Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889. Loth. Na ob...! und wie! Dr. Schimmelpfennig. Ach, wenn die Bauern hier doch auch solche Ideen hätten. Damit sieht's aber jämmerlich aus, sage ich Dir, Degeneration auf der ganzen... (Er hat seine Cigarrentasche halb aus der Brusttasche gezogen, läßt sie aber wieder zurückgleiten und steht auf, als irgend ein Laut durch die nur angelehnte Hausflurthür hereindringt.) Wart mal! (Er geht auf den Zehen bis zur Hausflurthür und horcht. Eine Thür geht draußen, man hört einige Augenblicke deutlich das Wimmern der Wöchnerin. Der Doctor sagt, zu Loth gewandt, leise.) Entschuldige! (und geht hinaus.) (Einige Augenblicke durchmißt Loth, während draußen Thüren schlagen, Menschen die Treppe auf und ablaufen, das Zimmer; dann setzt er sich in den Lehnsessel rechts vorn. Helene huscht herein und umschlingt Loth, der ihr Kommen nicht bemerkt hat, von rückwärts.) Loth (sich umblickend, sie ebenfalls umfassend). Lenchen!! (Er zieht sie zu sich herunter und trotz gelinden Sträubens auf sein Knie. Helene weint unter den Küssen, die er ihr giebt.) Loth. Ach weine doch nicht, Lenchen! warum weinst Du denn so sehr? Helene. Warum? weiß ich's?!...... Ich denk' immer, ich -- treff' Dich nicht mehr. Vorhin habe ich mich so erschrocken.... Loth. Weshalb denn? Helene. Weil ich Dich aus Deinem Zimmer treten hörte -- ach!...und die Schwester -- wir armen, armen Weiber! -- die muß zu sehr ausstehen. Loth. Der Schmerz vergißt sich schnell und auf den Tod geht's ja nicht. Helene. Ach, Du! sie wünscht sich ihn ja...sie jammert nur immer so: laßt mich doch sterben;...der Doctor! (Sie springt auf und huscht in den Wintergarten.) Dr. Schimmelpfennig (im Hereintreten). Nun wünschte ich wirklich, daß sich das Frauchen da oben 'n Bissel beeilte! (Er läßt sich am Tisch nieder, zieht neuerdings die Cigarrentasche, entnimmt ihr eine Cigarre und legt diese neben sich). Du kommst mit zu mir dann, wie? -- hab' draußen so 'n nothwendiges Uebel mit zwei Gäulen davor, da können wir drin zu mir fahren. (Seine Cigarre an der Tischkante klopfend.) Der süße Ehestand! ja, ja! (ein Zündholz anstreichend) also noch frisch, frei, fromm, froh? Loth. Na ob...! und wie! Dr. Schimmelpfennig. Ach, wenn die Bauern hier doch auch ſolche Ideen hätten. Damit ſieht's aber jämmerlich aus, ſage ich Dir, Degeneration auf der ganzen... (Er hat ſeine Cigarrentaſche halb aus der Bruſttaſche gezogen, läßt ſie aber wieder zurückgleiten und ſteht auf, als irgend ein Laut durch die nur angelehnte Hausflurthür hereindringt.) Wart mal! (Er geht auf den Zehen bis zur Hausflurthür und horcht. Eine Thür geht draußen, man hört einige Augenblicke deutlich das Wimmern der Wöchnerin. Der Doctor ſagt, zu Loth gewandt, leiſe.) Entſchuldige! (und geht hinaus.) (Einige Augenblicke durchmißt Loth, während draußen Thüren ſchlagen, Menſchen die Treppe auf und ablaufen, das Zimmer; dann ſetzt er ſich in den Lehnſeſſel rechts vorn. Helene huſcht herein und umſchlingt Loth, der ihr Kommen nicht bemerkt hat, von rückwärts.) Loth (ſich umblickend, ſie ebenfalls umfaſſend). Lenchen!! (Er zieht ſie zu ſich