Hartmann, Moritz: Das Schloß im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [221]–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Schulter und schloß die glänzenden Augen, die eigentlich noch das einzige Lebende an ihm waren, und ohne deren Glanz man es nicht geglaubt hätte, daß noch ein Fünkchen menschlicher Vernunft in diesem kahlen und alten Schädel brannte. Er dämmerte von nun an so hin zwischen Träumen und Wachen, und seine Erscheinung wurde noch traumhafter als zuvor. Mein Wirth hingegen, der viel mäßiger im Genusse der Speisen wie der Getränke gewesen, wurde desto lebhafter und mittheilsamer, und da ich in demselben Grade zudringlicher wurde, bekam ich, wahrend draußen die Flammen in den Körben immer tiefer brannten, seine Geschichte zu hören, in deren Erzählung er sich selbst durch die Diener nicht stören ließ, die ab- und zugingen. Als die Franzosen, so begann Herr Laurens, aus diesem Lande eine Republik machten, welche sie die allobrogische nannten, wurde hier trotz aller guten Absichten die Noth größer als je. Wir hatten Einquartierungen und sollten fremde Soldaten ernähren, während wir selbst kaum das Brod hatten. Viele Savoyarden flüchteten sich aus Paris zurück in die Berge, und die Zahl der Verzehrenden wurde größer, während die Zahl der Arbeitenden und Erwerbenden immer kleiner wurde, da die rüstige Jugend in den Krieg zog. Dazu kam, daß der reiche Adel, von dessen Tisch früher manche Brosamen für die Armen abfielen, jeden Nichtadeligen als Feind zu betrachten anfing und dem Schulter und schloß die glänzenden Augen, die eigentlich noch das einzige Lebende an ihm waren, und ohne deren Glanz man es nicht geglaubt hätte, daß noch ein Fünkchen menschlicher Vernunft in diesem kahlen und alten Schädel brannte. Er dämmerte von nun an so hin zwischen Träumen und Wachen, und seine Erscheinung wurde noch traumhafter als zuvor. Mein Wirth hingegen, der viel mäßiger im Genusse der Speisen wie der Getränke gewesen, wurde desto lebhafter und mittheilsamer, und da ich in demselben Grade zudringlicher wurde, bekam ich, wahrend draußen die Flammen in den Körben immer tiefer brannten, seine Geschichte zu hören, in deren Erzählung er sich selbst durch die Diener nicht stören ließ, die ab- und zugingen. Als die Franzosen, so begann Herr Laurens, aus diesem Lande eine Republik machten, welche sie die allobrogische nannten, wurde hier trotz aller guten Absichten die Noth größer als je. Wir hatten Einquartierungen und sollten fremde Soldaten ernähren, während wir selbst kaum das Brod hatten. Viele Savoyarden flüchteten sich aus Paris zurück in die Berge, und die Zahl der Verzehrenden wurde größer, während die Zahl der Arbeitenden und Erwerbenden immer kleiner wurde, da die rüstige Jugend in den Krieg zog. Dazu kam, daß der reiche Adel, von dessen Tisch früher manche Brosamen für die Armen abfielen, jeden Nichtadeligen als Feind zu betrachten anfing und dem <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0022"/> Schulter und schloß die glänzenden Augen, die eigentlich noch das einzige Lebende an ihm waren, und ohne deren Glanz man es nicht geglaubt hätte, daß noch ein Fünkchen menschlicher Vernunft in diesem kahlen und alten Schädel brannte. Er dämmerte von nun an so hin zwischen Träumen und Wachen, und seine Erscheinung wurde noch traumhafter als zuvor. Mein Wirth hingegen, der viel mäßiger im Genusse der Speisen wie der Getränke gewesen, wurde desto lebhafter und mittheilsamer, und da ich in demselben Grade zudringlicher wurde, bekam ich, wahrend draußen die Flammen in den Körben immer tiefer brannten, seine Geschichte zu hören, in deren Erzählung er sich selbst durch die Diener nicht stören ließ, die ab- und zugingen.</p><lb/> <p>Als die Franzosen, so begann Herr Laurens, aus diesem Lande eine Republik machten, welche sie die allobrogische nannten, wurde hier trotz aller guten Absichten die Noth größer als je. Wir hatten Einquartierungen und sollten fremde Soldaten ernähren, während wir selbst kaum das Brod hatten. Viele Savoyarden flüchteten sich aus Paris zurück in die Berge, und die Zahl der Verzehrenden wurde größer, während die Zahl der Arbeitenden und Erwerbenden immer kleiner wurde, da die rüstige Jugend in den Krieg zog. Dazu kam, daß der reiche Adel, von dessen Tisch früher manche Brosamen für die Armen abfielen, jeden Nichtadeligen als Feind zu betrachten anfing und dem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Schulter und schloß die glänzenden Augen, die eigentlich noch das einzige Lebende an ihm waren, und ohne deren Glanz man es nicht geglaubt hätte, daß noch ein Fünkchen menschlicher Vernunft in diesem kahlen und alten Schädel brannte. Er dämmerte von nun an so hin zwischen Träumen und Wachen, und seine Erscheinung wurde noch traumhafter als zuvor. Mein Wirth hingegen, der viel mäßiger im Genusse der Speisen wie der Getränke gewesen, wurde desto lebhafter und mittheilsamer, und da ich in demselben Grade zudringlicher wurde, bekam ich, wahrend draußen die Flammen in den Körben immer tiefer brannten, seine Geschichte zu hören, in deren Erzählung er sich selbst durch die Diener nicht stören ließ, die ab- und zugingen.
Als die Franzosen, so begann Herr Laurens, aus diesem Lande eine Republik machten, welche sie die allobrogische nannten, wurde hier trotz aller guten Absichten die Noth größer als je. Wir hatten Einquartierungen und sollten fremde Soldaten ernähren, während wir selbst kaum das Brod hatten. Viele Savoyarden flüchteten sich aus Paris zurück in die Berge, und die Zahl der Verzehrenden wurde größer, während die Zahl der Arbeitenden und Erwerbenden immer kleiner wurde, da die rüstige Jugend in den Krieg zog. Dazu kam, daß der reiche Adel, von dessen Tisch früher manche Brosamen für die Armen abfielen, jeden Nichtadeligen als Feind zu betrachten anfing und dem
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T10:58:35Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T10:58:35Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |