Theorieen geblendet, ein Bildungsmittel für Körper und Gemüth, welches die Natur selbst als das zweck- mäßigste angiebt! "Liebt die Kinder," sagt der beredte Rousseau, "begünstigt ihre Spiele, ihre Freuden, ihren liebenswürdigen Jnstinct. Wer von euch wünscht sich nicht zuweilen dieses Alter zurück, wo das Lä- cheln beständig um die Lippen spielt, und die Seele einen ewigen Frieden feiert? Warum wollt ihr den kleinen Unschuldigen den Genuß entziehen einer so schnell verschwindenden Zeit, eines so werthvollen Gutes, von dem sie keinen Mißbrauch machen können? Warum wollt ihr mit Schmerz und Bitterkeit diese so eiligen Jahre betrüben, die für sie, eben so wenig als für euch, je wiederkehren können?
Wißt ihr den Augenblick, ihr Väter, wo der Tod eure Kinder erwartet? Und werdet ihr euch dereinst nicht Vorwürfe machen, wenn ihr ihnen die kurze Zeit raubt, welche die Natur ihnen gönnte? Sobald sie das süße Dasein empfinden, erlaubt ihnen dessen Genuß, und handelt so gegen sie, daß zu wel- cher Stunde auch der Himmel sie zu sich rufen mag, sie nicht sterben ohne das Leben genossen zu haben."
Das so wohlthätige Spielen ist aber nicht immer ohne Gefahr. Jst das Kind davon erhitzt, so kann es sich leicht durch sein ungeduldiges Verlangen nach Abkühlung schaden.
Theorieen geblendet, ein Bildungsmittel fuͤr Koͤrper und Gemuͤth, welches die Natur ſelbſt als das zweck- maͤßigſte angiebt! »Liebt die Kinder,« ſagt der beredte Rouſſeau, »beguͤnſtigt ihre Spiele, ihre Freuden, ihren liebenswuͤrdigen Jnſtinct. Wer von euch wuͤnſcht ſich nicht zuweilen dieſes Alter zurück, wo das Laͤ- cheln beſtaͤndig um die Lippen ſpielt, und die Seele einen ewigen Frieden feiert? Warum wollt ihr den kleinen Unſchuldigen den Genuß entziehen einer ſo ſchnell verſchwindenden Zeit, eines ſo werthvollen Gutes, von dem ſie keinen Mißbrauch machen koͤnnen? Warum wollt ihr mit Schmerz und Bitterkeit dieſe ſo eiligen Jahre betruͤben, die fuͤr ſie, eben ſo wenig als fuͤr euch, je wiederkehren koͤnnen?
Wißt ihr den Augenblick, ihr Vaͤter, wo der Tod eure Kinder erwartet? Und werdet ihr euch dereinſt nicht Vorwürfe machen, wenn ihr ihnen die kurze Zeit raubt, welche die Natur ihnen goͤnnte? Sobald ſie das ſuͤße Daſein empfinden, erlaubt ihnen deſſen Genuß, und handelt ſo gegen ſie, daß zu wel- cher Stunde auch der Himmel ſie zu ſich rufen mag, ſie nicht ſterben ohne das Leben genoſſen zu haben.«
Das ſo wohlthaͤtige Spielen iſt aber nicht immer ohne Gefahr. Jſt das Kind davon erhitzt, ſo kann es ſich leicht durch ſein ungeduldiges Verlangen nach Abkuͤhlung ſchaden.
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Theorieen geblendet, ein Bildungsmittel fuͤr Koͤrper
und Gemuͤth, welches die Natur ſelbſt als das zweck-
maͤßigſte angiebt! »Liebt die Kinder,« ſagt der beredte
Rouſſeau, »beguͤnſtigt ihre Spiele, ihre Freuden,
ihren liebenswuͤrdigen Jnſtinct. Wer von euch wuͤnſcht
ſich nicht zuweilen dieſes Alter zurück, wo das Laͤ-
cheln beſtaͤndig um die Lippen ſpielt, und die Seele
einen ewigen Frieden feiert? Warum wollt ihr den
kleinen Unſchuldigen den Genuß entziehen einer ſo
ſchnell verſchwindenden Zeit, eines ſo werthvollen
Gutes, von dem ſie keinen Mißbrauch machen koͤnnen?
Warum wollt ihr mit Schmerz und Bitterkeit dieſe
ſo eiligen Jahre betruͤben, die fuͤr ſie, eben ſo wenig
als fuͤr euch, je wiederkehren koͤnnen?
Wißt ihr den Augenblick, ihr Vaͤter, wo der
Tod eure Kinder erwartet? Und werdet ihr euch
dereinſt nicht Vorwürfe machen, wenn ihr ihnen die
kurze Zeit raubt, welche die Natur ihnen goͤnnte?
Sobald ſie das ſuͤße Daſein empfinden, erlaubt ihnen
deſſen Genuß, und handelt ſo gegen ſie, daß zu wel-
cher Stunde auch der Himmel ſie zu ſich rufen mag,
ſie nicht ſterben ohne das Leben genoſſen zu haben.«
Das ſo wohlthaͤtige Spielen iſt aber nicht immer
ohne Gefahr. Jſt das Kind davon erhitzt, ſo kann
es ſich leicht durch ſein ungeduldiges Verlangen nach
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Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/50>, abgerufen am 16.02.2025.
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