Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889.
Beide setzen sich, ein wenig von einander getrennt, in der Laube nieder Schweigen. Darauf Loth:) Sie haben so sehr schönes und reiches Haar, Fräulein! Helene. Ach ja, mein Schwager sagt das auch. Er meinte, er hätte es kaum so gesehen -- auch in der Stadt nicht........Der Zopf ist oben so dick wie mein Handgelenk..........Wenn ich es losmache, dann reicht es mir bis zu den Knien. Fühlen Sie mal -- ! Es fühlt sich wie Seide an, gelt? Loth. Ganz wie Seide. (Ein Zittern durchläuft ihn, er beugt sich und küßt das Haar.) Helene (erschreckt). Ach nicht doch! Wenn...... Loth. Helene -- ! War das vorhin nicht Dein Ernst? Helene. Ach! -- ich schäme mich so schrecklich. Was habe ich nur gemacht? -- Dir...Ihnen an den Hals geworfen habe ich mich. -- Für was müssen Sie mich halten...! Loth (rückt ihr näher, nimmt ihre Hand in die seine). Wenn Sie sich doch darüber beruhigen wollten! Helene (seufzend). Ach, das müßte Schwester Schmitt- gen wissen....ich sehe gar nicht hin! Loth. Wer ist Schwester Schmittgen? Helene. Eine Lehrerin aus der Pension. Loth. Wie können Sie sich nur über Schwester Schmittgen Gedanken machen! Helene. Sie war sehr gut....! (Sie lacht plötzlich heftig in sich hinein.) Loth. Warum lachst Du denn so auf einmal? Helene (zwischen Pietät und Laune). Ach!....Wenn sie auf dem Chor stand und sang.....Sie hatte nur noch einen einzigen langen Zahn....da sollte es immer heißen: Tröste, tröste mein Volk! und es kam immer heraus: 'Röste, 'röste mein Volk! Das war zu drollig....da mußten wir immer so lachen.... wenn sie so durch den Saal....'röste! röste! (Sie kann sich vor Lachen nicht lassen, Loth ist von ihrer Heiterkeit angesteckt. Sie kommt ihm dabei so lieblich vor, daß er den Augenblick benutzen will, den Arm um sie
Beide ſetzen ſich, ein wenig von einander getrennt, in der Laube nieder Schweigen. Darauf Loth:) Sie haben ſo ſehr ſchönes und reiches Haar, Fräulein! Helene. Ach ja, mein Schwager ſagt das auch. Er meinte, er hätte es kaum ſo geſehen — auch in der Stadt nicht........Der Zopf iſt oben ſo dick wie mein Handgelenk..........Wenn ich es losmache, dann reicht es mir bis zu den Knien. Fühlen Sie mal — ! Es fühlt ſich wie Seide an, gelt? Loth. Ganz wie Seide. (Ein Zittern durchläuft ihn, er beugt ſich und küßt das Haar.) Helene (erſchreckt). Ach nicht doch! Wenn...... Loth. Helene — ! War das vorhin nicht Dein Ernſt? Helene. Ach! — ich ſchäme mich ſo ſchrecklich. Was habe ich nur gemacht? — Dir...Ihnen an den Hals geworfen habe ich mich. — Für was müſſen Sie mich halten...! Loth (rückt ihr näher, nimmt ihre Hand in die ſeine). Wenn Sie ſich doch darüber beruhigen wollten! Helene (ſeufzend). Ach, das müßte Schweſter Schmitt- gen wiſſen....ich ſehe gar nicht hin! Loth. Wer iſt Schweſter Schmittgen? Helene. Eine Lehrerin aus der Penſion. Loth. Wie können Sie ſich nur über Schweſter Schmittgen Gedanken machen! Helene. Sie war ſehr gut....! (Sie lacht plötzlich heftig in ſich hinein.) Loth. Warum lachſt Du denn ſo auf einmal? Helene (zwiſchen Pietät und Laune). Ach!....Wenn ſie auf dem Chor ſtand und ſang.....Sie hatte nur noch einen einzigen langen Zahn....da ſollte es immer heißen: Tröſte, tröſte mein Volk! und es kam immer heraus: 'Röſte, 'röſte mein Volk! Das war zu drollig....da mußten wir immer ſo lachen.... wenn ſie ſo durch den Saal....'röſte! röſte! (Sie kann ſich vor Lachen nicht laſſen, Loth iſt von ihrer Heiterkeit angeſteckt. Sie kommt ihm dabei ſo lieblich vor, daß er den Augenblick benutzen will, den Arm um ſie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#LOT"> <p><pb facs="#f0084" n="78"/><stage>Beide ſetzen ſich, ein wenig von einander getrennt, in der Laube nieder<lb/> Schweigen. Darauf Loth:)</stage> Sie haben ſo ſehr ſchönes und reiches<lb/> Haar, Fräulein!</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Ach ja, mein Schwager ſagt das auch.<lb/> Er meinte, er hätte es kaum ſo geſehen — auch in der<lb/> Stadt nicht........Der Zopf iſt oben ſo dick wie<lb/> mein Handgelenk..........Wenn ich es losmache,<lb/> dann reicht es mir bis zu den Knien. Fühlen Sie<lb/> mal — ! Es fühlt ſich wie Seide an, gelt?</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Ganz wie Seide. <stage>(Ein Zittern durchläuft ihn, er<lb/> beugt ſich und küßt das Haar.)</stage></p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker> <hi rendition="#g">Helene</hi> </speaker> <p><stage>(erſchreckt).</stage> Ach nicht doch! Wenn......</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Helene — ! War das vorhin nicht Dein<lb/> Ernſt?</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Ach! — ich ſchäme mich ſo ſchrecklich.<lb/> Was habe ich nur gemacht? — Dir...Ihnen an den<lb/> Hals geworfen habe ich mich. — Für was müſſen Sie<lb/> mich halten...!</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker> <hi rendition="#g">Loth</hi> </speaker> <p><stage>(rückt ihr näher, nimmt ihre Hand in die ſeine).</stage> Wenn<lb/> Sie ſich doch darüber beruhigen wollten!</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker> <hi rendition="#g">Helene</hi> </speaker> <p><stage>(ſeufzend).</stage> Ach, das müßte Schweſter Schmitt-<lb/> gen wiſſen....ich ſehe gar nicht hin!</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Wer iſt Schweſter Schmittgen?</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Eine Lehrerin aus der Penſion.</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Wie können Sie ſich nur über Schweſter<lb/> Schmittgen Gedanken machen!</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Sie war ſehr gut....! <stage>(Sie lacht plötzlich<lb/> heftig in ſich hinein.)</stage></p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Warum lachſt Du denn ſo auf einmal?</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker> <hi rendition="#g">Helene</hi> </speaker> <p><stage>(zwiſchen Pietät und Laune).</stage> Ach!....Wenn<lb/> ſie auf dem Chor ſtand und ſang.....Sie hatte<lb/> nur noch einen einzigen langen Zahn....da ſollte es<lb/> immer heißen: Tröſte, tröſte mein Volk! und es kam<lb/> immer heraus: 'Röſte, 'röſte mein Volk! Das war zu<lb/> drollig....da mußten wir immer ſo lachen....<lb/> wenn ſie ſo durch den Saal....'röſte! röſte! <stage>(Sie kann<lb/> ſich vor Lachen nicht laſſen, Loth iſt von ihrer Heiterkeit angeſteckt. Sie kommt<lb/> ihm dabei ſo lieblich vor, daß er den Augenblick benutzen will, den Arm um ſie<lb/></stage></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [78/0084]
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Schweigen. Darauf Loth:) Sie haben ſo ſehr ſchönes und reiches
Haar, Fräulein!
Helene. Ach ja, mein Schwager ſagt das auch.
Er meinte, er hätte es kaum ſo geſehen — auch in der
Stadt nicht........Der Zopf iſt oben ſo dick wie
mein Handgelenk..........Wenn ich es losmache,
dann reicht es mir bis zu den Knien. Fühlen Sie
mal — ! Es fühlt ſich wie Seide an, gelt?
Loth. Ganz wie Seide. (Ein Zittern durchläuft ihn, er
beugt ſich und küßt das Haar.)
Helene (erſchreckt). Ach nicht doch! Wenn......
Loth. Helene — ! War das vorhin nicht Dein
Ernſt?
Helene. Ach! — ich ſchäme mich ſo ſchrecklich.
Was habe ich nur gemacht? — Dir...Ihnen an den
Hals geworfen habe ich mich. — Für was müſſen Sie
mich halten...!
Loth (rückt ihr näher, nimmt ihre Hand in die ſeine). Wenn
Sie ſich doch darüber beruhigen wollten!
Helene (ſeufzend). Ach, das müßte Schweſter Schmitt-
gen wiſſen....ich ſehe gar nicht hin!
Loth. Wer iſt Schweſter Schmittgen?
Helene. Eine Lehrerin aus der Penſion.
Loth. Wie können Sie ſich nur über Schweſter
Schmittgen Gedanken machen!
Helene. Sie war ſehr gut....! (Sie lacht plötzlich
heftig in ſich hinein.)
Loth. Warum lachſt Du denn ſo auf einmal?
Helene (zwiſchen Pietät und Laune). Ach!....Wenn
ſie auf dem Chor ſtand und ſang.....Sie hatte
nur noch einen einzigen langen Zahn....da ſollte es
immer heißen: Tröſte, tröſte mein Volk! und es kam
immer heraus: 'Röſte, 'röſte mein Volk! Das war zu
drollig....da mußten wir immer ſo lachen....
wenn ſie ſo durch den Saal....'röſte! röſte! (Sie kann
ſich vor Lachen nicht laſſen, Loth iſt von ihrer Heiterkeit angeſteckt. Sie kommt
ihm dabei ſo lieblich vor, daß er den Augenblick benutzen will, den Arm um ſie
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