Hauptmann, Gerhart: Vor Sonnenaufgang. Berlin, 1889. Helene. Nicht 'mal das giebt es. Die Bauern spielen, jagen, trinken...was sieht man den ganzen Tag? (sie ist vor das Fenster getreten und weist mit der Hand hinaus) hauptsächlich solche Gestalten. Loth. Hm! Bergleute. Helene. Welche gehen zur Grube, welche kommen von der Grube: das hört nicht auf. -- Wenigstens ich sehe immer Bergleute. Denken Sie, daß ich alleine auf die Straße mag? höchstens auf die Felder, durch das Hinterthor. Es ist ein zu rohes Pack! -- und wie sie einen immer anglotzen, so schrecklich finster -- als ob man geradezu was verbrochen hätte. Im Winter, wenn wir so manchmal Schlitten ge- fahren sind und sie kommen dann in der Dunkelei in großen Trupps über die Berge, im Schneegestöber und sie sollen ausweichen, da gehen sie vor den Pferden her und weichen nicht aus. Da nehmen die Bauern manch- mal den Peitschenstiel, anders kommen sie nicht durch. Ach, und dann schimpfen sie hinterher. Hu! ich habe mich manchmal so entsetzlich geängstigt. Loth. Und nun denken Sie an: Gerade um dieser Menschen willen -- vor denen Sie sich so sehr fürchten, bin ich hierher gekommen. Helene. Neinaber... Loth. Ganz im Ernst, sie interessiren mich hier mehr als Alles andere. Helene. Niemand ausgenommen? Loth. Nein. Helene. Auch mein Schwager nicht ausgenommen? Loth. Nein! -- das Interesse für diese Menschen ist ein ganz anderes, -- höheres...verzeihen Sie, Fräulein! Sie können das am Ende doch wohl nicht verstehen. Helene. Wieso nicht? ich verstehe Sie sehr gut, Sie... (sie läßt einen Brief aus der Tasche gleiten, Loth bückt sich darnach) ach, lassen Sie...es ist nicht wichtig, nur eine gleich- gültige Pensionscorrespondenz. Helene. Nicht 'mal das giebt es. Die Bauern ſpielen, jagen, trinken...was ſieht man den ganzen Tag? (ſie iſt vor das Fenſter getreten und weiſt mit der Hand hinaus) hauptſächlich ſolche Geſtalten. Loth. Hm! Bergleute. Helene. Welche gehen zur Grube, welche kommen von der Grube: das hört nicht auf. — Wenigſtens ich ſehe immer Bergleute. Denken Sie, daß ich alleine auf die Straße mag? höchſtens auf die Felder, durch das Hinterthor. Es iſt ein zu rohes Pack! — und wie ſie einen immer anglotzen, ſo ſchrecklich finſter — als ob man geradezu was verbrochen hätte. Im Winter, wenn wir ſo manchmal Schlitten ge- fahren ſind und ſie kommen dann in der Dunkelei in großen Trupps über die Berge, im Schneegeſtöber und ſie ſollen ausweichen, da gehen ſie vor den Pferden her und weichen nicht aus. Da nehmen die Bauern manch- mal den Peitſchenſtiel, anders kommen ſie nicht durch. Ach, und dann ſchimpfen ſie hinterher. Hu! ich habe mich manchmal ſo entſetzlich geängſtigt. Loth. Und nun denken Sie an: Gerade um dieſer Menſchen willen — vor denen Sie ſich ſo ſehr fürchten, bin ich hierher gekommen. Helene. Neinaber... Loth. Ganz im Ernſt, ſie intereſſiren mich hier mehr als Alles andere. Helene. Niemand ausgenommen? Loth. Nein. Helene. Auch mein Schwager nicht ausgenommen? Loth. Nein! — das Intereſſe für dieſe Menſchen iſt ein ganz anderes, — höheres...verzeihen Sie, Fräulein! Sie können das am Ende doch wohl nicht verſtehen. Helene. Wieſo nicht? ich verſtehe Sie ſehr gut, Sie... (ſie läßt einen Brief aus der Taſche gleiten, Loth bückt ſich darnach) ach, laſſen Sie...es iſt nicht wichtig, nur eine gleich- gültige Penſionscorreſpondenz. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0028" n="22"/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Nicht 'mal <hi rendition="#g">das</hi> giebt es. Die Bauern<lb/><hi rendition="#g">ſpielen</hi>, <hi rendition="#g">jagen</hi>, <hi rendition="#g">trinken</hi>...was ſieht man den<lb/> ganzen Tag? <stage>(ſie iſt vor das Fenſter getreten und weiſt mit der Hand<lb/> hinaus)</stage> hauptſächlich ſolche Geſtalten.</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Hm! Bergleute.