"Schon über zwanzig Jahre." -- "Und war dieß immer ihr gewöhnliches Arbeitszimmer?" -- "Das war es beständig." -- "So," sagte ich ihm, "sehe ich mit Bedauern die Ursache ihres Unglücks ein, denn in diesem Lichte konnten ihre Augen nicht gesund bleiben."
Das Tragen eines Schleiers ist sehr zu tadeln. Der Schutz, den er dem Teint gewährt, wird auf Kosten des Gesichts erkauft. Das beständige Hin- und Herflattern des halbdurchsichtigen Gewebes ermüdet die Sehkraft ungemein, da das Auge be- ständig nach den Vibrationen des Schleiers sich zu richten strebt. Junge Mädchen sollten daher diesen Putzartikel gar nicht in ihrem Besitze führen, und, wenn es sein muß, sich gegen Staub und blendendes Licht, durch die viel zweckmäßigeren Sonnenschirme verwahren. Daß Kinder nicht ins Feuer, noch in die Sonne sehen, noch beim Gewitter muthwillig ihr Auge dem Blitz zuwenden sollen, braucht keine wei- tere Erwähnung.
Schadet ein zu starkes Licht durch Ueberreizung dem Auge, so bringt umgekehrt eine zu schwache Be- leuchtung, da, wo eine stärkere nöthig wäre, nicht geringere Uebelstände mit sich.
Das beschäftigte Auge bedarf einer adäquaten Lichtmenge um sein Pensum gehörig zu vollziehen, fehlt ihm diese, so wird es ungebührlich angestrengt
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»Schon über zwanzig Jahre.« — »Und war dieß immer ihr gewoͤhnliches Arbeitszimmer?« — »Das war es beſtaͤndig.« — »So,« ſagte ich ihm, »ſehe ich mit Bedauern die Urſache ihres Ungluͤcks ein, denn in dieſem Lichte konnten ihre Augen nicht geſund bleiben.«
Das Tragen eines Schleiers iſt ſehr zu tadeln. Der Schutz, den er dem Teint gewaͤhrt, wird auf Koſten des Geſichts erkauft. Das beſtaͤndige Hin- und Herflattern des halbdurchſichtigen Gewebes ermuͤdet die Sehkraft ungemein, da das Auge be- ſtaͤndig nach den Vibrationen des Schleiers ſich zu richten ſtrebt. Junge Maͤdchen ſollten daher dieſen Putzartikel gar nicht in ihrem Beſitze führen, und, wenn es ſein muß, ſich gegen Staub und blendendes Licht, durch die viel zweckmaͤßigeren Sonnenſchirme verwahren. Daß Kinder nicht ins Feuer, noch in die Sonne ſehen, noch beim Gewitter muthwillig ihr Auge dem Blitz zuwenden ſollen, braucht keine wei- tere Erwaͤhnung.
Schadet ein zu ſtarkes Licht durch Ueberreizung dem Auge, ſo bringt umgekehrt eine zu ſchwache Be- leuchtung, da, wo eine ſtaͤrkere noͤthig waͤre, nicht geringere Uebelſtaͤnde mit ſich.
Das beſchaͤftigte Auge bedarf einer adaͤquaten Lichtmenge um ſein Penſum gehoͤrig zu vollziehen, fehlt ihm dieſe, ſo wird es ungebuͤhrlich angeſtrengt
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»Schon über zwanzig Jahre.« — »Und war dieß
immer ihr gewoͤhnliches Arbeitszimmer?« — »Das
war es beſtaͤndig.« — »So,« ſagte ich ihm, »ſehe
ich mit Bedauern die Urſache ihres Ungluͤcks ein,
denn in dieſem Lichte konnten ihre Augen nicht geſund
bleiben.«
Das Tragen eines Schleiers iſt ſehr zu tadeln.
Der Schutz, den er dem Teint gewaͤhrt, wird auf
Koſten des Geſichts erkauft. Das beſtaͤndige Hin-
und Herflattern des halbdurchſichtigen Gewebes
ermuͤdet die Sehkraft ungemein, da das Auge be-
ſtaͤndig nach den Vibrationen des Schleiers ſich zu
richten ſtrebt. Junge Maͤdchen ſollten daher dieſen
Putzartikel gar nicht in ihrem Beſitze führen, und,
wenn es ſein muß, ſich gegen Staub und blendendes
Licht, durch die viel zweckmaͤßigeren Sonnenſchirme
verwahren. Daß Kinder nicht ins Feuer, noch in
die Sonne ſehen, noch beim Gewitter muthwillig ihr
Auge dem Blitz zuwenden ſollen, braucht keine wei-
tere Erwaͤhnung.
Schadet ein zu ſtarkes Licht durch Ueberreizung
dem Auge, ſo bringt umgekehrt eine zu ſchwache Be-
leuchtung, da, wo eine ſtaͤrkere noͤthig waͤre, nicht
geringere Uebelſtaͤnde mit ſich.
Das beſchaͤftigte Auge bedarf einer adaͤquaten
Lichtmenge um ſein Penſum gehoͤrig zu vollziehen,
fehlt ihm dieſe, ſo wird es ungebuͤhrlich angeſtrengt
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Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/157>, abgerufen am 16.02.2025.
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