Herrgott im Himmel a Tag abſtehln. Die wolln behaupten, de Weber kennten gut und gerne auskommen, ſe wern bloß zu faul. Anſorge. Das ſein gar keene Menſche. Das ſein Unmenſche, ſein das. Jäger. Nu laß ock gut ſein, a hat ſei Fett. Jch und d’r rothe Bäcker mir habn’s ’n eingetränkt und bevor m’r abzogen zu guter letzte, ſangen m’r noch’s Bluttgerichte. Anſorge. O Jees’s, Jees’s, is das das Lied? Jäger. Ja, ja, hie hab ich’s. Anſorge. ’S heeßt doch glob ich’s Dreißicher Lied oder wie. Jäger. Jch wer’ſch amal vorleſen. Mutter Baumert. Wer hat denn das Lied derfundn? Jäger. Das weeß kee Menſch nich. Nu hört amal druf. (Er ließt, ſchülerhaft buchſtabirend, ſchlecht betonend aber mit unverkennbar ſtarkem Gefühl. Alles klingt heraus: Verzweiflung, Schmerz, Wuth, Haß, Rachedurſt.) Hier im Ort iſt ein Gericht Noch ſchlimmer als die Vehmen, Wo man nicht erſt ein Urtheil ſpricht, Das Leben ſchnell zu nehmen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0053" n="40"/> <sp who="#MUTBAUM"> <speaker> <hi rendition="#g">Mutter Baumert</hi> </speaker> <stage>(außer ſich, weinend).</stage> <p>Nu da ſeht<lb/> irſch, nu da ſeht irſch! Da bleibt’s ’n noch ni amal.<lb/> Da wird a das ganze bißel ſcheenes Eſſen wieder von<lb/> ſich geben.</p> </sp><lb/> <sp who="#BAUM"> <speaker> <hi rendition="#g">Der alte Baumert</hi> </speaker> <stage>(kommt wieder, weinend vor Jngrimm).</stage><lb/> <p>Nee, nee! mit mir is bald gar alle. Mich habn ſe<lb/> bald a ſo weit! 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Der alte Baumert (kommt wieder, weinend vor Jngrimm).
Nee, nee! mit mir is bald gar alle. Mich habn ſe
bald a ſo weit! Hat man ſich amal was gutes
dergattert, da kann ma’s ni amal mehr bei ſich behaltn.
(Er ſitzt weinend nieder auf die Ofenbank.)
Jäger (in plötzlicher Aufwallung, fanatiſch). Und da derbei
gibt’s Leute, Gerichtsſchulzen, garnich weit von hier,
Schmärwampen, die de’s ganze Jahr niſcht weiter zu
thun haben, wie uns ’n Herrgott im Himmel a Tag
abſtehln. Die wolln behaupten, de Weber kennten gut
und gerne auskommen, ſe wern bloß zu faul.
Anſorge. Das ſein gar keene Menſche. Das
ſein Unmenſche, ſein das.
Jäger. Nu laß ock gut ſein, a hat ſei Fett.
Jch und d’r rothe Bäcker mir habn’s ’n eingetränkt und
bevor m’r abzogen zu guter letzte, ſangen m’r noch’s
Bluttgerichte.
Anſorge. O Jees’s, Jees’s, is das das Lied?
Jäger. Ja, ja, hie hab ich’s.
Anſorge. ’S heeßt doch glob ich’s Dreißicher
Lied oder wie.
Jäger. Jch wer’ſch amal vorleſen.
Mutter Baumert. Wer hat denn das Lied
derfundn?
Jäger. Das weeß kee Menſch nich. Nu hört
amal druf. (Er ließt, ſchülerhaft buchſtabirend, ſchlecht betonend aber
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Wuth, Haß, Rachedurſt.)
Hier im Ort iſt ein Gericht
Noch ſchlimmer als die Vehmen,
Wo man nicht erſt ein Urtheil ſpricht,
Das Leben ſchnell zu nehmen.
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Zitationshilfe: | Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_weber_1892/53>, abgerufen am 30.07.2024. |