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p><hi rendition="#g">Welche</hi> gehen zur Grube, <hi rendition="#g">welche</hi> kommen<lb/> von der Grube: das hört nicht auf. — Wenigſtens ich<lb/> ſehe <hi rendition="#g">immer</hi> Bergleute. Denken Sie, daß ich alleine<lb/> auf die Straße mag? höchſtens auf die Felder, durch<lb/> das Hinterthor. Es iſt ein zu rohes Pack! — und wie<lb/> ſie einen immer anglotzen, ſo ſchrecklich finſter — als ob<lb/> man geradezu was verbrochen hätte.</p><lb/> <p>Im Winter, wenn wir ſo manchmal Schlitten ge-<lb/> fahren ſind und ſie kommen dann in der Dunkelei in<lb/> großen Trupps über die Berge, im Schneegeſtöber und<lb/> ſie ſollen ausweichen, da gehen ſie vor den Pferden her<lb/> und weichen nicht aus. Da nehmen die Bauern manch-<lb/> mal den Peitſchenſtiel, anders kommen ſie nicht durch.<lb/> Ach, und dann ſchimpfen ſie hinterher. Hu! ich habe<lb/> mich manchmal ſo entſetzlich geängſtigt.</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Und nun denken Sie an: Gerade um<lb/> dieſer Menſchen willen — vor denen Sie ſich ſo ſehr<lb/> fürchten, bin ich hierher gekommen.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Neinaber...</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Ganz im Ernſt, ſie intereſſiren mich hier<lb/> mehr als Alles andere.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Niemand ausgenommen?</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Nein.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Auch mein Schwager nicht ausgenommen?</p> </sp><lb/> <sp who="#LOT"> <speaker><hi rendition="#g">Loth</hi>.</speaker> <p>Nein! — das Intereſſe für dieſe Menſchen<lb/> iſt ein ganz anderes, — höheres...verzeihen Sie,<lb/> Fräulein! Sie können das am Ende doch wohl nicht<lb/> verſtehen.</p> </sp><lb/> <sp who="#HEL"> <speaker><hi rendition="#g">Helene</hi>.</speaker> <p>Wieſo nicht? ich verſtehe Sie ſehr gut,<lb/> Sie...<stage>(ſie läßt einen Brief aus der Taſche gleiten, Loth bückt ſich darnach)</stage><lb/> ach, laſſen Sie...es iſt nicht wichtig, nur eine gleich-<lb/> gültige Penſionscorreſpondenz.</p> </sp><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [22/0028]
Helene. Nicht 'mal das giebt es. Die Bauern
ſpielen, jagen, trinken...was ſieht man den
ganzen Tag? (ſie iſt vor das Fenſter getreten und weiſt mit der Hand
hinaus) hauptſächlich ſolche Geſtalten.
Loth. Hm! Bergleute.
Helene. Welche gehen zur Grube, welche kommen
von der Grube: das hört nicht auf. — Wenigſtens ich
ſehe immer Bergleute. Denken Sie, daß ich alleine
auf die Straße mag? höchſtens auf die Felder, durch
das Hinterthor. Es iſt ein zu rohes Pack! — und wie
ſie einen immer anglotzen, ſo ſchrecklich finſter — als ob
man geradezu was verbrochen hätte.
Im Winter, wenn wir ſo manchmal Schlitten ge-
fahren ſind und ſie kommen dann in der Dunkelei in
großen Trupps über die Berge, im Schneegeſtöber und
ſie ſollen ausweichen, da gehen ſie vor den Pferden her
und weichen nicht aus. Da nehmen die Bauern manch-
mal den Peitſchenſtiel, anders kommen ſie nicht durch.
Ach, und dann ſchimpfen ſie hinterher. Hu! ich habe
mich manchmal ſo entſetzlich geängſtigt.
Loth. Und nun denken Sie an: Gerade um
dieſer Menſchen willen — vor denen Sie ſich ſo ſehr
fürchten, bin ich hierher gekommen.
Helene. Neinaber...
Loth. Ganz im Ernſt, ſie intereſſiren mich hier
mehr als Alles andere.
Helene. Niemand ausgenommen?
Loth. Nein.
Helene. Auch mein Schwager nicht ausgenommen?
Loth. Nein! — das Intereſſe für dieſe Menſchen
iſt ein ganz anderes, — höheres...verzeihen Sie,
Fräulein! Sie können das am Ende doch wohl nicht
verſtehen.
Helene. Wieſo nicht? ich verſtehe Sie ſehr gut,
Sie...(ſie läßt einen Brief aus der Taſche gleiten, Loth bückt ſich darnach)
ach, laſſen Sie...es iſt nicht wichtig, nur eine gleich-
gültige Penſionscorreſpondenz.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |