Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889. Helene. Kann -- da haben Sie Recht! -- und wieso kann der nicht endigen -- der, den Sie kämpfen, Herr Loth? Loth. Ihr Kampf, das kann nur ein Kampf sein um persönliches Wohlergehen. Der Einzelne kann dies, so weit menschenmöglich, erreichen. Mein Kampf ist ein Kampf um das Glück Aller; sollte ich glücklich sein, so müßten es erst alle anderen Menschen um mich her- um sein; ich müßte um mich herum weder Krankheit noch Armuth, weder Knechtschaft noch Gemeinheit sehen. Ich könnte mich so zu sagen nur als Letzter an die Tafel setzen. Helene (mit Ueberzeugung). Dann sind Sie ja ein sehr, sehr guter Mensch! Loth (ein wenig betreten). Verdienst ist weiter nicht da- bei, Fräulein, ich bin so veranlagt. Ich muß übrigens sagen, daß mir der Kampf im Interesse des Fortschritts doch große Befriedigung gewährt. Eine Art Glück, die ich weit höher anschlage, als die, mit der sich der ge- meine Egoist zufrieden giebt. Helene. Es giebt wohl nur sehr wenige Menschen, die so veranlagt sind. -- Es muß ein Glück sein, mit solcher Veranlagung geboren zu sein. Loth. Geboren wird man wohl auch nicht damit. Man kommt dazu durch die Verkehrtheit unserer Ver- hältnisse, scheint mir; -- nur muß man für das Verkehrte einen Sinn haben: das ist es! Hat man den und leidet man so bewußt unter den verkehrten Verhältnissen, dann wird man mit Nothwendigkeit zu dem, was ich bin. Helene. Wenn ich Sie nur besser....welche Verhältnisse nennen Sie zum Beispiel verkehrt? Loth. Es ist zum Beispiel verkehrt, wenn der im Schweiße seines Angesichts Arbeitende hungert und der Faule im Ueberflusse leben darf. -- Es ist verkehrt, den Mord im Frieden zu bestrafen und den Mord im Krieg zu belohnen. Es ist verkehrt, den Henker zu ver- achten und selbst, wie es die Soldaten thun, mit einem Helene. Kann — da haben Sie Recht! — und wieſo kann der nicht endigen — der, den Sie kämpfen, Herr Loth? Loth. Ihr Kampf, das kann nur ein Kampf ſein um perſönliches Wohlergehen. Der Einzelne kann dies, ſo weit menſchenmöglich, erreichen. Mein Kampf iſt ein Kampf um das Glück Aller; ſollte ich glücklich ſein, ſo müßten es erſt alle anderen Menſchen um mich her- um ſein; ich müßte um mich herum weder Krankheit noch Armuth, weder Knechtſchaft noch Gemeinheit ſehen. Ich könnte mich ſo zu ſagen nur als Letzter an die Tafel ſetzen. Helene (mit Ueberzeugung). Dann ſind Sie ja ein ſehr, ſehr guter Menſch! Loth (ein wenig betreten). Verdienſt iſt weiter nicht da- bei, Fräulein, ich bin ſo veranlagt. Ich muß übrigens ſagen, daß mir der Kampf im Intereſſe des Fortſchritts doch große Befriedigung gewährt. Eine Art Glück, die ich weit höher anſchlage, als die, mit der ſich der ge- meine Egoiſt zufrieden giebt. Helene. Es giebt wohl nur ſehr wenige Menſchen, die ſo veranlagt ſind. — Es muß ein Glück ſein, mit ſolcher Veranlagung geboren zu ſein. Loth. Geboren wird man wohl auch nicht damit. Man kommt dazu durch die Verkehrtheit unſerer Ver- hältniſſe, ſcheint mir; — nur muß man für das Verkehrte einen Sinn haben: das iſt es! Hat man den und leidet man ſo bewußt unter den verkehrten Verhältniſſen, dann wird man mit Nothwendigkeit zu dem, was ich bin. Helene. Wenn ich Sie nur beſſer....welche Verhältniſſe nennen Sie zum Beiſpiel verkehrt? Loth. Es iſt zum Beiſpiel verkehrt, wenn der im Schweiße ſeines Angeſichts Arbeitende hungert und der Faule im Ueberfluſſe leben darf. — Es iſt verkehrt, den Mord im Frieden zu beſtrafen und den Mord im Krieg zu belohnen. 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ſo weit menſchenmöglich, erreichen. Mein Kampf iſt
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ſo müßten es erſt alle anderen Menſchen um mich her-
um ſein; ich müßte um mich herum weder Krankheit
noch Armuth, weder Knechtſchaft noch Gemeinheit ſehen.
Ich könnte mich ſo zu ſagen nur als Letzter an die
Tafel ſetzen.
Helene (mit Ueberzeugung). Dann ſind Sie ja ein
ſehr, ſehr guter Menſch!
Loth (ein wenig betreten). Verdienſt iſt weiter nicht da-
bei, Fräulein, ich bin ſo veranlagt. Ich muß übrigens
ſagen, daß mir der Kampf im Intereſſe des Fortſchritts
doch große Befriedigung gewährt. Eine Art Glück, die
ich weit höher anſchlage, als die, mit der ſich der ge-
meine Egoiſt zufrieden giebt.
Helene. Es giebt wohl nur ſehr wenige Menſchen,
die ſo veranlagt ſind. — Es muß ein Glück ſein, mit
ſolcher Veranlagung geboren zu ſein.
Loth. Geboren wird man wohl auch nicht damit.
Man kommt dazu durch die Verkehrtheit unſerer Ver-
hältniſſe, ſcheint mir; — nur muß man für das Verkehrte
einen Sinn haben: das iſt es! Hat man den und
leidet man ſo bewußt unter den verkehrten Verhältniſſen,
dann wird man mit Nothwendigkeit zu dem, was ich bin.
Helene. Wenn ich Sie nur beſſer....welche
Verhältniſſe nennen Sie zum Beiſpiel verkehrt?
Loth. Es iſt zum Beiſpiel verkehrt, wenn der
im Schweiße ſeines Angeſichts Arbeitende hungert und
der Faule im Ueberfluſſe leben darf. — Es iſt verkehrt,
den Mord im Frieden zu beſtrafen und den Mord im
Krieg zu belohnen. Es iſt verkehrt, den Henker zu ver-
achten und ſelbſt, wie es die Soldaten thun, mit einem
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