Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

"Nun ja und wen kümmert es denn?"

"Weiß der Himmel, wie sie es gleich er¬
fahren hat, sie hat den ganzen Morgen geweint
und nachher gesagt, vor einem solchen Trun¬
kenbold, der ganze Nächte beim Wein sitze und
aus schnöder Trinklust ganz allein trinke, solle
sie Gott behüten; Du seyst ein ganz gemeiner
Mensch, von dem sie nichts mehr hören wolle."

"So?" erwiederte ich ganz gelassen und
hatte einiges Mitleiden mit mir selbst. "Nun
gut, geliebt hat sie mich nie, sonst würde sie
auch mich darüber hören; ich lasse sie schön
grüßen, Lebe wohl."

Ich rannte nach Hause und packte schnell
zusammen und fuhr noch denselben Abend von
dannen. Als ich an der Rolandsäule vorüber
kam, grüßte ich den alten Recken recht freund¬
lich und zum Entsetzen meines Postillons nickte
er mir mit dem steinernen Haupt einen Ab¬
schiedsgruß. Dem alten Rathhaus und seinen
Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, drückte
mich dann in die Ecke meines Wagens und
ließ die Phantasien dieser Nacht noch einmal
vor meinem Auge vorüber gleiten.


„Nun ja und wen kuͤmmert es denn?“

„Weiß der Himmel, wie ſie es gleich er¬
fahren hat, ſie hat den ganzen Morgen geweint
und nachher geſagt, vor einem ſolchen Trun¬
kenbold, der ganze Naͤchte beim Wein ſitze und
aus ſchnoͤder Trinkluſt ganz allein trinke, ſolle
ſie Gott behuͤten; Du ſeyſt ein ganz gemeiner
Menſch, von dem ſie nichts mehr hoͤren wolle.“

„So?“ erwiederte ich ganz gelaſſen und
hatte einiges Mitleiden mit mir ſelbſt. „Nun
gut, geliebt hat ſie mich nie, ſonſt wuͤrde ſie
auch mich daruͤber hoͤren; ich laſſe ſie ſchoͤn
gruͤßen, Lebe wohl.“

Ich rannte nach Hauſe und packte ſchnell
zuſammen und fuhr noch denſelben Abend von
dannen. Als ich an der Rolandſaͤule voruͤber
kam, gruͤßte ich den alten Recken recht freund¬
lich und zum Entſetzen meines Poſtillons nickte
er mir mit dem ſteinernen Haupt einen Ab¬
ſchiedsgruß. Dem alten Rathhaus und ſeinen
Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, druͤckte
mich dann in die Ecke meines Wagens und
ließ die Phantaſien dieſer Nacht noch einmal
vor meinem Auge voruͤber gleiten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0138" n="132"/>
        <p>&#x201E;Nun ja und wen ku&#x0364;mmert es denn?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weiß der Himmel, wie &#x017F;ie es gleich er¬<lb/>
fahren hat, &#x017F;ie hat den ganzen Morgen geweint<lb/>
und nachher ge&#x017F;agt, vor einem &#x017F;olchen Trun¬<lb/>
kenbold, der ganze Na&#x0364;chte beim Wein &#x017F;itze und<lb/>
aus &#x017F;chno&#x0364;der Trinklu&#x017F;t ganz allein trinke, &#x017F;olle<lb/>
&#x017F;ie Gott behu&#x0364;ten; Du &#x017F;ey&#x017F;t ein ganz gemeiner<lb/>
Men&#x017F;ch, von dem &#x017F;ie nichts mehr ho&#x0364;ren wolle.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So?&#x201C; erwiederte ich ganz gela&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
hatte einiges Mitleiden mit mir &#x017F;elb&#x017F;t. &#x201E;Nun<lb/>
gut, geliebt hat &#x017F;ie mich nie, &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde &#x017F;ie<lb/>
auch mich daru&#x0364;ber ho&#x0364;ren; ich la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ie &#x017F;cho&#x0364;n<lb/>
gru&#x0364;ßen, Lebe wohl.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich rannte nach Hau&#x017F;e und packte &#x017F;chnell<lb/>
zu&#x017F;ammen und fuhr noch den&#x017F;elben Abend von<lb/>
dannen. Als ich an der Roland&#x017F;a&#x0364;ule voru&#x0364;ber<lb/>
kam, gru&#x0364;ßte ich den alten Recken recht freund¬<lb/>
lich und zum Ent&#x017F;etzen meines Po&#x017F;tillons nickte<lb/>
er mir mit dem &#x017F;teinernen Haupt einen Ab¬<lb/>
&#x017F;chiedsgruß. Dem alten Rathhaus und &#x017F;einen<lb/>
Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, dru&#x0364;ckte<lb/>
mich dann in die Ecke meines Wagens und<lb/>
ließ die Phanta&#x017F;ien die&#x017F;er Nacht noch einmal<lb/>
vor meinem Auge voru&#x0364;ber gleiten.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0138] „Nun ja und wen kuͤmmert es denn?“ „Weiß der Himmel, wie ſie es gleich er¬ fahren hat, ſie hat den ganzen Morgen geweint und nachher geſagt, vor einem ſolchen Trun¬ kenbold, der ganze Naͤchte beim Wein ſitze und aus ſchnoͤder Trinkluſt ganz allein trinke, ſolle ſie Gott behuͤten; Du ſeyſt ein ganz gemeiner Menſch, von dem ſie nichts mehr hoͤren wolle.“ „So?“ erwiederte ich ganz gelaſſen und hatte einiges Mitleiden mit mir ſelbſt. „Nun gut, geliebt hat ſie mich nie, ſonſt wuͤrde ſie auch mich daruͤber hoͤren; ich laſſe ſie ſchoͤn gruͤßen, Lebe wohl.“ Ich rannte nach Hauſe und packte ſchnell zuſammen und fuhr noch denſelben Abend von dannen. Als ich an der Rolandſaͤule voruͤber kam, gruͤßte ich den alten Recken recht freund¬ lich und zum Entſetzen meines Poſtillons nickte er mir mit dem ſteinernen Haupt einen Ab¬ ſchiedsgruß. Dem alten Rathhaus und ſeinen Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, druͤckte mich dann in die Ecke meines Wagens und ließ die Phantaſien dieſer Nacht noch einmal vor meinem Auge voruͤber gleiten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/138
Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/138>, abgerufen am 24.11.2024.