Hasak, Max: Die Predigtkirche im Mittelalter. Berlin, 1893.Aufgabe angesehen werden können, so wird man finden, daß der Raum für die Andächtigen überall fast quadratisch gestaltet ist, wodurch er die Menge in möglichster Nähe und thunlichst gleichmäßig um einen Punkt, die Kanzel, die an einem Pfeiler angebracht ist, zu schaaren gestattet. Dieser quadratische Grundriß bedarf auch zu seiner Ueberwölbung am wenigsten Pfeilereinstellung, und letztere ist in ihm die möglichst günstige für den freien Ausblick auf die Kanzel. Daß dies ein Predigtkirchengrundriß ist -- und zwar der allerpraktischste und ungekünsteltste, leuchtet ohne weiteres ein. Heutzutage geht man anders vor: man sucht den Mittelraum zu vergrößern; man rückt die Pfeiler ganz an die Wände oder baut unter Vermeidung aller Pfeiler im Innern in Kreuzform. Welchen überwiegenden Werth man bei den angeführten Grundrissen gerade auf die Predigt gelegt hat, d. h. auf die Möglichkeit, den Predigenden zu hören und zu sehen, beweist auch mittelbar die Anordnung des Hochaltars. Der Chor, in welchem dieser steht, ist ganz mäßig tief gehalten, er ist "kein langer Priesterchor" und nicht umgeben von einem Capellenkranze, und trotzdem ist der Hochaltar von viel weniger Plätzen sichtbar als die Kanzel. Man hielt also das Ueberblicken des Hochaltars für weniger wichtig als das Anhören der Predigt, in voller Erkenntniß der Wichtigkeit dieses Mittels für das Insichgehen und die Veredlung der Menschheit. Man könnte aus diesen Pfarrkirchengrundrissen ebenso wie aus denen der Kathedralen mit vollem Recht folgern, daß, da ein großer Theil der Andächtigen den Geistlichen bei der Messe gar nicht sieht, auf diese gar kein oder nur geringer Werth gelegt worden sei. Warum zieht man nicht diesen naheliegenden und berechtigten Schluß? Der würde freilich nicht zu der vorgefaßten Meinung passen, mit der jene Kunstschriftsteller an die Bauten der mittelalterlichen Kirche herantreten. Und wenn man keinen Werth auf die Predigt gelegt hätte oder überhaupt nicht gepredigt hätte, warum ist dann der Predigtstuhl, die Kanzel, überall mit einer Liebe behandelt, ja mit einer Pracht ausgestattet, die im ganzen Kircheninnern nur durch das Sacramentshäuschen oder den Altar erreicht oder übertroffen wird? Aufgabe angesehen werden können, so wird man finden, daß der Raum für die Andächtigen überall fast quadratisch gestaltet ist, wodurch er die Menge in möglichster Nähe und thunlichst gleichmäßig um einen Punkt, die Kanzel, die an einem Pfeiler angebracht ist, zu schaaren gestattet. Dieser quadratische Grundriß bedarf auch zu seiner Ueberwölbung am wenigsten Pfeilereinstellung, und letztere ist in ihm die möglichst günstige für den freien Ausblick auf die Kanzel. Daß dies ein Predigtkirchengrundriß ist — und zwar der allerpraktischste und ungekünsteltste, leuchtet ohne weiteres ein. Heutzutage geht man anders vor: man sucht den Mittelraum zu vergrößern; man rückt die Pfeiler ganz an die Wände oder baut unter Vermeidung aller Pfeiler im Innern in Kreuzform. Welchen überwiegenden Werth man bei den angeführten Grundrissen gerade auf die Predigt gelegt hat, d. h. auf die Möglichkeit, den Predigenden zu hören und zu sehen, beweist auch mittelbar die Anordnung des Hochaltars. Der Chor, in welchem dieser steht, ist ganz mäßig tief gehalten, er ist „kein langer Priesterchor“ und nicht umgeben von einem Capellenkranze, und trotzdem ist der Hochaltar von viel weniger Plätzen sichtbar als die Kanzel. Man hielt also das Ueberblicken des Hochaltars für weniger wichtig als das Anhören der Predigt, in voller Erkenntniß der Wichtigkeit dieses Mittels für das Insichgehen und die Veredlung der Menschheit. Man könnte aus diesen Pfarrkirchengrundrissen ebenso wie aus denen der Kathedralen mit vollem Recht folgern, daß, da ein großer Theil der Andächtigen den Geistlichen bei der Messe gar nicht sieht, auf diese gar kein oder nur geringer Werth gelegt worden sei. Warum zieht man nicht diesen naheliegenden und berechtigten Schluß? Der würde freilich nicht zu der vorgefaßten Meinung passen, mit der jene Kunstschriftsteller an die Bauten der mittelalterlichen Kirche herantreten. Und wenn man keinen Werth auf die Predigt gelegt hätte oder überhaupt nicht gepredigt hätte, warum ist dann der Predigtstuhl, die Kanzel, überall mit einer Liebe behandelt, ja mit einer Pracht ausgestattet, die im ganzen Kircheninnern nur durch das Sacramentshäuschen oder den Altar erreicht oder übertroffen wird? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0013" n="7"/> Aufgabe angesehen werden können, so wird man finden, daß der Raum für die Andächtigen überall fast quadratisch gestaltet ist, wodurch er die Menge in möglichster Nähe und thunlichst gleichmäßig um einen Punkt, die Kanzel, die an einem Pfeiler angebracht ist, zu schaaren gestattet. Dieser quadratische Grundriß bedarf auch zu seiner Ueberwölbung am wenigsten Pfeilereinstellung, und letztere ist in ihm die möglichst günstige für den freien Ausblick auf die Kanzel. Daß dies ein Predigtkirchengrundriß ist — und zwar der allerpraktischste und ungekünsteltste, leuchtet ohne weiteres ein. Heutzutage geht man anders vor: man sucht den Mittelraum zu vergrößern; man rückt die Pfeiler ganz an die Wände oder baut unter Vermeidung aller Pfeiler im Innern in Kreuzform.</p> <p>Welchen überwiegenden Werth man bei den angeführten Grundrissen gerade auf die Predigt gelegt hat, d. h. auf die Möglichkeit, den Predigenden zu hören und zu sehen, beweist auch mittelbar die Anordnung des Hochaltars. Der Chor, in welchem dieser steht, ist ganz mäßig tief gehalten, er ist „kein langer Priesterchor“ und nicht umgeben von einem Capellenkranze, und trotzdem ist der Hochaltar von viel weniger Plätzen sichtbar als die Kanzel. Man hielt also das Ueberblicken des Hochaltars für weniger wichtig als das Anhören der Predigt, in voller Erkenntniß der Wichtigkeit dieses Mittels für das Insichgehen und die Veredlung der Menschheit. Man könnte aus diesen Pfarrkirchengrundrissen ebenso wie aus denen der Kathedralen mit vollem Recht folgern, daß, da ein großer Theil der Andächtigen den Geistlichen bei der Messe gar nicht sieht, auf diese gar kein oder nur geringer Werth gelegt worden sei. Warum zieht man nicht diesen naheliegenden und berechtigten Schluß? Der würde freilich nicht zu der vorgefaßten Meinung passen, mit der jene Kunstschriftsteller an die Bauten der mittelalterlichen Kirche herantreten. Und wenn man keinen Werth auf die Predigt gelegt hätte oder überhaupt nicht gepredigt hätte, warum ist dann der Predigtstuhl, die Kanzel, überall mit einer Liebe behandelt, ja mit einer Pracht ausgestattet, die im ganzen Kircheninnern nur durch das Sacramentshäuschen oder den Altar erreicht oder übertroffen wird?</p> </div> </body> </text> </TEI> [7/0013]
Aufgabe angesehen werden können, so wird man finden, daß der Raum für die Andächtigen überall fast quadratisch gestaltet ist, wodurch er die Menge in möglichster Nähe und thunlichst gleichmäßig um einen Punkt, die Kanzel, die an einem Pfeiler angebracht ist, zu schaaren gestattet. Dieser quadratische Grundriß bedarf auch zu seiner Ueberwölbung am wenigsten Pfeilereinstellung, und letztere ist in ihm die möglichst günstige für den freien Ausblick auf die Kanzel. Daß dies ein Predigtkirchengrundriß ist — und zwar der allerpraktischste und ungekünsteltste, leuchtet ohne weiteres ein. Heutzutage geht man anders vor: man sucht den Mittelraum zu vergrößern; man rückt die Pfeiler ganz an die Wände oder baut unter Vermeidung aller Pfeiler im Innern in Kreuzform.
Welchen überwiegenden Werth man bei den angeführten Grundrissen gerade auf die Predigt gelegt hat, d. h. auf die Möglichkeit, den Predigenden zu hören und zu sehen, beweist auch mittelbar die Anordnung des Hochaltars. Der Chor, in welchem dieser steht, ist ganz mäßig tief gehalten, er ist „kein langer Priesterchor“ und nicht umgeben von einem Capellenkranze, und trotzdem ist der Hochaltar von viel weniger Plätzen sichtbar als die Kanzel. Man hielt also das Ueberblicken des Hochaltars für weniger wichtig als das Anhören der Predigt, in voller Erkenntniß der Wichtigkeit dieses Mittels für das Insichgehen und die Veredlung der Menschheit. Man könnte aus diesen Pfarrkirchengrundrissen ebenso wie aus denen der Kathedralen mit vollem Recht folgern, daß, da ein großer Theil der Andächtigen den Geistlichen bei der Messe gar nicht sieht, auf diese gar kein oder nur geringer Werth gelegt worden sei. Warum zieht man nicht diesen naheliegenden und berechtigten Schluß? Der würde freilich nicht zu der vorgefaßten Meinung passen, mit der jene Kunstschriftsteller an die Bauten der mittelalterlichen Kirche herantreten. Und wenn man keinen Werth auf die Predigt gelegt hätte oder überhaupt nicht gepredigt hätte, warum ist dann der Predigtstuhl, die Kanzel, überall mit einer Liebe behandelt, ja mit einer Pracht ausgestattet, die im ganzen Kircheninnern nur durch das Sacramentshäuschen oder den Altar erreicht oder übertroffen wird?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |