Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893.Meistens stehen diese Chorstühle, wie gesagt, im Chor. Sind viele Geistliche vorhanden, so erstrecken sich die Stuhlreihen über das Kreuzschiff in das Langschiff, manchmal stehen sie überhaupt im Langschiff, je nachdem sich dies aus Ort und Benutzung praktisch erwies. Das ist aber keine Besonderheit des Languedoc oder Spaniens, wie Gurlitt glaubt, es findet sich vielmehr überall. Daher ist das Kreuzschiff keineswegs eine Trennung des Priesterchors vom Laienhaus, im Gegentheil: die Kreuzschiffe der Kathedralen waren meistens den Laien eingeräumt, daher diese Kreuzschiffe auch nichts specifisch "katholisches" sind, den Begriff "Katholik" im Sinne Gurlitts genommen. Denn Gurlitt liebt es, den Worten einen anderen Sinn beizulegen als gebräuchlich. Seite 319 schreibt er: "Ich muß hier bemerken, daß ich unter "evangelisch" natürlich nicht die protestantischen Landeskirchen und deren besondere, nach der Reformation geschaffenen Liturgieen meine." ... Ebenso versteht er unter "katholisch" nur die Bischöfe, den Meß- und Heiligencult, die Processionen und wer weiß welches selbstgeschaffene Gebilde. Unter Ketzern versteht er nicht Christen, die sich von Rom getrennt haben -- er rechnet auch die Muhamedaner zu den Ketzern! Nachdem in der Kathedrale das Bedürfniß der Bauherren wie oben gezeigt erfüllt ist, tritt nun in ihr erst das Pfarrkirchenbedürfniß auf und wird befriedigt. Vor den Abschluß des Chorraums gegen das Schiff hin, den Lettner, wird ein Altar gestellt; dort wird die Messe ohne andere Sonderung von den Laien als durch die Communionbank, wie in jeder Pfarrkirche, sonn- und wochentäglich für die Gläubigen gelesen; dort wird auch die Kanzel errichtet und allsonntäglich für das Volk gepredigt. Da außerdem bei großen Festen oder bei den dem Bischofe vorbehaltenen Handlungen, z. B. der Firmung, auf den Besuch der Kathedrale durch die Gläubigen aller Pfarreien in der Stadt und des angrenzenden Landes zu rechnen ist, so muß noch überdies viel verfügbarer Raum in der Kathedrale vorhanden sein. Das ist das Programm, welches die Kathedralgrundrisse hervorgerufen hat und durch diese herrlich erfüllt worden ist. Und dieses Programm erfüllt auch der Meistens stehen diese Chorstühle, wie gesagt, im Chor. Sind viele Geistliche vorhanden, so erstrecken sich die Stuhlreihen über das Kreuzschiff in das Langschiff, manchmal stehen sie überhaupt im Langschiff, je nachdem sich dies aus Ort und Benutzung praktisch erwies. Das ist aber keine Besonderheit des Languedoc oder Spaniens, wie Gurlitt glaubt, es findet sich vielmehr überall. Daher ist das Kreuzschiff keineswegs eine Trennung des Priesterchors vom Laienhaus, im Gegentheil: die Kreuzschiffe der Kathedralen waren meistens den Laien eingeräumt, daher diese Kreuzschiffe auch nichts specifisch „katholisches“ sind, den Begriff „Katholik“ im Sinne Gurlitts genommen. Denn Gurlitt liebt es, den Worten einen anderen Sinn beizulegen als gebräuchlich. Seite 319 schreibt er: „Ich muß hier bemerken, daß ich unter „evangelisch“ natürlich nicht die protestantischen Landeskirchen und deren besondere, nach der Reformation geschaffenen Liturgieen meine.“ … Ebenso versteht er unter „katholisch“ nur die Bischöfe, den Meß- und Heiligencult, die Processionen und wer weiß welches selbstgeschaffene Gebilde. Unter Ketzern versteht er nicht Christen, die sich von Rom getrennt haben — er rechnet auch die Muhamedaner zu den Ketzern! Nachdem in der Kathedrale das Bedürfniß der Bauherren wie oben gezeigt erfüllt ist, tritt nun in ihr erst das Pfarrkirchenbedürfniß auf und wird befriedigt. Vor den Abschluß des Chorraums gegen das Schiff hin, den Lettner, wird ein Altar gestellt; dort wird die Messe ohne andere Sonderung von den Laien als durch die Communionbank, wie in jeder Pfarrkirche, sonn- und wochentäglich für die Gläubigen gelesen; dort wird auch die Kanzel errichtet und allsonntäglich für das Volk gepredigt. Da außerdem bei großen Festen oder bei den dem Bischofe vorbehaltenen Handlungen, z. B. der Firmung, auf den Besuch der Kathedrale durch die Gläubigen aller Pfarreien in der Stadt und des angrenzenden Landes zu rechnen ist, so muß noch überdies viel verfügbarer Raum in der Kathedrale vorhanden sein. Das ist das Programm, welches die Kathedralgrundrisse hervorgerufen hat und durch diese herrlich erfüllt worden ist. 