herunter und trotz gelinden Sträubens auf ſein Knie. Helene weint unter den Küſſen, die er ihr giebt.) Loth. Ach weine doch nicht, Lenchen! warum weinſt Du denn ſo ſehr? Helene. Warum? weiß ich's?!...... Ich denk' immer, ich — treff' Dich nicht mehr. Vorhin habe ich mich ſo erſchrocken.... Loth. Weshalb denn? Helene. Weil ich Dich aus Deinem Zimmer treten hörte — ach!...und die Schweſter — wir armen, armen Weiber! — die muß zu ſehr ausſtehen. Loth. Der Schmerz vergißt ſich ſchnell und auf den Tod geht's ja nicht. Helene. Ach, Du! ſie wünſcht ſich ihn ja...ſie jammert nur immer ſo: laßt mich doch ſterben;...der Doctor! (Sie ſpringt auf und huſcht in den Wintergarten.) Dr. Schimmelpfennig (im Hereintreten). Nun wünſchte ich wirklich, daß ſich das Frauchen da oben 'n Biſſel beeilte! (Er läßt ſich am Tiſch nieder, zieht neuerdings die Cigarrentaſche, entnimmt ihr eine Cigarre und legt dieſe neben ſich). Du kommſt mit zu mir dann, wie? — hab' draußen ſo 'n nothwendiges Uebel mit zwei Gäulen davor, da können wir drin zu mir fahren. (Seine Cigarre an der Tiſchkante klopfend.) Der ſüße Eheſtand! ja, ja! (ein Zündholz anſtreichend) alſo noch friſch, frei, fromm, froh? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0098" n="92"/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Na ob...! und wie!</p> </sp><lb/> <sp who="#SCH"> <speaker><hi rendition="#aq">Dr.</hi><hi rendition="#g">Schimmelpfennig</hi>.</speaker> <p>Ach, wenn die Bauern<lb/> hier doch auch ſolche Ideen hätten. 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(Einige Augenblicke durchmißt Loth, während draußen Thüren ſchlagen,
Menſchen die Treppe auf und ablaufen, das Zimmer; dann ſetzt er ſich in den
Lehnſeſſel rechts vorn. Helene huſcht herein und umſchlingt Loth, der ihr
Kommen nicht bemerkt hat, von rückwärts.)
Loth (ſich umblickend, ſie ebenfalls umfaſſend). Lenchen!! (Er
zieht ſie zu ſich herunter und trotz gelinden Sträubens auf ſein Knie. Helene
weint unter den Küſſen, die er ihr giebt.)
Loth. Ach weine doch nicht, Lenchen! warum
weinſt Du denn ſo ſehr?
Helene. Warum? weiß ich's?!......
Ich denk' immer, ich — treff' Dich nicht mehr. Vorhin
habe ich mich ſo erſchrocken....
Loth. Weshalb denn?
Helene. Weil ich Dich aus Deinem Zimmer
treten hörte — ach!...und die Schweſter — wir
armen, armen Weiber! — die muß zu ſehr ausſtehen.
Loth. Der Schmerz vergißt ſich ſchnell und auf
den Tod geht's ja nicht.
Helene. Ach, Du! ſie wünſcht ſich ihn ja...ſie
jammert nur immer ſo: laßt mich doch ſterben;...der
Doctor! (Sie ſpringt auf und huſcht in den Wintergarten.)
Dr. Schimmelpfennig (im Hereintreten). Nun wünſchte
ich wirklich, daß ſich das Frauchen da oben 'n Biſſel
beeilte! (Er läßt ſich am Tiſch nieder, zieht neuerdings die Cigarrentaſche,
entnimmt ihr eine Cigarre und legt dieſe neben ſich). Du kommſt mit
zu mir dann, wie? — hab' draußen ſo 'n nothwendiges
Uebel mit zwei Gäulen davor, da können wir drin zu
mir fahren. (Seine Cigarre an der Tiſchkante klopfend.) Der ſüße
Eheſtand! ja, ja! (ein Zündholz anſtreichend) alſo noch friſch,
frei, fromm, froh?
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