Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889.
ehebrecherische Stiefmutter, die mich an ihren Galan ver- kuppeln möchte..Dieses ganze Dasein überhaupt. -- Nein --! ich sehe nicht ein, wer mich zwingen kann, durchaus schlecht zu werden. Ich gehe fort! ich renne fort -- und wenn Ihr mich nicht loslaßt, dann.... Strick, Messer, Revolver!....mir egal! -- ich will nicht auch zum Branntwein greifen wie meine Schwester. Hoffmann (erschrocken, packt sie am Arm). Lene!!!.... ich sag' Dir, still!...davon still! Helene. Mir egal!...mir ganz egal! -- man ist...man muß sich schämen bis in die Seele 'nein. -- Man möchte was wissen, was sein, was sein können -- und was ist man nu? Hoffmann (der ihren Arm noch nicht wieder losgelassen, fängt an, das Mädchen allmälig nach dem Sopha hinzudrängen. Im Tone seiner Stimme liegt nun plötzlich eine weichliche, übertriebene, gleichsam vibrirende Milde). Lenchen --! ich weiß ja recht gut, daß Du hier Manches auszustehen hast. Sei nur ruhig....! brauchst es mir gar nicht zu sagen. (Er legt die Rechte liebkosend auf ihre Schulter, bringt sein Gesicht nahe dem ihren.) Ich kann Dich gar nicht weinen sehen. Wahrhaftig! -- 's thut mir weh. Sieh doch nur aber die Verhältnisse nicht schwärzer, als sie sind --; und dann: -- hast Du vergessen, -- daß wir Beide, -- Du und ich -- so zu sagen in der gleichen Lage sind? -- Ich bin in diese Bauernatmosphäre hinein gekommen....passe ich hinein? Genau so wenig wie Du hoffentlich. Helene (immer noch weinend). Hätte mein -- gutes -- M -- Muttelchen das geahnt -- als sie.... als sie bestimmte -- daß ich in Herrnhut -- erzogen ....erzogen werden sollte. Hätte sie -- mich lieber ...mich lieber zu Hause gelassen, dann hätte ich... hätte ich wenigstens -- nichts Anderes kennen gelernt, wäre in dem Sumpf hier auf....aufgewachsen -- Aber so... Hoffmann (hat Helene sanft auf das Sopha gezwungen und sitzt nun, eng an sie gedrängt, neben ihr. Immer auffälliger verräth sich in seinen Tröstungen das sinnliche Element). Lenchen --! sieh mich an, laß
ehebrecheriſche Stiefmutter, die mich an ihren Galan ver- kuppeln möchte..Dieſes ganze Daſein überhaupt. — Nein —! ich ſehe nicht ein, wer mich zwingen kann, durchaus ſchlecht zu werden. Ich gehe fort! ich renne fort — und wenn Ihr mich nicht loslaßt, dann.... Strick, Meſſer, Revolver!....mir egal! — ich will nicht auch zum Branntwein greifen wie meine Schweſter. Hoffmann (erſchrocken, packt ſie am Arm). Lene!!!.... ich ſag' Dir, ſtill!...davon ſtill! Helene. Mir egal!...mir ganz egal! — man iſt...man muß ſich ſchämen bis in die Seele 'nein. — Man möchte was wiſſen, was ſein, was ſein können — und was iſt man nu? Hoffmann (der ihren Arm noch nicht wieder losgelaſſen, fängt an, das Mädchen allmälig nach dem Sopha hinzudrängen. Im Tone ſeiner Stimme liegt nun plötzlich eine weichliche, übertriebene, gleichſam vibrirende Milde). Lenchen —! ich weiß ja recht gut, daß Du hier Manches auszuſtehen haſt. Sei nur ruhig....! brauchſt es mir gar nicht zu ſagen. (Er legt die Rechte liebkoſend auf ihre Schulter, bringt ſein Geſicht nahe dem ihren.) Ich kann Dich gar nicht weinen ſehen. Wahrhaftig! — 's thut mir weh. Sieh doch nur aber die Verhältniſſe nicht ſchwärzer, als ſie ſind —; und dann: — haſt Du vergeſſen, — daß wir Beide, — Du und ich — ſo zu ſagen in der gleichen Lage ſind? — Ich bin in dieſe Bauernatmoſphäre hinein gekommen....paſſe ich hinein? Genau ſo wenig wie Du hoffentlich. Helene (immer noch weinend). Hätte mein — gutes — M — Muttelchen das geahnt — als ſie.... als ſie beſtimmte — daß ich in Herrnhut — erzogen ....erzogen werden ſollte. Hätte ſie — mich lieber ...mich lieber zu Hauſe gelaſſen, dann hätte ich... hätte ich wenigſtens — nichts Anderes kennen gelernt, wäre in dem Sumpf hier auf....aufgewachſen — Aber ſo... Hoffmann (hat Helene ſanft auf das Sopha gezwungen und ſitzt nun, eng an ſie gedrängt, neben ihr. Immer auffälliger verräth ſich in ſeinen Tröſtungen das ſinnliche Element). Lenchen —! ſieh mich an, laß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#HEL"> <p><pb facs="#f0061" n="55"/> ehebrecheriſche Stiefmutter, die mich an ihren Galan ver-<lb/> kuppeln möchte..Dieſes ganze Daſein überhaupt. —<lb/> Nein —! ich ſehe nicht ein, wer mich zwingen kann,<lb/> durchaus ſchlecht zu werden. Ich gehe fort! ich renne<lb/> fort — und wenn Ihr mich nicht loslaßt, dann....