Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite
Der alte Hilse (Er nimmt Fäden der Werfte vorsichtig auf
und bringt sie in die Nähe des Kammes, durch dessen eines Auge der Sohn von
der anderen Seite mit einem Drahthäkchen greift, um die Fäden hindurchzuziehen.)

Nu hast' aber Zeit, das de unfhörscht, Hornig!
Hornig. Jch will ni mit heilen Knochen von d'r
Stelle gehn. Nee, nee, das weeß ja bald jedes Kind.
Der alte Hilse. Nu sag amal, bin ich nu
verwirrt, oder bist Du verwirrt.
Hornig. Nu das heeßt. Was ich Dir erzählt,
hab, das is a so wahr, wie Amen in d'r Kirche; ich
wollte ja nischt sagen, wenn ich und ich hätte nich d'rbei
gestanden, aber a so hab ichs doch gesehn. Mit eegnen
Augen, wie ich Dich hier sehn thu, Gottlieb. Gedemolirt
haben se'n Fabrikanten sei Haus, unten vom Keller uf
bis oben ruff unter de Dachreiter. Aus a Dachfenstern
haben se's Porzlan geschmissen -- immer ibersch Dach
nunter. Wie viel hundert Schock Parchend liegen blos
in d'r Bache?! 'S Wasser kann nimehr fort, kannst's
glooben, 's kam immer iber a Rand riber gewellt, 's
sah orntlich schwefelblau aus von dem vielen Jndigo,
den se haben aus a Fenstern geschüt't. Die himmel-
blauen Staubwolken, die kamen blos immer a so gepul-
wert. Nee, nee, dort haben se schonn fürchterlich geäschert.
Ni ock etwa im Wohnhause. ... Jn d'r Färberei ...
uf a Speichern ...! 'S Treppengeländer zerschlagen, de
Dielen ufgerissen -- Spiegel zertrimmert -- Sofa,
Sessel, alles zerrissen und zerschlissen, zerschnitten und zer-
schmissen -- zertreten und zerhackt -- nee verpucht! --
kannst's glooben, schlimmer wie im Kriege.
Der alte Hilse. Und das sollten hiesige Weber
gewest sein!?
(Er schüttelt langsam und ungläubig den Kopf. An der
Thür haben sich neugierige Hausbewohner gesammelt).
Hornig. Nu, was denn sonste? Jch kennte ja
alle mit Namen genen'n. Jch fihrt a Landrath durch's
Haus. Da hab ich ja mit vielen geredt. Se warn
a so umgänglich, wie sonste. Se machten ihre Sache
a so sachte weg, aber se machten's grindlich. D'r Land-
Der alte Hilſe (Er nimmt Fäden der Werfte vorſichtig auf
und bringt ſie in die Nähe des Kammes, durch deſſen eines Auge der Sohn von
der anderen Seite mit einem Drahthäkchen greift, um die Fäden hindurchzuziehen.)

Nu haſt’ aber Zeit, das de unfhörſcht, Hornig!
Hornig. Jch will ni mit heilen Knochen von d’r
Stelle gehn. Nee, nee, das weeß ja bald jedes Kind.
Der alte Hilſe. Nu ſag amal, bin ich nu
verwirrt, oder biſt Du verwirrt.
Hornig. Nu das heeßt. Was ich Dir erzählt,
hab, das is a ſo wahr, wie Amen in d’r Kirche; ich
wollte ja niſcht ſagen, wenn ich und ich hätte nich d’rbei
geſtanden, aber a ſo hab ichs doch geſehn. Mit eegnen
Augen, wie ich Dich hier ſehn thu, Gottlieb. Gedemolirt
haben ſe’n Fabrikanten ſei Haus, unten vom Keller uf
bis oben ruff unter de Dachreiter. Aus a Dachfenſtern
haben ſe’s Porzlan geſchmiſſen — immer iberſch Dach
nunter. Wie viel hundert Schock Parchend liegen blos
in d’r Bache?! ’S Waſſer kann nimehr fort, kannſt’s
glooben, ’s kam immer iber a Rand riber gewellt, ’s
ſah orntlich ſchwefelblau aus von dem vielen Jndigo,
den ſe haben aus a Fenſtern geſchüt’t. Die himmel-
blauen Staubwolken, die kamen blos immer a ſo gepul-
wert. Nee, nee, dort haben ſe ſchonn fürchterlich geäſchert.
Ni ock etwa im Wohnhauſe. … Jn d’r Färberei …
uf a Speichern …! ’S Treppengeländer zerſchlagen, de
Dielen ufgeriſſen — Spiegel zertrimmert — Sofa,
Seſſel, alles zerriſſen und zerſchliſſen, zerſchnitten und zer-
ſchmiſſen — zertreten und zerhackt — nee verpucht! —
kannſt’s glooben, ſchlimmer wie im Kriege.
Der alte Hilſe. Und das ſollten hieſige Weber
geweſt ſein!?
(Er ſchüttelt langſam und ungläubig den Kopf. An der
Thür haben ſich neugierige Hausbewohner geſammelt).
Hornig. Nu, was denn ſonſte? Jch kennte ja
alle mit Namen genen’n. Jch fihrt a Landrath durch’s
Haus. Da hab ich ja mit vielen geredt. Se warn
a ſo umgänglich, wie ſonſte. Se machten ihre Sache
a ſo ſachte weg, aber ſe machten’s grindlich. D’r Land-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0111" n="98"/>
        <sp who="#HISE">
          <speaker> <hi rendition="#g">Der alte Hil&#x017F;e</hi> </speaker>
          <stage>(Er nimmt Fäden der Werfte vor&#x017F;ichtig auf<lb/>
und bringt &#x017F;ie in die Nähe des Kammes, durch de&#x017F;&#x017F;en eines Auge der Sohn von<lb/>
der anderen Seite mit einem Drahthäkchen greift, um die Fäden hindurchzuziehen.)</stage><lb/>
          <p>Nu ha&#x017F;t&#x2019; aber Zeit, das de unfhör&#x017F;cht, Hornig!</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#HOR">
          <speaker><hi rendition="#g">Hornig</hi>.</speaker>
          <p>Jch will ni mit heilen Knochen von d&#x2019;r<lb/>
Stelle gehn. Nee, nee, das weeß ja bald jedes Kind.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#HISE">
          <speaker><hi rendition="#g">Der alte Hil&#x017F;e</hi>.</speaker>
          <p>Nu &#x017F;ag amal, bin ich nu<lb/>
verwirrt, oder bi&#x017F;t Du verwirrt.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#HOR">
          <speaker><hi rendition="#g">Hornig</hi>.</speaker>
          <p>Nu das heeßt. Was ich Dir erzählt,<lb/>
hab, das is a &#x017F;o wahr, wie Amen in d&#x2019;r Kirche; ich<lb/>
wollte ja ni&#x017F;cht &#x017F;agen, wenn ich und ich hätte nich d&#x2019;rbei<lb/>
ge&#x017F;tanden, aber a &#x017F;o hab ichs doch ge&#x017F;ehn. Mit eegnen<lb/>
Augen, wie ich Dich hier &#x017F;ehn thu, Gottlieb. Gedemolirt<lb/>
haben &#x017F;e&#x2019;n Fabrikanten &#x017F;ei Haus, unten vom Keller uf<lb/>
bis oben ruff unter de Dachreiter. Aus a Dachfen&#x017F;tern<lb/>
haben &#x017F;e&#x2019;s Porzlan ge&#x017F;chmi&#x017F;&#x017F;en &#x2014; immer iber&#x017F;ch Dach<lb/>
nunter. Wie viel hundert Schock Parchend liegen blos<lb/>
in d&#x2019;r Bache?! &#x2019;S Wa&#x017F;&#x017F;er kann nimehr fort, kann&#x017F;t&#x2019;s<lb/>
glooben, &#x2019;s kam immer iber a Rand riber gewellt, &#x2019;s<lb/>
&#x017F;ah orntlich &#x017F;chwefelblau aus von dem vielen Jndigo,<lb/>
den &#x017F;e haben aus a Fen&#x017F;tern ge&#x017F;chüt&#x2019;t. Die himmel-<lb/>
blauen Staubwolken, die kamen blos immer a &#x017F;o gepul-<lb/>
wert. Nee, nee, dort haben &#x017F;e &#x017F;chonn fürchterlich geä&#x017F;chert.<lb/>
Ni ock etwa im Wohnhau&#x017F;e. &#x2026; Jn d&#x2019;r Färberei &#x2026;<lb/>
uf a Speichern &#x2026;! &#x2019;S Treppengeländer zer&#x017F;chlagen, de<lb/>
Dielen ufgeri&#x017F;&#x017F;en &#x2014; Spiegel zertrimmert &#x2014; Sofa,<lb/>
Se&#x017F;&#x017F;el, alles zerri&#x017F;&#x017F;en und zer&#x017F;chli&#x017F;&#x017F;en, zer&#x017F;chnitten und zer-<lb/>
&#x017F;chmi&#x017F;&#x017F;en &#x2014; zertreten und zerhackt &#x2014; nee verpucht! &#x2014;<lb/>
kann&#x017F;t&#x2019;s glooben, &#x017F;chlimmer wie im Kriege.</p>
        </sp><lb/>
        <sp who="#HISE">
          <speaker><hi rendition="#g">Der alte Hil&#x017F;e</hi>.</speaker>
          <p>Und das &#x017F;ollten hie&#x017F;ige Weber<lb/>
gewe&#x017F;t &#x017F;ein!?</p>
          <stage>(Er &#x017F;chüttelt lang&#x017F;am und ungläubig den Kopf. An der<lb/>
Thür haben &#x017F;ich neugierige Hausbewohner ge&#x017F;ammelt).</stage>
        </sp><lb/>
        <sp who="#HOR">
          <speaker><hi rendition="#g">Hornig</hi>.</speaker>
          <p>Nu, was denn &#x017F;on&#x017F;te? Jch kennte ja<lb/>
alle mit Namen genen&#x2019;n. Jch fihrt a Landrath durch&#x2019;s<lb/>
Haus. Da hab ich ja mit vielen geredt. Se warn<lb/>
a &#x017F;o umgänglich, wie &#x017F;on&#x017F;te. Se machten ihre Sache<lb/>
a &#x017F;o &#x017F;achte weg, aber &#x017F;e machten&#x2019;s grindlich. D&#x2019;r Land-<lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0111] Der alte Hilſe (Er nimmt Fäden der Werfte vorſichtig auf und bringt ſie in die Nähe des Kammes, durch deſſen eines Auge der Sohn von der anderen Seite mit einem Drahthäkchen greift, um die Fäden hindurchzuziehen.) Nu haſt’ aber Zeit, das de unfhörſcht, Hornig! Hornig. Jch will ni mit heilen Knochen von d’r Stelle gehn. Nee, nee, das weeß ja bald jedes Kind. Der alte Hilſe. Nu ſag amal, bin ich nu verwirrt, oder biſt Du verwirrt. Hornig. Nu das heeßt. Was ich Dir erzählt, hab, das is a ſo wahr, wie Amen in d’r Kirche; ich wollte ja niſcht ſagen, wenn ich und ich hätte nich d’rbei geſtanden, aber a ſo hab ichs doch geſehn. Mit eegnen Augen, wie ich Dich hier ſehn thu, Gottlieb. Gedemolirt haben ſe’n Fabrikanten ſei Haus, unten vom Keller uf bis oben ruff unter de Dachreiter. Aus a Dachfenſtern haben ſe’s Porzlan geſchmiſſen — immer iberſch Dach nunter. Wie viel hundert Schock Parchend liegen blos in d’r Bache?! ’S Waſſer kann nimehr fort, kannſt’s glooben, ’s kam immer iber a Rand riber gewellt, ’s ſah orntlich ſchwefelblau aus von dem vielen Jndigo, den ſe haben aus a Fenſtern geſchüt’t. Die himmel- blauen Staubwolken, die kamen blos immer a ſo gepul- wert. Nee, nee, dort haben ſe ſchonn fürchterlich geäſchert. Ni ock etwa im Wohnhauſe. … Jn d’r Färberei … uf a Speichern …! ’S Treppengeländer zerſchlagen, de Dielen ufgeriſſen — Spiegel zertrimmert — Sofa, Seſſel, alles zerriſſen und zerſchliſſen, zerſchnitten und zer- ſchmiſſen — zertreten und zerhackt — nee verpucht! — kannſt’s glooben, ſchlimmer wie im Kriege. Der alte Hilſe. Und das ſollten hieſige Weber geweſt ſein!? (Er ſchüttelt langſam und ungläubig den Kopf. An der Thür haben ſich neugierige Hausbewohner geſammelt). Hornig. Nu, was denn ſonſte? Jch kennte ja alle mit Namen genen’n. Jch fihrt a Landrath durch’s Haus. Da hab ich ja mit vielen geredt. Se warn a ſo umgänglich, wie ſonſte. Se machten ihre Sache a ſo ſachte weg, aber ſe machten’s grindlich. D’r Land-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Weber sind zu Beginn auf schlesisch erschiene… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_weber_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_weber_1892/111
Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_weber_1892/111>, abgerufen am 23.11.2024.