Die erfindungsreichsten und thatkräftigsten Männer der neuen Zeit, welche dem Menschengeschlechte die Bahnen des Fortschrittes eröffnen, und ohne allen Zweifel die ächtesten Aristocraten der Natur sind, diese Männer haben größtentheils entweder keine regel- mäßige Schulbildung genossen, oder so wenig Nutzen daraus gezogen, daß man sie bei ihnen eher als eine Geisteshemmung betrachten konnte.
Jn den blöden Augen seines Orbilius galt Liebig für einen unnützen Knaben, der seinen Eltern nur Kummer machen würde. Swift, ein Mann von durchdringendem Scharfsinn, war auf der Schule nur als Blockhead bekannt, und Shaksper, jener alles überstrahlende Genius, wußte von latein und griechisch sehr wenig.
Wäre das Studium der alten Sprachen aber auch das Unentbehrlichste, so ist doch gewiß keine Nothwendigkeit vorhanden, es so früh anzufangen, es so lange fortzusetzen, ihm so viele Stunden des Tages zu opfern. Man kann unstreitig mit einem viel geringern Zeitaufwande zum Ziel kommen. Fähige Kinder, (und nur bei solchen kann ja überhaupt vom Studiren die Rede sein) die vor dem zwölften Jahr auch nie ein lateinisches oder griechisches Buch gesehen haben, werden, wenn sie von nun an, drei oder vier Stunden täglich und ununterbrochen sich damit be- schäftigen, es so weit bringen, daß sie auf Universitäten
Die erfindungsreichſten und thatkraͤftigſten Maͤnner der neuen Zeit, welche dem Menſchengeſchlechte die Bahnen des Fortſchrittes eröffnen, und ohne allen Zweifel die aͤchteſten Ariſtocraten der Natur ſind, dieſe Maͤnner haben groͤßtentheils entweder keine regel- maͤßige Schulbildung genoſſen, oder ſo wenig Nutzen daraus gezogen, daß man ſie bei ihnen eher als eine Geiſteshemmung betrachten konnte.
Jn den bloͤden Augen ſeines Orbilius galt Liebig fuͤr einen unnuͤtzen Knaben, der ſeinen Eltern nur Kummer machen würde. Swift, ein Mann von durchdringendem Scharfſinn, war auf der Schule nur als Blockhead bekannt, und Shaksper, jener alles uͤberſtrahlende Genius, wußte von latein und griechiſch ſehr wenig.
Waͤre das Studium der alten Sprachen aber auch das Unentbehrlichſte, ſo iſt doch gewiß keine Nothwendigkeit vorhanden, es ſo früh anzufangen, es ſo lange fortzuſetzen, ihm ſo viele Stunden des Tages zu opfern. Man kann unſtreitig mit einem viel geringern Zeitaufwande zum Ziel kommen. Faͤhige Kinder, (und nur bei ſolchen kann ja uͤberhaupt vom Studiren die Rede ſein) die vor dem zwoͤlften Jahr auch nie ein lateiniſches oder griechiſches Buch geſehen haben, werden, wenn ſie von nun an, drei oder vier Stunden taͤglich und ununterbrochen ſich damit be- ſchaͤftigen, es ſo weit bringen, daß ſie auf Univerſitaͤten
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Die erfindungsreichſten und thatkraͤftigſten Maͤnner
der neuen Zeit, welche dem Menſchengeſchlechte die
Bahnen des Fortſchrittes eröffnen, und ohne allen
Zweifel die aͤchteſten Ariſtocraten der Natur ſind,
dieſe Maͤnner haben groͤßtentheils entweder keine regel-
maͤßige Schulbildung genoſſen, oder ſo wenig Nutzen
daraus gezogen, daß man ſie bei ihnen eher als eine
Geiſteshemmung betrachten konnte.
Jn den bloͤden Augen ſeines Orbilius galt Liebig
fuͤr einen unnuͤtzen Knaben, der ſeinen Eltern nur
Kummer machen würde. Swift, ein Mann von
durchdringendem Scharfſinn, war auf der Schule nur
als Blockhead bekannt, und Shaksper, jener alles
uͤberſtrahlende Genius, wußte von latein und griechiſch
ſehr wenig.
Waͤre das Studium der alten Sprachen aber
auch das Unentbehrlichſte, ſo iſt doch gewiß keine
Nothwendigkeit vorhanden, es ſo früh anzufangen,
es ſo lange fortzuſetzen, ihm ſo viele Stunden des
Tages zu opfern. Man kann unſtreitig mit einem
viel geringern Zeitaufwande zum Ziel kommen. Faͤhige
Kinder, (und nur bei ſolchen kann ja uͤberhaupt vom
Studiren die Rede ſein) die vor dem zwoͤlften Jahr
auch nie ein lateiniſches oder griechiſches Buch geſehen
haben, werden, wenn ſie von nun an, drei oder vier
Stunden taͤglich und ununterbrochen ſich damit be-
ſchaͤftigen, es ſo weit bringen, daß ſie auf Univerſitaͤten
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Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/132>, abgerufen am 22.07.2024.
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