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Seite 319 schreibt er: „Ich muß hier bemerken, daß ich unter „evangelisch“ natürlich nicht die protestantischen Landeskirchen und deren besondere, nach der Reformation geschaffenen Liturgieen meine.“ … Ebenso versteht er unter „katholisch“ nur die Bischöfe, den Meß- und Heiligencult, die Processionen und wer weiß welches selbstgeschaffene Gebilde. Unter Ketzern versteht er nicht Christen, die sich von Rom getrennt haben — er rechnet auch die Muhamedaner zu den Ketzern!</p> <p>Nachdem in der Kathedrale das Bedürfniß der Bauherren wie oben gezeigt erfüllt ist, tritt nun in ihr erst das Pfarrkirchenbedürfniß auf und wird befriedigt. Vor den Abschluß des Chorraums gegen das Schiff hin, den Lettner, wird ein Altar gestellt; dort wird die Messe ohne andere Sonderung von den Laien als durch die Communionbank, wie in jeder Pfarrkirche, sonn- und wochentäglich für die Gläubigen gelesen; dort wird auch die Kanzel errichtet und allsonntäglich für das Volk gepredigt. Da außerdem bei großen Festen oder bei den dem Bischofe vorbehaltenen Handlungen, z. B. der Firmung, auf den Besuch der Kathedrale durch die Gläubigen aller Pfarreien in der Stadt und des angrenzenden Landes zu rechnen ist, so muß noch überdies viel verfügbarer Raum in der Kathedrale vorhanden sein. Das ist das Programm, welches die Kathedralgrundrisse hervorgerufen hat und durch diese herrlich erfüllt worden ist. Und dieses Programm erfüllt auch der </p> </div> </body> </text> </TEI> [15/0021]
Meistens stehen diese Chorstühle, wie gesagt, im Chor. Sind viele Geistliche vorhanden, so erstrecken sich die Stuhlreihen über das Kreuzschiff in das Langschiff, manchmal stehen sie überhaupt im Langschiff, je nachdem sich dies aus Ort und Benutzung praktisch erwies. Das ist aber keine Besonderheit des Languedoc oder Spaniens, wie Gurlitt glaubt, es findet sich vielmehr überall. Daher ist das Kreuzschiff keineswegs eine Trennung des Priesterchors vom Laienhaus, im Gegentheil: die Kreuzschiffe der Kathedralen waren meistens den Laien eingeräumt, daher diese Kreuzschiffe auch nichts specifisch „katholisches“ sind, den Begriff „Katholik“ im Sinne Gurlitts genommen. Denn Gurlitt liebt es, den Worten einen anderen Sinn beizulegen als gebräuchlich. Seite 319 schreibt er: „Ich muß hier bemerken, daß ich unter „evangelisch“ natürlich nicht die protestantischen Landeskirchen und deren besondere, nach der Reformation geschaffenen Liturgieen meine.“ … Ebenso versteht er unter „katholisch“ nur die Bischöfe, den Meß- und Heiligencult, die Processionen und wer weiß welches selbstgeschaffene Gebilde. Unter Ketzern versteht er nicht Christen, die sich von Rom getrennt haben — er rechnet auch die Muhamedaner zu den Ketzern!
Nachdem in der Kathedrale das Bedürfniß der Bauherren wie oben gezeigt erfüllt ist, tritt nun in ihr erst das Pfarrkirchenbedürfniß auf und wird befriedigt. Vor den Abschluß des Chorraums gegen das Schiff hin, den Lettner, wird ein Altar gestellt; dort wird die Messe ohne andere Sonderung von den Laien als durch die Communionbank, wie in jeder Pfarrkirche, sonn- und wochentäglich für die Gläubigen gelesen; dort wird auch die Kanzel errichtet und allsonntäglich für das Volk gepredigt. Da außerdem bei großen Festen oder bei den dem Bischofe vorbehaltenen Handlungen, z. B. der Firmung, auf den Besuch der Kathedrale durch die Gläubigen aller Pfarreien in der Stadt und des angrenzenden Landes zu rechnen ist, so muß noch überdies viel verfügbarer Raum in der Kathedrale vorhanden sein. Das ist das Programm, welches die Kathedralgrundrisse hervorgerufen hat und durch diese herrlich erfüllt worden ist. Und dieses Programm erfüllt auch der
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