Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

etwas -- er hatte mehr mitzuteilen als sie. Es
gab ein Wort, ein einziges wundervolles
Wortjuwel: Friede! Darin lag es, was er
brachte, darin lag alles verschlossen -- alles --
alles.

Blutgeruch lag über der Welt. Das fließende
Blut war das Zeichen des Kampfes. Diesen
Kampf hörte er toben, unaufhörlich, im Wachen
und Schlafen. Es waren Brüder und Brüder,
Schwestern und Schwestern, die sich erschlugen.
Er liebte sie alle, er sah ihr Wüten und rang
die Hände in Schmerz und Verzweiflung.

Mit der Stimme des Donners reden zu
können, wünschte er glühend. Angesichts der
tosenden Schlacht, auf einem Felsblock, allen
sichtbar, stehend, mußte man rufen und winken.
Zu warnen vor dem Bruder- und Schwester¬
mord, hinzuweisen auf den Weg zum Frieden
war eine Forderung des Gewissens.

Er kannte diesen Weg. Man betrat ihn
durch ein Thor, mit der Aufschrift: Natur.

Mut und Eifer hatte die Angst seiner Seele
allmählich wieder verdrängt. Er ging nicht
wissend wohin, predigend im Geiste und bei
sich selbst zu allem Volke redend: Ihr seid
Fresser und Weinsäufer. Auf euren Tafeln

etwas — er hatte mehr mitzuteilen als ſie. Es
gab ein Wort, ein einziges wundervolles
Wortjuwel: Friede! Darin lag es, was er
brachte, darin lag alles verſchloſſen — alles —
alles.

Blutgeruch lag über der Welt. Das fließende
Blut war das Zeichen des Kampfes. Dieſen
Kampf hörte er toben, unaufhörlich, im Wachen
und Schlafen. Es waren Brüder und Brüder,
Schweſtern und Schweſtern, die ſich erſchlugen.
Er liebte ſie alle, er ſah ihr Wüten und rang
die Hände in Schmerz und Verzweiflung.

Mit der Stimme des Donners reden zu
können, wünſchte er glühend. Angeſichts der
toſenden Schlacht, auf einem Felsblock, allen
ſichtbar, ſtehend, mußte man rufen und winken.
Zu warnen vor dem Bruder- und Schweſter¬
mord, hinzuweiſen auf den Weg zum Frieden
war eine Forderung des Gewiſſens.

Er kannte dieſen Weg. Man betrat ihn
durch ein Thor, mit der Aufſchrift: Natur.

Mut und Eifer hatte die Angſt ſeiner Seele
allmählich wieder verdrängt. Er ging nicht
wiſſend wohin, predigend im Geiſte und bei
ſich ſelbſt zu allem Volke redend: Ihr ſeid
Freſſer und Weinſäufer. Auf euren Tafeln

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0089" n="75"/>
etwas &#x2014; er hatte mehr mitzuteilen als &#x017F;ie. Es<lb/>
gab ein Wort, ein einziges wundervolles<lb/>
Wortjuwel: Friede! Darin lag es, was er<lb/>
brachte, darin lag alles ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x2014; alles &#x2014;<lb/>
alles.</p><lb/>
          <p>Blutgeruch lag über der Welt. Das fließende<lb/>
Blut war das Zeichen des Kampfes. Die&#x017F;en<lb/>
Kampf hörte er toben, unaufhörlich, im Wachen<lb/>
und Schlafen. Es waren Brüder und Brüder,<lb/>
Schwe&#x017F;tern und Schwe&#x017F;tern, die &#x017F;ich er&#x017F;chlugen.<lb/>
Er liebte &#x017F;ie alle, er &#x017F;ah ihr Wüten und rang<lb/>
die Hände in Schmerz und Verzweiflung.</p><lb/>
          <p>Mit der Stimme des Donners reden zu<lb/>
können, wün&#x017F;chte er glühend. Ange&#x017F;ichts der<lb/>
to&#x017F;enden Schlacht, auf einem Felsblock, allen<lb/>
&#x017F;ichtbar, &#x017F;tehend, mußte man rufen und winken.<lb/>
Zu warnen vor dem Bruder- und Schwe&#x017F;ter¬<lb/>
mord, hinzuwei&#x017F;en auf den Weg zum Frieden<lb/>
war eine Forderung des Gewi&#x017F;&#x017F;ens.</p><lb/>
          <p>Er kannte die&#x017F;en Weg. Man betrat ihn<lb/>
durch ein Thor, mit der Auf&#x017F;chrift: Natur.</p><lb/>
          <p>Mut und Eifer hatte die Ang&#x017F;t &#x017F;einer Seele<lb/>
allmählich wieder verdrängt. Er ging nicht<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;end wohin, predigend im Gei&#x017F;te und bei<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu allem Volke redend: Ihr &#x017F;eid<lb/>
Fre&#x017F;&#x017F;er und Wein&#x017F;äufer. Auf euren Tafeln<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0089] etwas — er hatte mehr mitzuteilen als ſie. Es gab ein Wort, ein einziges wundervolles Wortjuwel: Friede! Darin lag es, was er brachte, darin lag alles verſchloſſen — alles — alles. Blutgeruch lag über der Welt. Das fließende Blut war das Zeichen des Kampfes. Dieſen Kampf hörte er toben, unaufhörlich, im Wachen und Schlafen. Es waren Brüder und Brüder, Schweſtern und Schweſtern, die ſich erſchlugen. Er liebte ſie alle, er ſah ihr Wüten und rang die Hände in Schmerz und Verzweiflung. Mit der Stimme des Donners reden zu können, wünſchte er glühend. Angeſichts der toſenden Schlacht, auf einem Felsblock, allen ſichtbar, ſtehend, mußte man rufen und winken. Zu warnen vor dem Bruder- und Schweſter¬ mord, hinzuweiſen auf den Weg zum Frieden war eine Forderung des Gewiſſens. Er kannte dieſen Weg. Man betrat ihn durch ein Thor, mit der Aufſchrift: Natur. Mut und Eifer hatte die Angſt ſeiner Seele allmählich wieder verdrängt. Er ging nicht wiſſend wohin, predigend im Geiſte und bei ſich ſelbſt zu allem Volke redend: Ihr ſeid Freſſer und Weinſäufer. Auf euren Tafeln

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/89
Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/89>, abgerufen am 04.12.2024.