Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.die Hände, und Andreas hauchte einen Kuß auf meine Lippen. Doktor! rief Bacchus, Doktor, welch ein Lied! wie geht einem da das Herz auf! Herzensdoktor, hast du das Lied gedichtet in deinem eigenen graduirten Gehirn? Nein, Euer Excellenz! solch ein Meister des Gesanges bin ich nicht. Aber den, der es gedichtet, haben sie längst begraben; er hieß Matthias Claudius! Sie haben -- einen guten Mann begraben, sagte Paulus. Wie klar und munter ist dies Lied, so klar und hell wie echter Wein, so muthig und munter wie der Geist, der im Weine wohnet, und gewürzt mit Scherz und Laune, die wie ein würziger Duft aus dem Römer steigen; der Mann hat gewiß verstanden, welch gutes Ding es um ein Glas lautern Weines ist. Herr, er ist lange todt, das weiß ich, aber ein anderer großer Sterblicher hat gesagt: "guter Wein ist ein gutes geselliges Ding, und jeder Mensch kann sich wohl einmal von ihm begeistern lassen!" Und ich denke, der alte Matthias hat auch so gedacht unter guten Freunden, hätte ja sonst solch ein schönes Lied nicht machen können, das noch heute alle fröhlichen Menschen singen, die im Rheingau wandeln oder edeln Rheinwein trinken. Singen sie das? rief Bacchus, nun seht, Doktor, das freut mich, und so gar miserabel muß Euer Ge- die Hände, und Andreas hauchte einen Kuß auf meine Lippen. Doktor! rief Bacchus, Doktor, welch ein Lied! wie geht einem da das Herz auf! Herzensdoktor, hast du das Lied gedichtet in deinem eigenen graduirten Gehirn? Nein, Euer Excellenz! solch ein Meister des Gesanges bin ich nicht. Aber den, der es gedichtet, haben sie längst begraben; er hieß Matthias Claudius! Sie haben — einen guten Mann begraben, sagte Paulus. Wie klar und munter ist dies Lied, so klar und hell wie echter Wein, so muthig und munter wie der Geist, der im Weine wohnet, und gewürzt mit Scherz und Laune, die wie ein würziger Duft aus dem Römer steigen; der Mann hat gewiß verstanden, welch gutes Ding es um ein Glas lautern Weines ist. Herr, er ist lange todt, das weiß ich, aber ein anderer großer Sterblicher hat gesagt: „guter Wein ist ein gutes geselliges Ding, und jeder Mensch kann sich wohl einmal von ihm begeistern lassen!“ Und ich denke, der alte Matthias hat auch so gedacht unter guten Freunden, hätte ja sonst solch ein schönes Lied nicht machen können, das noch heute alle fröhlichen Menschen singen, die im Rheingau wandeln oder edeln Rheinwein trinken. Singen sie das? rief Bacchus, nun seht, Doktor, das freut mich, und so gar miserabel muß Euer Ge- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0071"/> die Hände, und Andreas hauchte einen Kuß auf meine Lippen.</p><lb/> <p>Doktor! rief Bacchus, Doktor, welch ein Lied! wie geht einem da das Herz auf! Herzensdoktor, hast du das Lied gedichtet in deinem eigenen graduirten Gehirn?</p><lb/> <p>Nein, Euer Excellenz! solch ein Meister des Gesanges bin ich nicht. Aber den, der es gedichtet, haben sie längst begraben; er hieß Matthias Claudius!</p><lb/> <p>Sie haben — einen guten Mann begraben, sagte Paulus. Wie klar und munter ist dies Lied, so klar und hell wie echter Wein, so muthig und munter wie der Geist, der im Weine wohnet, und gewürzt mit Scherz und Laune, die wie ein würziger Duft aus dem Römer steigen; der Mann hat gewiß verstanden, welch gutes Ding es um ein Glas lautern Weines ist.</p><lb/> <p>Herr, er ist lange todt, das weiß ich, aber ein anderer großer Sterblicher hat gesagt: „guter Wein ist ein gutes geselliges Ding, und jeder Mensch kann sich wohl einmal von ihm begeistern lassen!“ Und ich denke, der alte Matthias hat auch so gedacht unter guten Freunden, hätte ja sonst solch ein schönes Lied nicht machen können, das noch heute alle fröhlichen Menschen singen, die im Rheingau wandeln oder edeln Rheinwein trinken.</p><lb/> <p>Singen sie das? rief Bacchus, nun seht, Doktor, das freut mich, und so gar miserabel muß Euer Ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0071]
die Hände, und Andreas hauchte einen Kuß auf meine Lippen.
Doktor! rief Bacchus, Doktor, welch ein Lied! wie geht einem da das Herz auf! Herzensdoktor, hast du das Lied gedichtet in deinem eigenen graduirten Gehirn?
Nein, Euer Excellenz! solch ein Meister des Gesanges bin ich nicht. Aber den, der es gedichtet, haben sie längst begraben; er hieß Matthias Claudius!
Sie haben — einen guten Mann begraben, sagte Paulus. Wie klar und munter ist dies Lied, so klar und hell wie echter Wein, so muthig und munter wie der Geist, der im Weine wohnet, und gewürzt mit Scherz und Laune, die wie ein würziger Duft aus dem Römer steigen; der Mann hat gewiß verstanden, welch gutes Ding es um ein Glas lautern Weines ist.
Herr, er ist lange todt, das weiß ich, aber ein anderer großer Sterblicher hat gesagt: „guter Wein ist ein gutes geselliges Ding, und jeder Mensch kann sich wohl einmal von ihm begeistern lassen!“ Und ich denke, der alte Matthias hat auch so gedacht unter guten Freunden, hätte ja sonst solch ein schönes Lied nicht machen können, das noch heute alle fröhlichen Menschen singen, die im Rheingau wandeln oder edeln Rheinwein trinken.
Singen sie das? rief Bacchus, nun seht, Doktor, das freut mich, und so gar miserabel muß Euer Ge-
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Zitationshilfe: | Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910/71>, abgerufen am 16.02.2025. |