Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889. Helene. Ziemlich stark sogar. Loth. Soosoo -- was ist ihm denn da passirt -- mit dem Bein? Helene. Das ist 'ne heikle Geschichte. Sie kennen doch den Herrn Kahl?....da muß ich Ihnen aber ganz nahe kommen. Sein Vater, müssen Sie wissen, war genau so ein Jagdnarr wie er. Er schoß hinter den Handwerksburschen her, die auf den Hof kamen, wenn auch nur in die Luft, um ihnen Schrecken einzujagen. Er war auch sehr jähzornig, wissen Sie, wenn er getrunken hatte erst recht. Nu hat wohl der Beibst mal gemuckscht -- er muckscht gern, wissen Sie -- und da hat der Bauer die Flinte zu packen gekriegt und ihm eine Ladung gegeben. Beibst, wissen Sie, war nämlich früher beim Nachbar Kahl für Kutscher. Loth. Frevel über Frevel, wohin man hört. Helene (immer unsicherer und erregter). Ich hab auch schon manchmal so bei mir gedacht....sie haben mir Alle mitunter schon so furchtbar leid gethan --: der alte Beibst und...... Wenn die Bauern so roh und dumm sind wie der -- wie der Streckmann, der -- läßt seine Knechte hungern und füttert die Hunde mit Conditorzeug. Hier bin ich wie dumm, seit ich aus der Pension zurück bin............ Ich hab auch mein Päckchen! -- aber ich rede ja wohl Unsinn -- es interessirt Sie ja gar nicht -- Sie lachen mich im Stillen blos aus. Loth. Aber Fräulein, wie können Sie nur.... weshalb sollte ich Sie denn.... Helene. Nun, etwa nicht? Sie denken doch: die ist auch nicht besser wie die Anderen hier. Loth. Ich denke von Niemand schlecht, Fräulein! Helene. Das machen Sie mir nicht weiß.... nein, nein! Loth. Aber Fräulein! wann hätte ich Ihnen Ver- anlassung... Helene (nahe am Weinen). Ach, reden Sie doch nicht! 4
Helene. Ziemlich ſtark ſogar. Loth. Sooſoo — was iſt ihm denn da paſſirt — mit dem Bein? Helene. Das iſt 'ne heikle Geſchichte. Sie kennen doch den Herrn Kahl?....da muß ich Ihnen aber ganz nahe kommen. Sein Vater, müſſen Sie wiſſen, war genau ſo ein Jagdnarr wie er. Er ſchoß hinter den Handwerksburſchen her, die auf den Hof kamen, wenn auch nur in die Luft, um ihnen Schrecken einzujagen. Er war auch ſehr jähzornig, wiſſen Sie, wenn er getrunken hatte erſt recht. Nu hat wohl der Beibſt mal gemuckſcht — er muckſcht gern, wiſſen Sie — und da hat der Bauer die Flinte zu packen gekriegt und ihm eine Ladung gegeben. Beibſt, wiſſen Sie, war nämlich früher beim Nachbar Kahl für Kutſcher. Loth. Frevel über Frevel, wohin man hört. Helene (immer unſicherer und erregter). Ich hab auch ſchon manchmal ſo bei mir gedacht....ſie haben mir Alle mitunter ſchon ſo furchtbar leid gethan —: der alte Beibſt und...... Wenn die Bauern ſo roh und dumm ſind wie der — wie der Streckmann, der — läßt ſeine Knechte hungern und füttert die Hunde mit Conditorzeug. Hier bin ich wie dumm, ſeit ich aus der Penſion zurück bin............ Ich hab auch mein Päckchen! — aber ich rede ja wohl Unſinn — es intereſſirt Sie ja gar nicht — Sie lachen mich im Stillen blos aus. Loth. Aber Fräulein, wie können Sie nur.... weshalb ſollte ich Sie denn.... Helene. Nun, etwa nicht? Sie denken doch: die iſt auch nicht beſſer wie die Anderen hier. Loth. Ich denke von Niemand ſchlecht, Fräulein! Helene. Das machen Sie mir nicht weiß.... nein, nein! Loth. Aber Fräulein! wann hätte ich Ihnen Ver- anlaſſung... Helene (nahe am Weinen). Ach, reden Sie doch nicht! 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0055" n="49"/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Ziemlich ſtark ſogar.</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Sooſoo — was iſt ihm denn da paſſirt —<lb/> mit dem Bein?