Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.V. die niedlichste Kraft und der reinste Saft einerjeden Sprache in der Poeten Schriften/ und werdenselben heraus zuziehen und nach Bege- benheit zu Werke zu bringen geruhet/ wird sich solcher B[verlorenes Material - 1 Zeichen fehlt]mühung nicht gereuen lassen. Keiner aber/ der die Poeten nicht gelesen/ sol sich rühmen daß er einer Sprache vollkömmlich mächtig seye. Zu Beschluß dieser Betrachtung muß ich bey- setzen/ was Seneca von der Nachahmung sehr nachdenklich schreibet in seinem 85. Send- Brief/ folgenden Begriffs: Wir sollen den Bienen nachahmen/ und was wir in un- terschiednen Büchern gelesen/ unterschied- lich bemerken; nachmals aber mit ver- ständigem Fleiß zusammen mischen/ daß ob man gleich wissen kan/ woher es ge- nommen/ jedoch etwas anders daraus gemachet worden/ als es gewesen. Dieses weiset uns die Natur selbsten in unserm Leibe: Die Speise/ so lang sie ungekocht in dem Magen lieget/ beschweret sie den- selben/ wann aber der Nahrungs-Saf daraus gezogen wird/ so giebet sie dem gantzen Leibe Stärke und kräftige Er- haltung etc. Bald hernach giebt er das Gleich- niß von einem Chor Musicanten/ welche alle hinter den Tapeten verborgen/ ihre Stimmen zugleich/ als eine einige/ hören lassen. Von
V. die niedlichſte Kraft und der reinſte Saft einerjeden Sprache in der Poëten Schriften/ und werdenſelben heraus zuziehen und nach Bege- benheit zu Werke zu bringen geruhet/ wird ſich ſolcher B[verlorenes Material – 1 Zeichen fehlt]muͤhung nicht gereuen laſſen. Keiner aber/ der die Poêten nicht geleſen/ ſol ſich ruͤhmen daß er einer Sprache vollkoͤmmlich maͤchtig ſeye. Zu Beſchluß dieſer Betrachtung muß ich bey- ſetzen/ was Seneca von der Nachahmung ſehr nachdenklich ſchreibet in ſeinem 85. Send- Brief/ folgenden Begriffs: Wir ſollen den Bienen nachahmen/ und was wir in un- terſchiednẽ Buͤchern geleſen/ unterſchied- lich bemerken; nachmals aber mit ver- ſtaͤndigem Fleiß zuſammen miſchen/ daß ob man gleich wiſſen kan/ woher es ge- nommen/ jedoch etwas anders daraus gemachet worden/ als es geweſen. Dieſes weiſet uns die Natur ſelbſten in unſerm Leibe: Die Speiſe/ ſo lang ſie ungekocht in dem Magen lieget/ beſchweret ſie den- ſelben/ wann aber der Nahrungs-Saf daraus gezogen wird/ ſo giebet ſie dem gantzen Leibe Staͤrke und kraͤftige Er- haltung ꝛc. Bald hernach giebt er das Gleich- niß von einem Chor Muſicanten/ welche alle hinter den Tapeten verborgen/ ihre Stimmen zugleich/ als eine einige/ hoͤren laſſen. Von
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V.
die niedlichſte Kraft und der reinſte Saft einer
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benheit zu Werke zu bringen geruhet/ wird ſich
ſolcher B_muͤhung nicht gereuen laſſen. Keiner
aber/ der die Poêten nicht geleſen/ ſol ſich ruͤhmen
daß er einer Sprache vollkoͤmmlich maͤchtig ſeye.
Zu Beſchluß dieſer Betrachtung muß ich bey-
ſetzen/ was Seneca von der Nachahmung
ſehr nachdenklich ſchreibet in ſeinem 85. Send-
Brief/ folgenden Begriffs: Wir ſollen den
Bienen nachahmen/ und was wir in un-
terſchiednẽ Buͤchern geleſen/ unterſchied-
lich bemerken; nachmals aber mit ver-
ſtaͤndigem Fleiß zuſammen miſchen/ daß
ob man gleich wiſſen kan/ woher es ge-
nommen/ jedoch etwas anders daraus
gemachet worden/ als es geweſen. Dieſes
weiſet uns die Natur ſelbſten in unſerm
Leibe: Die Speiſe/ ſo lang ſie ungekocht
in dem Magen lieget/ beſchweret ſie den-
ſelben/ wann aber der Nahrungs-Saf
daraus gezogen wird/ ſo giebet ſie dem
gantzen Leibe Staͤrke und kraͤftige Er-
haltung ꝛc. Bald hernach giebt er das Gleich-
niß von einem Chor Muſicanten/ welche alle
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