Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.schlecht doch nicht geworden sein, wenn sie so klare schöne Lieder haben und singen. Ach, Herr! sprach ich bekümmert, es giebt der Ueberschwänglichen gar viele, das sind die Pietisten in der Poesie, und wollen solch Lied gar nicht für ein Gedicht gelten lassen, wie manchen Frömmlern das Vaterunser nicht mystisch genug zum Beten ist. Es hat zu jeder Zeit Narren gegeben, Herr! erwiderte mir Petrus, und Jeder fegt am besten vor seiner eigenen Thüre. Aber weil wir gerade bei Seinem Geschlecht sind, erzähl' Er uns doch, wie es auf der Erde ging im letzten Jahre? Wenn es die Herren und Damen interessirt, -- sprach ich zögernd. Immer zu! rief Roland, wegen meiner könntet Ihr die letzten fünfhundert Jahre erzählen, denn auf meinem Domhof sehe ich nichts als Cigarrenmacher, Weinbrauer, Pfarrer und alte Weiber. Auch die Uebrigen stimmten mit ein; ich hub also an: Was zuerst die deutsche Literatur betrifft -- Halt! manum de tabula! rief Paulus, was scheeren wir uns um Euer miserables Geschmier, um Eure kleinlichen ekelhaften Gassenstreite und Kneipenraufereien, um Eure Poetaster, Afterpropheten und -- Ich erschrak; wenn diesen Leuten nicht einmal unsere wunderherrliche, magnifique Literatur interessant war, was konnte ich ihnen denn sagen? Ich besann schlecht doch nicht geworden sein, wenn sie so klare schöne Lieder haben und singen. Ach, Herr! sprach ich bekümmert, es giebt der Ueberschwänglichen gar viele, das sind die Pietisten in der Poesie, und wollen solch Lied gar nicht für ein Gedicht gelten lassen, wie manchen Frömmlern das Vaterunser nicht mystisch genug zum Beten ist. Es hat zu jeder Zeit Narren gegeben, Herr! erwiderte mir Petrus, und Jeder fegt am besten vor seiner eigenen Thüre. Aber weil wir gerade bei Seinem Geschlecht sind, erzähl' Er uns doch, wie es auf der Erde ging im letzten Jahre? Wenn es die Herren und Damen interessirt, — sprach ich zögernd. Immer zu! rief Roland, wegen meiner könntet Ihr die letzten fünfhundert Jahre erzählen, denn auf meinem Domhof sehe ich nichts als Cigarrenmacher, Weinbrauer, Pfarrer und alte Weiber. Auch die Uebrigen stimmten mit ein; ich hub also an: Was zuerst die deutsche Literatur betrifft — Halt! manum de tabula! rief Paulus, was scheeren wir uns um Euer miserables Geschmier, um Eure kleinlichen ekelhaften Gassenstreite und Kneipenraufereien, um Eure Poetaster, Afterpropheten und — Ich erschrak; wenn diesen Leuten nicht einmal unsere wunderherrliche, magnifique Literatur interessant war, was konnte ich ihnen denn sagen? Ich besann <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0072"/> schlecht doch nicht geworden sein, wenn sie so klare schöne Lieder haben und singen.</p><lb/> <p>Ach, Herr! sprach ich bekümmert, es giebt der Ueberschwänglichen gar viele, das sind die Pietisten in der Poesie, und wollen solch Lied gar nicht für ein Gedicht gelten lassen, wie manchen Frömmlern das Vaterunser nicht mystisch genug zum Beten ist.</p><lb/> <p>Es hat zu jeder Zeit Narren gegeben, Herr! erwiderte mir Petrus, und Jeder fegt am besten vor seiner eigenen Thüre. Aber weil wir gerade bei Seinem Geschlecht sind, erzähl' Er uns doch, wie es auf der Erde ging im letzten Jahre?</p><lb/> <p>Wenn es die Herren und Damen interessirt, — sprach ich zögernd.</p><lb/> <p>Immer zu! rief Roland, wegen meiner könntet Ihr die letzten fünfhundert Jahre erzählen, denn auf meinem Domhof sehe ich nichts als Cigarrenmacher, Weinbrauer, Pfarrer und alte Weiber. Auch die Uebrigen stimmten mit ein; ich hub also an:</p><lb/> <p>Was zuerst die deutsche Literatur betrifft — Halt! manum de tabula! rief Paulus, was scheeren wir uns um Euer miserables Geschmier, um Eure kleinlichen ekelhaften Gassenstreite und Kneipenraufereien, um Eure Poetaster, Afterpropheten und —</p><lb/> <p>Ich erschrak; wenn diesen Leuten nicht einmal unsere wunderherrliche, magnifique Literatur interessant war, was konnte ich ihnen denn sagen? Ich besann<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
schlecht doch nicht geworden sein, wenn sie so klare schöne Lieder haben und singen.
Ach, Herr! sprach ich bekümmert, es giebt der Ueberschwänglichen gar viele, das sind die Pietisten in der Poesie, und wollen solch Lied gar nicht für ein Gedicht gelten lassen, wie manchen Frömmlern das Vaterunser nicht mystisch genug zum Beten ist.
Es hat zu jeder Zeit Narren gegeben, Herr! erwiderte mir Petrus, und Jeder fegt am besten vor seiner eigenen Thüre. Aber weil wir gerade bei Seinem Geschlecht sind, erzähl' Er uns doch, wie es auf der Erde ging im letzten Jahre?
Wenn es die Herren und Damen interessirt, — sprach ich zögernd.
Immer zu! rief Roland, wegen meiner könntet Ihr die letzten fünfhundert Jahre erzählen, denn auf meinem Domhof sehe ich nichts als Cigarrenmacher, Weinbrauer, Pfarrer und alte Weiber. Auch die Uebrigen stimmten mit ein; ich hub also an:
Was zuerst die deutsche Literatur betrifft — Halt! manum de tabula! rief Paulus, was scheeren wir uns um Euer miserables Geschmier, um Eure kleinlichen ekelhaften Gassenstreite und Kneipenraufereien, um Eure Poetaster, Afterpropheten und —
Ich erschrak; wenn diesen Leuten nicht einmal unsere wunderherrliche, magnifique Literatur interessant war, was konnte ich ihnen denn sagen? Ich besann
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Zitationshilfe: | Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910/72>, abgerufen am 16.07.2024. |