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Hartmann, Moritz: Das Schloß im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [221]–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Menschen, die von Kindesbeinen an neben einander einherliefen, und deren Liebe nicht altert, und die einander immer so sahen, wie damals, als sie einander zu lieben anfingen, die merken es am spätesten. Erst die große Revolution vom Jahre 1848 konnte P... überzeugen, daß der Schlußpunkt gekommen sei, und erinnerte uns, Louison und mich, daß wir alt geworden. Sind wir doch aus Savoyen ausgezogen, als man noch vor Robespierre und der Guillotine Angst hatte. Aber helas! Louison lag auf dem Krankenbette, auf dem Sterbebette. Sprechen wir nicht davon. Eine Stunde vor ihrem Tode mußte ich ihr versprechen, in unser Thal zurückzukehren und das Schloß zu kaufen, denn der Marquis war gänzlich ruinirt, die Revolution hatte ihm den letzten Stoß gegeben, und sein Gut wurde von den Gläubigern an den Meistbietenden losgeschlagen. Sie beschwor mich, gleich nach ihrem Tode abzureisen, damit mir das Schloß ja nicht entgehe. Ich versprach Alles, und ruhig und lächelnd schloß sie die Augen. Ich begrub sie neben dem Monument, das ich der guten Frau v. Montarcy hatte errichten lassen, und eilte in das Thal zurück, das ich an ihrer Seite und unter den Schlägen des Marquis vor beinahe sechzig Jahren verlassen hatte.

Herr Laurens stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte das Gesicht in beide Hände. Der Marquis schlief und lächelte im Schlafe. Der ruinirte, abgelebte, in die Kindheit schwächlichsten Greisenthums ver-

Menschen, die von Kindesbeinen an neben einander einherliefen, und deren Liebe nicht altert, und die einander immer so sahen, wie damals, als sie einander zu lieben anfingen, die merken es am spätesten. Erst die große Revolution vom Jahre 1848 konnte P... überzeugen, daß der Schlußpunkt gekommen sei, und erinnerte uns, Louison und mich, daß wir alt geworden. Sind wir doch aus Savoyen ausgezogen, als man noch vor Robespierre und der Guillotine Angst hatte. Aber hélas! Louison lag auf dem Krankenbette, auf dem Sterbebette. Sprechen wir nicht davon. Eine Stunde vor ihrem Tode mußte ich ihr versprechen, in unser Thal zurückzukehren und das Schloß zu kaufen, denn der Marquis war gänzlich ruinirt, die Revolution hatte ihm den letzten Stoß gegeben, und sein Gut wurde von den Gläubigern an den Meistbietenden losgeschlagen. Sie beschwor mich, gleich nach ihrem Tode abzureisen, damit mir das Schloß ja nicht entgehe. Ich versprach Alles, und ruhig und lächelnd schloß sie die Augen. Ich begrub sie neben dem Monument, das ich der guten Frau v. Montarcy hatte errichten lassen, und eilte in das Thal zurück, das ich an ihrer Seite und unter den Schlägen des Marquis vor beinahe sechzig Jahren verlassen hatte.

Herr Laurens stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte das Gesicht in beide Hände. Der Marquis schlief und lächelte im Schlafe. Der ruinirte, abgelebte, in die Kindheit schwächlichsten Greisenthums ver-

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[0043] Menschen, die von Kindesbeinen an neben einander einherliefen, und deren Liebe nicht altert, und die einander immer so sahen, wie damals, als sie einander zu lieben anfingen, die merken es am spätesten. Erst die große Revolution vom Jahre 1848 konnte P... überzeugen, daß der Schlußpunkt gekommen sei, und erinnerte uns, Louison und mich, daß wir alt geworden. Sind wir doch aus Savoyen ausgezogen, als man noch vor Robespierre und der Guillotine Angst hatte. Aber hélas! Louison lag auf dem Krankenbette, auf dem Sterbebette. Sprechen wir nicht davon. Eine Stunde vor ihrem Tode mußte ich ihr versprechen, in unser Thal zurückzukehren und das Schloß zu kaufen, denn der Marquis war gänzlich ruinirt, die Revolution hatte ihm den letzten Stoß gegeben, und sein Gut wurde von den Gläubigern an den Meistbietenden losgeschlagen. Sie beschwor mich, gleich nach ihrem Tode abzureisen, damit mir das Schloß ja nicht entgehe. Ich versprach Alles, und ruhig und lächelnd schloß sie die Augen. Ich begrub sie neben dem Monument, das ich der guten Frau v. Montarcy hatte errichten lassen, und eilte in das Thal zurück, das ich an ihrer Seite und unter den Schlägen des Marquis vor beinahe sechzig Jahren verlassen hatte. Herr Laurens stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte das Gesicht in beide Hände. Der Marquis schlief und lächelte im Schlafe. Der ruinirte, abgelebte, in die Kindheit schwächlichsten Greisenthums ver-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:58:35Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:58:35Z)

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Zitationshilfe: Hartmann, Moritz: Das Schloß im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [221]–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartmann_gebirge_1910/43>, abgerufen am 24.11.2024.