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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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Von der Nachahmung.

Weil nun kein Wort in dem Teutschen zweydeu-
tig/ wie hier sustulit, das darvon Tragen und
auch aus dem Wege raumen und erwürgen
heisst/ kan der Dolmetscher mit Fug sagen:

Der bracht den Vater aus der Noht/
der bracht die Mutter in den Tod.

46. Wann ich aber eines andern Meinung
gantz behalte und nur mit andern Worten
ausrede/ ist solches gleich dem Gemähl/ welches
mit andern Farben dem ersten von guter Hand
gemahlten Stücke nachgemahlet wird. Dieses
ist so zulässig/ als bey den Lacedämoniern das li-
stige Stehlen/ welches/ wann es nicht erfahren
worden/ unbestrafft geblieben. Die Exempel bey-
zusetzen ist unvonnöhten/ weil solche bey den heu-
tigen Poeten gemein und die Sache leicht zuver-
stehen. Wer nun redlich handlen/ und fremdes
Gut nicht für sein eignes ausgeben will/ der setzet
darzu wie Herr Opitz: fast aus dem Nieder-
ländischen/ nach Ronsards Sonnet etc.

Jst es aber zuweilen nur ein Art zu reden/ und
kein gantzes Gedicht/ so darff man nicht allezeit
vermelden/ aus wem es entnommen worden.
Welcher nun viel gelesen der machet gleichsam
aus vielen Bächen einen guten Poetischen Ein-
fluß den er zu seinem Vorhaben ohne Mühe lei-
ten wird.

Wann ich aber eines andern Meinung nicht

voll
C v
Von der Nachahmung.

Weil nun kein Wort in dem Teutſchen zweydeu-
tig/ wie hier ſuſtulit, das darvon Tragen und
auch aus dem Wege raumen und erwuͤrgen
heiſſt/ kan der Dolmetſcher mit Fug ſagen:

Der bracht den Vater aus der Noht/
der bracht die Mutter in den Tod.

46. Wann ich aber eines andern Meinung
gantz behalte und nur mit andern Worten
ausrede/ iſt ſolches gleich dem Gemaͤhl/ welches
mit andern Farben dem erſten von guter Hand
gemahlten Stuͤcke nachgemahlet wird. Dieſes
iſt ſo zulaͤſſig/ als bey den Lacedaͤmoniern das li-
ſtige Stehlen/ welches/ wann es nicht erfahren
worden/ unbeſtrafft geblieben. Die Exempel bey-
zuſetzen iſt unvonnoͤhten/ weil ſolche bey den heu-
tigen Poeten gemein und die Sache leicht zuver-
ſtehen. Wer nun redlich handlen/ und fremdes
Gut nicht fuͤr ſein eignes ausgeben will/ der ſetzet
darzu wie Herr Opitz: faſt aus dem Nieder-
laͤndiſchen/ nach Ronſards Sonnet ꝛc.

Jſt es aber zuweilen nur ein Art zu reden/ und
kein gantzes Gedicht/ ſo darff man nicht allezeit
vermelden/ aus wem es entnommen worden.
Welcher nun viel geleſen der machet gleichſam
aus vielen Baͤchen einen guten Poetiſchen Ein-
fluß den er zu ſeinem Vorhaben ohne Muͤhe lei-
ten wird.

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voll
C v
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[41/0073] Von der Nachahmung. Weil nun kein Wort in dem Teutſchen zweydeu- tig/ wie hier ſuſtulit, das darvon Tragen und auch aus dem Wege raumen und erwuͤrgen heiſſt/ kan der Dolmetſcher mit Fug ſagen: Der bracht den Vater aus der Noht/ der bracht die Mutter in den Tod. 46. Wann ich aber eines andern Meinung gantz behalte und nur mit andern Worten ausrede/ iſt ſolches gleich dem Gemaͤhl/ welches mit andern Farben dem erſten von guter Hand gemahlten Stuͤcke nachgemahlet wird. Dieſes iſt ſo zulaͤſſig/ als bey den Lacedaͤmoniern das li- ſtige Stehlen/ welches/ wann es nicht erfahren worden/ unbeſtrafft geblieben. Die Exempel bey- zuſetzen iſt unvonnoͤhten/ weil ſolche bey den heu- tigen Poeten gemein und die Sache leicht zuver- ſtehen. Wer nun redlich handlen/ und fremdes Gut nicht fuͤr ſein eignes ausgeben will/ der ſetzet darzu wie Herr Opitz: faſt aus dem Nieder- laͤndiſchen/ nach Ronſards Sonnet ꝛc. Jſt es aber zuweilen nur ein Art zu reden/ und kein gantzes Gedicht/ ſo darff man nicht allezeit vermelden/ aus wem es entnommen worden. Welcher nun viel geleſen der machet gleichſam aus vielen Baͤchen einen guten Poetiſchen Ein- fluß den er zu ſeinem Vorhaben ohne Muͤhe lei- ten wird. Wann ich aber eines andern Meinung nicht voll C v

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/73>, abgerufen am 25.11.2024.