<lb/> Strick, Meſſer, Revolver!....mir egal! — ich will<lb/> nicht auch zum Branntwein greifen wie meine Schweſter.</p> </sp><lb/> <sp who="#HOF"> <speaker> <hi rendition="#g">Hoffmann</hi> </speaker> <p><stage>(erſchrocken, packt ſie am Arm).</stage> Lene!!!....<lb/> ich ſag' Dir, ſtill!...davon ſtill!</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Mir egal!...mir ganz egal! — man<lb/> iſt...man muß ſich ſchämen bis in die Seele 'nein.<lb/> — Man möchte was wiſſen, was ſein, was ſein können<lb/> — und was iſt man nu?</p> </sp><lb/> <sp who="#HOF"> <speaker> <hi rendition="#g">Hoffmann</hi> </speaker> <p><stage>(der ihren Arm noch nicht wieder losgelaſſen, fängt<lb/> an, das Mädchen allmälig nach dem Sopha hinzudrängen. Im Tone ſeiner<lb/> Stimme liegt nun plötzlich eine weichliche, übertriebene, gleichſam vibrirende<lb/> Milde).</stage><hi rendition="#g">Lenchen</hi> —! ich weiß ja recht gut, daß Du hier<lb/> Manches auszuſtehen haſt. Sei nur ruhig....! brauchſt<lb/> es mir gar nicht zu ſagen. <stage>(Er legt die Rechte liebkoſend auf ihre<lb/> Schulter, bringt ſein Geſicht nahe dem ihren.)</stage> Ich kann Dich gar<lb/> nicht weinen ſehen. Wahrhaftig! — 's thut mir weh.<lb/> Sieh doch nur aber die Verhältniſſe nicht ſchwärzer, als<lb/> ſie ſind —; und dann: — haſt Du vergeſſen, — daß<lb/> wir Beide, — Du und ich — ſo zu ſagen in der gleichen<lb/> Lage ſind? — Ich bin in dieſe Bauernatmoſphäre hinein<lb/> gekommen....paſſe ich hinein? Genau ſo wenig wie<lb/> Du hoffentlich.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker> <hi rendition="#g">Helene</hi> </speaker> <p><stage>(immer noch weinend).</stage> Hätte mein — gutes<lb/> — M — Muttelchen das geahnt — als ſie....<lb/> als ſie beſtimmte — daß ich in Herrnhut — erzogen<lb/> ....erzogen werden ſollte. Hätte ſie — mich lieber<lb/> ...mich lieber zu Hauſe gelaſſen, dann hätte ich...<lb/> hätte ich wenigſtens — nichts Anderes kennen gelernt,<lb/> wäre in dem Sumpf hier auf....aufgewachſen —<lb/> Aber ſo...</p> </sp><lb/> <sp who="#HOF"> <speaker> <hi rendition="#g">Hoffmann</hi> </speaker> <p><stage>(hat Helene ſanft auf das Sopha gezwungen und ſitzt<lb/> nun, eng an ſie gedrängt, neben ihr. Immer auffälliger verräth ſich in ſeinen<lb/> Tröſtungen das ſinnliche Element).</stage> Lenchen —! ſieh mich an, laß<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [55/0061]
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kuppeln möchte..Dieſes ganze Daſein überhaupt. —
Nein —! ich ſehe nicht ein, wer mich zwingen kann,
durchaus ſchlecht zu werden. Ich gehe fort! ich renne
fort — und wenn Ihr mich nicht loslaßt, dann....
Strick, Meſſer, Revolver!....mir egal! — ich will
nicht auch zum Branntwein greifen wie meine Schweſter.
Hoffmann (erſchrocken, packt ſie am Arm). Lene!!!....
ich ſag' Dir, ſtill!...davon ſtill!
Helene. Mir egal!...mir ganz egal! — man
iſt...man muß ſich ſchämen bis in die Seele 'nein.
— Man möchte was wiſſen, was ſein, was ſein können
— und was iſt man nu?
Hoffmann (der ihren Arm noch nicht wieder losgelaſſen, fängt
an, das Mädchen allmälig nach dem Sopha hinzudrängen. Im Tone ſeiner
Stimme liegt nun plötzlich eine weichliche, übertriebene, gleichſam vibrirende
Milde). Lenchen —! ich weiß ja recht gut, daß Du hier
Manches auszuſtehen haſt. Sei nur ruhig....! brauchſt
es mir gar nicht zu ſagen. (Er legt die Rechte liebkoſend auf ihre
Schulter, bringt ſein Geſicht nahe dem ihren.) Ich kann Dich gar
nicht weinen ſehen. Wahrhaftig! — 's thut mir weh.
Sieh doch nur aber die Verhältniſſe nicht ſchwärzer, als
ſie ſind —; und dann: — haſt Du vergeſſen, — daß
wir Beide, — Du und ich — ſo zu ſagen in der gleichen
Lage ſind? — Ich bin in dieſe Bauernatmoſphäre hinein
gekommen....paſſe ich hinein? Genau ſo wenig wie
Du hoffentlich.
Helene (immer noch weinend). Hätte mein — gutes
— M — Muttelchen das geahnt — als ſie....
als ſie beſtimmte — daß ich in Herrnhut — erzogen
....erzogen werden ſollte. Hätte ſie — mich lieber
...mich lieber zu Hauſe gelaſſen, dann hätte ich...
hätte ich wenigſtens — nichts Anderes kennen gelernt,
wäre in dem Sumpf hier auf....aufgewachſen —
Aber ſo...
Hoffmann (hat Helene ſanft auf das Sopha gezwungen und ſitzt
nun, eng an ſie gedrängt, neben ihr. Immer auffälliger verräth ſich in ſeinen
Tröſtungen das ſinnliche Element). Lenchen —! ſieh mich an, laß
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