Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892.
noch kee Ende nehmen. Warum sterb ich ock gar nich, Mann? (Pause.) Der alte Hilse (läßt die Arbeit liegen, richtet sich auf, mit Feierlichkeit). Gottlieb! -- Dei Weib hat uns solche Sachen gesagt. Gottlieb, sieh amal her! (Er entblößt seine Brust.) Dahier saß Ding, a so groß wie a Finger- hutt. Und wo ich men'n Arm hab gelassen, das weiß d'r Keenich. De Mäuse haben mer'n nich abgefressen. (Er geht hin und her.) Dei Weib -- an die dachte noch gar kee Mensch, da hab ich schonn mei Blutt quartweise fersch Vaterland verspritzt. Und deshalb mag se plärrn, so viel wie se Lust hat. -- Das soll mir recht sein. Das is mir Schißkojenne. -- Ferchten? Jch und mich ferchten? Vor was denn ferchten, sag m'r a eenzigtes mal. Vor da Par Soldaten, die de vielleicht und kommen hinter a Rebellern her? O Jekerle! wärsch doch! Das wär halb schlimm. Nee, nee, wenn ich schonn a bissel morsch bin uf a Rick grat. -- Wenn's druf ankommt, hab ich Knochen wie Elfenbeen. Da nehm ich's schonn noch uf mit a par lumpigten Bajonettern. -- Na und wenn's gar schlimm käm!? O viel zu gerne, viel zu gerne thät ich Feirabend machen. Zum Sterben ließ ich mich gewiß ni lange bitten. Lieber heut wie morgen. Nee, nee. Und's wär o gar! denn was verläßt eens denn? Den alten Marterkasten wird ma doch ni etwa beweinen? Das Häuffel Himmelsangst und Schinderei da, das ma Leben nennt, das ließ man gerne genug im Stiche -- Aber dann, Gottlieb! dann kommt was -- und wenn ma sich das auch noch vescherzt -- dernachert is's erscht ganz alle. Gottlieb. Wer weeß, was kommt, wenn eens tot is? Gesehn hats keener. Der alte Hilse. Jch sag dirsch, Gottlieb! zweifle nich an dem Eenzigten, was mir armen Menschen haben.
noch kee Ende nehmen. Warum ſterb ich ock gar nich, Mann? (Pauſe.) Der alte Hilſe (läßt die Arbeit liegen, richtet ſich auf, mit Feierlichkeit). Gottlieb! — Dei Weib hat uns ſolche Sachen geſagt. Gottlieb, ſieh amal her! (Er entblößt ſeine Bruſt.) Dahier ſaß Ding, a ſo groß wie a Finger- hutt. Und wo ich men’n Arm hab gelaſſen, das weiß d’r Keenich. De Mäuſe haben mer’n nich abgefreſſen. (Er geht hin und her.) Dei Weib — an die dachte noch gar kee Menſch, da hab ich ſchonn mei Blutt quartweiſe ferſch Vaterland verſpritzt. Und deshalb mag ſe plärrn, ſo viel wie ſe Luſt hat. — Das ſoll mir recht ſein. Das is mir Schißkojenne. — Ferchten? Jch und mich ferchten? Vor was denn ferchten, ſag m’r a eenzigtes mal. Vor da Par Soldaten, die de vielleicht und kommen hinter a Rebellern her? O Jekerle! wärſch doch! Das wär halb ſchlimm. Nee, nee, wenn ich ſchonn a biſſel morſch bin uf a Rick grat. — Wenn’s druf ankommt, hab ich Knochen wie Elfenbeen. Da nehm ich’s ſchonn noch uf mit a par lumpigten Bajonettern. — Na und wenn’s gar ſchlimm käm!? O viel zu gerne, viel zu gerne thät ich Feirabend machen. Zum Sterben ließ ich mich gewiß ni lange bitten. Lieber heut wie morgen. Nee, nee. Und’s wär o gar! denn was verläßt eens denn? Den alten Marterkaſten wird ma doch ni etwa beweinen? Das Häuffel Himmelsangſt und Schinderei da, das ma Leben nennt, das ließ man gerne genug im Stiche — Aber dann, Gottlieb! dann kommt was — und wenn ma ſich das auch noch veſcherzt — dernachert is’s erſcht ganz alle. Gottlieb. Wer weeß, was kommt, wenn eens tot is? Geſehn hats keener. Der alte Hilſe. Jch ſag dirſch, Gottlieb! zweifle nich an dem Eenzigten, was mir armen Menſchen haben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#MUTHISE"> <p><pb facs="#f0119" n="106"/> noch kee Ende nehmen. Warum ſterb ich ock gar<lb/> nich, Mann?</p><lb/> <stage>(Pauſe.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#HISE"> <speaker> <hi rendition="#g">Der alte Hilſe</hi> </speaker> <stage>(läßt die Arbeit liegen, richtet ſich auf, mit<lb/> Feierlichkeit).</stage> <p>Gottlieb! — Dei Weib hat uns ſolche<lb/> Sachen geſagt. Gottlieb, ſieh amal her!</p> <stage>(Er entblößt<lb/> ſeine Bruſt.)</stage> <p>Dahier ſaß Ding, a ſo groß wie a Finger-<lb/> hutt. Und wo ich men’n Arm hab gelaſſen, das weiß<lb/> d’r Keenich. De Mäuſe haben mer’n nich abgefreſſen.</p><lb/> <stage>(Er geht hin und her.)</stage> <p>Dei Weib — an die dachte noch gar<lb/> kee Menſch, da hab ich ſchonn mei Blutt quartweiſe<lb/> ferſch Vaterland verſpritzt. Und deshalb mag ſe<lb/> plärrn, ſo viel wie ſe Luſt hat. — Das ſoll mir<lb/> recht ſein. Das is mir Schißkojenne. — Ferchten?<lb/> Jch und mich ferchten? Vor was denn ferchten, ſag<lb/> m’r a eenzigtes mal. Vor da Par Soldaten, die de<lb/> vielleicht und kommen hinter a Rebellern her? O<lb/> Jekerle! wärſch doch! Das wär halb ſchlimm. Nee,<lb/> nee, wenn ich ſchonn a biſſel morſch bin uf a Rick<lb/> grat. — Wenn’s druf ankommt, hab ich Knochen wie<lb/> Elfenbeen. Da nehm ich’s ſchonn noch uf mit a<lb/> par lumpigten Bajonettern. — Na und wenn’s gar<lb/> ſchlimm käm!? O viel zu gerne, viel zu gerne thät<lb/> ich Feirabend machen. Zum Sterben ließ ich mich<lb/> gewiß ni lange bitten. Lieber heut wie morgen. Nee,<lb/> nee. Und’s wär o gar! denn was verläßt eens denn?<lb/> Den alten Marterkaſten wird ma doch ni etwa beweinen?<lb/> Das Häuffel Himmelsangſt und Schinderei da, das<lb/> ma Leben nennt, das ließ man gerne genug im Stiche<lb/> — Aber dann, Gottlieb! dann kommt was — und<lb/> wenn ma ſich das auch noch veſcherzt — dernachert is’s<lb/> erſcht ganz alle.</p> </sp><lb/> <sp who="#GOT"> <speaker><hi rendition="#g">Gottlieb</hi>.</speaker> <p>Wer weeß, was kommt, wenn eens tot<lb/> is? Geſehn hats keener.</p> </sp><lb/> <sp who="#HISE"> <speaker><hi rendition="#g">Der alte Hilſe</hi>.</speaker> <p>Jch ſag dirſch, Gottlieb! zweifle<lb/> nich an dem Eenzigten, was mir armen Menſchen haben.<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [106/0119]
noch kee Ende nehmen. Warum ſterb ich ock gar
nich, Mann?
(Pauſe.)
Der alte Hilſe (läßt die Arbeit liegen, richtet ſich auf, mit
Feierlichkeit). Gottlieb! — Dei Weib hat uns ſolche
Sachen geſagt. Gottlieb, ſieh amal her! (Er entblößt
ſeine Bruſt.) Dahier ſaß Ding, a ſo groß wie a Finger-
hutt. Und wo ich men’n Arm hab gelaſſen, das weiß
d’r Keenich. De Mäuſe haben mer’n nich abgefreſſen.
(Er geht hin und her.) Dei Weib — an die dachte noch gar
kee Menſch, da hab ich ſchonn mei Blutt quartweiſe
ferſch Vaterland verſpritzt. Und deshalb mag ſe
plärrn, ſo viel wie ſe Luſt hat. — Das ſoll mir
recht ſein. Das is mir Schißkojenne. — Ferchten?
Jch und mich ferchten? Vor was denn ferchten, ſag
m’r a eenzigtes mal. Vor da Par Soldaten, die de
vielleicht und kommen hinter a Rebellern her? O
Jekerle! wärſch doch! Das wär halb ſchlimm. Nee,
nee, wenn ich ſchonn a biſſel morſch bin uf a Rick
grat. — Wenn’s druf ankommt, hab ich Knochen wie
Elfenbeen. Da nehm ich’s ſchonn noch uf mit a
par lumpigten Bajonettern. — Na und wenn’s gar
ſchlimm käm!? O viel zu gerne, viel zu gerne thät
ich Feirabend machen. Zum Sterben ließ ich mich
gewiß ni lange bitten. Lieber heut wie morgen. Nee,
nee. Und’s wär o gar! denn was verläßt eens denn?
Den alten Marterkaſten wird ma doch ni etwa beweinen?
Das Häuffel Himmelsangſt und Schinderei da, das
ma Leben nennt, das ließ man gerne genug im Stiche
— Aber dann, Gottlieb! dann kommt was — und
wenn ma ſich das auch noch veſcherzt — dernachert is’s
erſcht ganz alle.
Gottlieb. Wer weeß, was kommt, wenn eens tot
is? Geſehn hats keener.
Der alte Hilſe. Jch ſag dirſch, Gottlieb! zweifle
nich an dem Eenzigten, was mir armen Menſchen haben.
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Zitationshilfe: | Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_weber_1892/119>, abgerufen am 30.07.2024. |