Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.klopfte einen Bettteppich aus. Ein Student, Mit jedem Schritt unter so viel Stichen Nun schien es ihm auf einmal, als ob alles 6
klopfte einen Bettteppich aus. Ein Student, Mit jedem Schritt unter ſo viel Stichen Nun ſchien es ihm auf einmal, als ob alles 6
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0095" n="81"/> klopfte einen Bettteppich aus. Ein Student,<lb/> ſchwarzhaarig, mit wulſtigen Lippen, augen¬<lb/> ſcheinlich ein Ruſſe, drehte auf dem Fenſterbrett<lb/> ſeine Frühſtückscigarrette. Und ſchon wurde es<lb/> lebendiger auf der Straße. Die Augen auf<lb/> den Boden geheftet, unterließ er es doch nicht,<lb/> verſtohlen zu beobachten. Oft ſah er mittenhinein<lb/> in ein breites, freches Lachen. Oft bemerkte<lb/> er, wie Staunen den Spott bannte. Aber hinter<lb/> ſeinem Rücken befreite ſich dann der Spott und<lb/> dreiſte Reden, ſpitz und beißend, flogen ihm nach.</p><lb/> <p>Mit jedem Schritt unter ſo viel Stichen<lb/> und Schlägen wurde ihm alltäglicher zu<lb/> Sinn. Ein Krampf ſaß ihm in der Kehle.<lb/> Der alte, bittere, hoffnungsloſe Gram trat hervor.<lb/> Wie eine Mauer, dick, unüberſteiglich, richtete<lb/> ſie ſich auf vor ihm, die grauſame Blindheit<lb/> der Menſchen.</p><lb/> <p>Nun ſchien es ihm auf einmal, als ob alles<lb/> Leugnen unnütz ſei. Er war doch wohl nur<lb/> eine eitle, kleine, flache Natur. Ihm geſchah<lb/> doch wohl recht, wenn man ihn verhöhnte und<lb/> verſpottete. So empfand er minutenlang die<lb/> Pein und Scham eines entlarvten Hochſtaplers<lb/> und den Wunſch von aller Welt fortzulaufen,<lb/> ſich zu verkriechen, zu verſtecken, oder auf irgend<lb/> <fw place="bottom" type="sig">6<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [81/0095]
klopfte einen Bettteppich aus. Ein Student,
ſchwarzhaarig, mit wulſtigen Lippen, augen¬
ſcheinlich ein Ruſſe, drehte auf dem Fenſterbrett
ſeine Frühſtückscigarrette. Und ſchon wurde es
lebendiger auf der Straße. Die Augen auf
den Boden geheftet, unterließ er es doch nicht,
verſtohlen zu beobachten. Oft ſah er mittenhinein
in ein breites, freches Lachen. Oft bemerkte
er, wie Staunen den Spott bannte. Aber hinter
ſeinem Rücken befreite ſich dann der Spott und
dreiſte Reden, ſpitz und beißend, flogen ihm nach.
Mit jedem Schritt unter ſo viel Stichen
und Schlägen wurde ihm alltäglicher zu
Sinn. Ein Krampf ſaß ihm in der Kehle.
Der alte, bittere, hoffnungsloſe Gram trat hervor.
Wie eine Mauer, dick, unüberſteiglich, richtete
ſie ſich auf vor ihm, die grauſame Blindheit
der Menſchen.
Nun ſchien es ihm auf einmal, als ob alles
Leugnen unnütz ſei. Er war doch wohl nur
eine eitle, kleine, flache Natur. Ihm geſchah
doch wohl recht, wenn man ihn verhöhnte und
verſpottete. So empfand er minutenlang die
Pein und Scham eines entlarvten Hochſtaplers
und den Wunſch von aller Welt fortzulaufen,
ſich zu verkriechen, zu verſtecken, oder auf irgend
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Zitationshilfe: | Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/95>, abgerufen am 07.07.2024. |