Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ein längeres Leben, das den Schöpfungen des Dichters eine größere Tiefe zu geben pflegt, dem Talent Wilhelm Hauff's nicht vielleicht seinen eigenthümlichsten Charakter, den einer sinnig-phantastischen Harmlosigkeit, abgestreift hätte, ist eine jener eben so wohlaufzuwerfenden wie müßigen Fragen. Den Herausgebern des "Novellenschatzes" drängte sie sich aber nahe genug auf, als sie von diesem trefflichen Novellisten doch keine eigentliche Novelle als das Meister- und Musterstück erwählen konnten, sondern die mit Recht berühmten "Phantasieen im Bremer Rathskeller" (Stuttgart 1827; mit Illustrationen Bremen 1849) für diejenige seiner Schöpfungen erkennen mußten, in welcher Geist und Natur des Dichters sich am glänzendsten offenbart haben. Der Zug zum Mär- chen, der sprudelnde Humor und die Kraft der Darstellung, die seltsamer Weise bei Hauff an sinnlicher Schärfe zunimmt, je mehr die Erfindung den Boden der Wirklichkeit verläßt, finden sich in diesem classischen Capriccio so glücklich vereinigt, daß es überall mitgenannt werden muß, wo von deutscher Erzählungskunst die Rede ist. Durch Aufnahme desselben in unsern "Novellenschatz" fürchten wir auch nicht, die dieser Gattung gesteckte Grenze ungebührlich zu überschreiten. Haben wir bei der "Neuen Melusine" gefunden, daß sie durch ihre Rahmenerzählung -- die allerdings etwas ausgeführter zu sein verdiente -- zur Novelle gestempelt wird, so scheint uns dies bei den phantastischen Gebilden des Bremer Rathskellers nicht weniger der Fall zu sein. Ja während man in der Novelle "Irrwisch-Fritze" beinahe Gefahr läuft, von den Irrlichtern ein wenig "getückt" zu werden, steht man mit den viel wunderbareren Gestalten des Rathskellers auf "durchaus natürlichem Boden", indem der Dichter im stets gegenwärtigen Rahmen mit der anmuthigsten Ironie gegen sich selbst die Geburtsstätte dieser Geister durchsichtig andeutet. Freilich ist es nicht die gemeine Wirkung des Weines, es ist "des Dichters Aug', in schönem Wahnsinn rollend", das diese Geschichte hervorrief, in welcher ein inneres Erlebniß eines reichbegabten Menschenkindes lebendig an uns vorübergeht ein längeres Leben, das den Schöpfungen des Dichters eine größere Tiefe zu geben pflegt, dem Talent Wilhelm Hauff's nicht vielleicht seinen eigenthümlichsten Charakter, den einer sinnig-phantastischen Harmlosigkeit, abgestreift hätte, ist eine jener eben so wohlaufzuwerfenden wie müßigen Fragen. Den Herausgebern des „Novellenschatzes“ drängte sie sich aber nahe genug auf, als sie von diesem trefflichen Novellisten doch keine eigentliche Novelle als das Meister- und Musterstück erwählen konnten, sondern die mit Recht berühmten „Phantasieen im Bremer Rathskeller“ (Stuttgart 1827; mit Illustrationen Bremen 1849) für diejenige seiner Schöpfungen erkennen mußten, in welcher Geist und Natur des Dichters sich am glänzendsten offenbart haben. Der Zug zum Mär- chen, der sprudelnde Humor und die Kraft der Darstellung, die seltsamer Weise bei Hauff an sinnlicher Schärfe zunimmt, je mehr die Erfindung den Boden der Wirklichkeit verläßt, finden sich in diesem classischen Capriccio so glücklich vereinigt, daß es überall mitgenannt werden muß, wo von deutscher Erzählungskunst die Rede ist. Durch Aufnahme desselben in unsern „Novellenschatz“ fürchten wir auch nicht, die dieser Gattung gesteckte Grenze ungebührlich zu überschreiten. Haben wir bei der „Neuen Melusine“ gefunden, daß sie durch ihre Rahmenerzählung — die allerdings etwas ausgeführter zu sein verdiente — zur Novelle gestempelt wird, so scheint uns dies bei den phantastischen Gebilden des Bremer Rathskellers nicht weniger der Fall zu sein. Ja während man in der Novelle „Irrwisch-Fritze“ beinahe Gefahr läuft, von den Irrlichtern ein wenig „getückt“ zu werden, steht man mit den viel wunderbareren Gestalten des Rathskellers auf „durchaus natürlichem Boden“, indem der Dichter im stets gegenwärtigen Rahmen mit der anmuthigsten Ironie gegen sich selbst die Geburtsstätte dieser Geister durchsichtig andeutet. Freilich ist es nicht die gemeine Wirkung des Weines, es ist „des Dichters Aug', in schönem Wahnsinn rollend“, das diese Geschichte hervorrief, in welcher ein inneres Erlebniß eines reichbegabten Menschenkindes lebendig an uns vorübergeht <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0006"/> ein längeres Leben, das den Schöpfungen des Dichters eine größere Tiefe zu geben pflegt, dem Talent Wilhelm Hauff's nicht vielleicht seinen eigenthümlichsten Charakter, den einer sinnig-phantastischen Harmlosigkeit, abgestreift hätte, ist eine jener eben so wohlaufzuwerfenden wie müßigen Fragen. Den Herausgebern des „Novellenschatzes“ drängte sie sich aber nahe genug auf, als sie von diesem trefflichen Novellisten doch keine eigentliche Novelle als das Meister- und Musterstück erwählen konnten, sondern die mit Recht berühmten „Phantasieen im Bremer Rathskeller“ (Stuttgart 1827; mit Illustrationen Bremen 1849) für diejenige seiner Schöpfungen erkennen mußten, in welcher Geist und Natur des Dichters sich am glänzendsten offenbart haben. Der Zug zum Mär- chen, der sprudelnde Humor und die Kraft der Darstellung, die seltsamer Weise bei Hauff an sinnlicher Schärfe zunimmt, je mehr die Erfindung den Boden der Wirklichkeit verläßt, finden sich in diesem classischen Capriccio so glücklich vereinigt, daß es überall mitgenannt werden muß, wo von deutscher Erzählungskunst die Rede ist. Durch Aufnahme desselben in unsern „Novellenschatz“ fürchten wir auch nicht, die dieser Gattung gesteckte Grenze ungebührlich zu überschreiten. Haben wir bei der „Neuen Melusine“ gefunden, daß sie durch ihre Rahmenerzählung — die allerdings etwas ausgeführter zu sein verdiente — zur Novelle gestempelt wird, so scheint uns dies bei den phantastischen Gebilden des Bremer Rathskellers nicht weniger der Fall zu sein. Ja während man in der Novelle „Irrwisch-Fritze“ beinahe Gefahr läuft, von den Irrlichtern ein wenig „getückt“ zu werden, steht man mit den viel wunderbareren Gestalten des Rathskellers auf „durchaus natürlichem Boden“, indem der Dichter im stets gegenwärtigen Rahmen mit der anmuthigsten Ironie gegen sich selbst die Geburtsstätte dieser Geister durchsichtig andeutet. Freilich ist es nicht die gemeine Wirkung des Weines, es ist „des Dichters Aug', in schönem Wahnsinn rollend“, das diese Geschichte hervorrief, in welcher ein inneres Erlebniß eines reichbegabten Menschenkindes lebendig an uns vorübergeht</p><lb/> </div> </front> </text> </TEI> [0006]
ein längeres Leben, das den Schöpfungen des Dichters eine größere Tiefe zu geben pflegt, dem Talent Wilhelm Hauff's nicht vielleicht seinen eigenthümlichsten Charakter, den einer sinnig-phantastischen Harmlosigkeit, abgestreift hätte, ist eine jener eben so wohlaufzuwerfenden wie müßigen Fragen. Den Herausgebern des „Novellenschatzes“ drängte sie sich aber nahe genug auf, als sie von diesem trefflichen Novellisten doch keine eigentliche Novelle als das Meister- und Musterstück erwählen konnten, sondern die mit Recht berühmten „Phantasieen im Bremer Rathskeller“ (Stuttgart 1827; mit Illustrationen Bremen 1849) für diejenige seiner Schöpfungen erkennen mußten, in welcher Geist und Natur des Dichters sich am glänzendsten offenbart haben. Der Zug zum Mär- chen, der sprudelnde Humor und die Kraft der Darstellung, die seltsamer Weise bei Hauff an sinnlicher Schärfe zunimmt, je mehr die Erfindung den Boden der Wirklichkeit verläßt, finden sich in diesem classischen Capriccio so glücklich vereinigt, daß es überall mitgenannt werden muß, wo von deutscher Erzählungskunst die Rede ist. Durch Aufnahme desselben in unsern „Novellenschatz“ fürchten wir auch nicht, die dieser Gattung gesteckte Grenze ungebührlich zu überschreiten. Haben wir bei der „Neuen Melusine“ gefunden, daß sie durch ihre Rahmenerzählung — die allerdings etwas ausgeführter zu sein verdiente — zur Novelle gestempelt wird, so scheint uns dies bei den phantastischen Gebilden des Bremer Rathskellers nicht weniger der Fall zu sein. Ja während man in der Novelle „Irrwisch-Fritze“ beinahe Gefahr läuft, von den Irrlichtern ein wenig „getückt“ zu werden, steht man mit den viel wunderbareren Gestalten des Rathskellers auf „durchaus natürlichem Boden“, indem der Dichter im stets gegenwärtigen Rahmen mit der anmuthigsten Ironie gegen sich selbst die Geburtsstätte dieser Geister durchsichtig andeutet. Freilich ist es nicht die gemeine Wirkung des Weines, es ist „des Dichters Aug', in schönem Wahnsinn rollend“, das diese Geschichte hervorrief, in welcher ein inneres Erlebniß eines reichbegabten Menschenkindes lebendig an uns vorübergeht
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