Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Stand, kein Ansehn gilt; Grafen und Barone machen jetzt wohl die große Tour, oder dienen an Höfen als Kammerherren; arme Teufel pilgern als Handwerksbursche durchs Reich, den schweren Bündel auf dem Rücken, ohne Schuhe an den Füßen, haschen nach Pfennigen aus dem Kutschenschlag, die sie mit dem vom Regen gebräunten Hut künstlich aufzufassen wissen; und die Liebe drückt sie oft noch schwerer als das Bündel aus dem Rücken. Andere Kameraden, Seelen, die sich in der Schule durch geordneten Fleiß in Humanioribus hervorgethan, sitzen jetzt schon auf einer Pfarre, im Schlaf- oder Chorrock bei der Frau Liebsten. Andere sind Amtleute, wieder Andere Apotheker, Einige Referendäre und dergleichen, und nun wir beide, ausschweifend aus dem gewöhnlichen Gang der Dinge, sitzen hier im Bremer Rathskeller und thun uns gütlich im Weine. Und was sind denn wir Absonderliches geworden? Doktor? Das kann Jeder werden, der vernünftig genug ist, eine Dissertation zu schreiben. Doch ich trinke das vierte Glas, Seele. Das vierte! Fühlst du nicht einen gewissen Nexus zwischen dem Wein und der Zunge? zwischen der Zunge und dem Gaumen? Hier, behaupte ich, ist ein Scheideweg und daran ein Wegezeiger aufgestellt. Nämlich auf der einen Seite steht: "Weg nach dem Magen". Eine breite fahrbare Straße; es geht so schnell, so glitschend bergab! daher auch der gemeinere Stoff gewöhnlich diesen Weg nimmt. Der andere Arm Stand, kein Ansehn gilt; Grafen und Barone machen jetzt wohl die große Tour, oder dienen an Höfen als Kammerherren; arme Teufel pilgern als Handwerksbursche durchs Reich, den schweren Bündel auf dem Rücken, ohne Schuhe an den Füßen, haschen nach Pfennigen aus dem Kutschenschlag, die sie mit dem vom Regen gebräunten Hut künstlich aufzufassen wissen; und die Liebe drückt sie oft noch schwerer als das Bündel aus dem Rücken. Andere Kameraden, Seelen, die sich in der Schule durch geordneten Fleiß in Humanioribus hervorgethan, sitzen jetzt schon auf einer Pfarre, im Schlaf- oder Chorrock bei der Frau Liebsten. Andere sind Amtleute, wieder Andere Apotheker, Einige Referendäre und dergleichen, und nun wir beide, ausschweifend aus dem gewöhnlichen Gang der Dinge, sitzen hier im Bremer Rathskeller und thun uns gütlich im Weine. Und was sind denn wir Absonderliches geworden? Doktor? Das kann Jeder werden, der vernünftig genug ist, eine Dissertation zu schreiben. Doch ich trinke das vierte Glas, Seele. Das vierte! Fühlst du nicht einen gewissen Nexus zwischen dem Wein und der Zunge? zwischen der Zunge und dem Gaumen? Hier, behaupte ich, ist ein Scheideweg und daran ein Wegezeiger aufgestellt. Nämlich auf der einen Seite steht: „Weg nach dem Magen“. Eine breite fahrbare Straße; es geht so schnell, so glitschend bergab! daher auch der gemeinere Stoff gewöhnlich diesen Weg nimmt. Der andere Arm <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0025"/> Stand, kein Ansehn gilt; Grafen und Barone machen jetzt wohl die große Tour, oder dienen an Höfen als Kammerherren; arme Teufel pilgern als Handwerksbursche durchs Reich, den schweren Bündel auf dem Rücken, ohne Schuhe an den Füßen, haschen nach Pfennigen aus dem Kutschenschlag, die sie mit dem vom Regen gebräunten Hut künstlich aufzufassen wissen; und die Liebe drückt sie oft noch schwerer als das Bündel aus dem Rücken. Andere Kameraden, Seelen, die sich in der Schule durch geordneten Fleiß in Humanioribus hervorgethan, sitzen jetzt schon auf einer Pfarre, im Schlaf- oder Chorrock bei der Frau Liebsten. Andere sind Amtleute, wieder Andere Apotheker, Einige Referendäre und dergleichen, und nun wir beide, ausschweifend aus dem gewöhnlichen Gang der Dinge, sitzen hier im Bremer Rathskeller und thun uns gütlich im Weine. Und was sind denn wir Absonderliches geworden? Doktor? Das kann Jeder werden, der vernünftig genug ist, eine Dissertation zu schreiben.</p><lb/> <p>Doch ich trinke das vierte Glas, Seele. Das vierte! Fühlst du nicht einen gewissen Nexus zwischen dem Wein und der Zunge? zwischen der Zunge und dem Gaumen? Hier, behaupte ich, ist ein Scheideweg und daran ein Wegezeiger aufgestellt. Nämlich auf der einen Seite steht: „Weg nach dem Magen“. Eine breite fahrbare Straße; es geht so schnell, so glitschend bergab! daher auch der gemeinere Stoff gewöhnlich diesen Weg nimmt. Der andere Arm<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0025]
Stand, kein Ansehn gilt; Grafen und Barone machen jetzt wohl die große Tour, oder dienen an Höfen als Kammerherren; arme Teufel pilgern als Handwerksbursche durchs Reich, den schweren Bündel auf dem Rücken, ohne Schuhe an den Füßen, haschen nach Pfennigen aus dem Kutschenschlag, die sie mit dem vom Regen gebräunten Hut künstlich aufzufassen wissen; und die Liebe drückt sie oft noch schwerer als das Bündel aus dem Rücken. Andere Kameraden, Seelen, die sich in der Schule durch geordneten Fleiß in Humanioribus hervorgethan, sitzen jetzt schon auf einer Pfarre, im Schlaf- oder Chorrock bei der Frau Liebsten. Andere sind Amtleute, wieder Andere Apotheker, Einige Referendäre und dergleichen, und nun wir beide, ausschweifend aus dem gewöhnlichen Gang der Dinge, sitzen hier im Bremer Rathskeller und thun uns gütlich im Weine. Und was sind denn wir Absonderliches geworden? Doktor? Das kann Jeder werden, der vernünftig genug ist, eine Dissertation zu schreiben.
Doch ich trinke das vierte Glas, Seele. Das vierte! Fühlst du nicht einen gewissen Nexus zwischen dem Wein und der Zunge? zwischen der Zunge und dem Gaumen? Hier, behaupte ich, ist ein Scheideweg und daran ein Wegezeiger aufgestellt. Nämlich auf der einen Seite steht: „Weg nach dem Magen“. Eine breite fahrbare Straße; es geht so schnell, so glitschend bergab! daher auch der gemeinere Stoff gewöhnlich diesen Weg nimmt. Der andere Arm
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