</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Das iſt 'ne heikle Geſchichte. Sie<lb/> kennen doch den Herrn Kahl?....da muß ich Ihnen<lb/> aber ganz nahe kommen. Sein Vater, müſſen Sie<lb/> wiſſen, war genau ſo ein Jagdnarr wie er. Er ſchoß<lb/> hinter den Handwerksburſchen her, die auf den Hof<lb/> kamen, wenn auch nur in die Luft, um ihnen Schrecken<lb/> einzujagen. Er war auch ſehr jähzornig, wiſſen Sie,<lb/> wenn er getrunken hatte erſt recht. Nu hat wohl der<lb/> Beibſt mal gemuckſcht — er muckſcht gern, wiſſen Sie<lb/> — und da hat der Bauer die Flinte zu packen gekriegt<lb/> und ihm eine Ladung gegeben. Beibſt, wiſſen Sie,<lb/> war nämlich früher beim Nachbar Kahl für Kutſcher.</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Frevel über Frevel, wohin man hört.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker> <hi rendition="#g">Helene</hi> </speaker> <p><stage>(immer unſicherer und erregter).</stage> Ich hab auch ſchon<lb/> manchmal ſo bei mir gedacht....ſie haben mir Alle<lb/> mitunter ſchon ſo furchtbar leid gethan —: der alte<lb/> Beibſt und...... Wenn die Bauern ſo roh und<lb/> dumm ſind wie der — wie der Streckmann, der —<lb/> läßt ſeine Knechte hungern und füttert die Hunde mit<lb/> Conditorzeug. Hier bin ich wie dumm, ſeit ich aus der<lb/> Penſion zurück bin............<lb/> Ich hab auch mein Päckchen! — aber ich rede ja wohl<lb/> Unſinn — es intereſſirt Sie ja gar nicht — Sie lachen<lb/> mich im Stillen blos aus.</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Aber Fräulein, wie können Sie nur....<lb/> weshalb ſollte ich Sie denn....</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Nun, etwa nicht? Sie denken doch:<lb/> die iſt auch nicht beſſer wie die Anderen hier.</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Ich denke von Niemand ſchlecht, Fräulein!</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Das machen Sie mir nicht weiß....<lb/> nein, nein!</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Aber Fräulein! wann hätte ich Ihnen Ver-<lb/> anlaſſung...</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker> <hi rendition="#g">Helene</hi> </speaker> <p><stage>(nahe am Weinen).</stage> Ach, reden Sie doch nicht!<lb/> <fw place="bottom" type="sig">4</fw><lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [49/0055]
Helene. Ziemlich ſtark ſogar.
Loth. Sooſoo — was iſt ihm denn da paſſirt —
mit dem Bein?
Helene. Das iſt 'ne heikle Geſchichte. Sie
kennen doch den Herrn Kahl?....da muß ich Ihnen
aber ganz nahe kommen. Sein Vater, müſſen Sie
wiſſen, war genau ſo ein Jagdnarr wie er. Er ſchoß
hinter den Handwerksburſchen her, die auf den Hof
kamen, wenn auch nur in die Luft, um ihnen Schrecken
einzujagen. Er war auch ſehr jähzornig, wiſſen Sie,
wenn er getrunken hatte erſt recht. Nu hat wohl der
Beibſt mal gemuckſcht — er muckſcht gern, wiſſen Sie
— und da hat der Bauer die Flinte zu packen gekriegt
und ihm eine Ladung gegeben. Beibſt, wiſſen Sie,
war nämlich früher beim Nachbar Kahl für Kutſcher.
Loth. Frevel über Frevel, wohin man hört.
Helene (immer unſicherer und erregter). Ich hab auch ſchon
manchmal ſo bei mir gedacht....ſie haben mir Alle
mitunter ſchon ſo furchtbar leid gethan —: der alte
Beibſt und...... Wenn die Bauern ſo roh und
dumm ſind wie der — wie der Streckmann, der —
läßt ſeine Knechte hungern und füttert die Hunde mit
Conditorzeug. Hier bin ich wie dumm, ſeit ich aus der
Penſion zurück bin............
Ich hab auch mein Päckchen! — aber ich rede ja wohl
Unſinn — es intereſſirt Sie ja gar nicht — Sie lachen
mich im Stillen blos aus.
Loth. Aber Fräulein, wie können Sie nur....
weshalb ſollte ich Sie denn....
Helene. Nun, etwa nicht? Sie denken doch:
die iſt auch nicht beſſer wie die Anderen hier.
Loth. Ich denke von Niemand ſchlecht, Fräulein!
Helene. Das machen Sie mir nicht weiß....
nein, nein!
Loth. Aber Fräulein! wann hätte ich Ihnen Ver-
anlaſſung...
Helene (nahe am Weinen). Ach, reden Sie doch nicht!
4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |