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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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III.
auf mehr verständiger Oburtheil beziehen. Der
Alltagsmann kan nicht hohe Worte führen/ weil
er keine hohe Sachen zu behandlen hat/ verstehet
selbe nicht und handelt bescheidenlich/ wann
er dergleichen sonder Verachtung an seinem Or-
te beruhen lässet.

24. Zu seltnen Gedanken dienen seltne Wort/
welche mehrmals erdacht/ und von dero Verfas-
ser nach der Sprache Aenlichkeit oder Ebenmaß
(secundum Linguae Analogiam) erfunden wer-
den müssen. Niemand wolle sich hier mit einem
unbedachten Vorurtheil übereilen/ und zu rucke
sehen auf die alten Philosophos, Platonem, A-
ristotelem, Apuleium
und andere/ ob sie nicht in
sehr vielen Sachen neue Wörter erdacht/ welche
zwar nach ihrem Grund alt/ nach der Zusam-
menfügung aber neu; daß sie zuvor in keinem
Buche gefunden worden. Der gestalt kan kein
Käiser noch Fürst ein gantz neues teutsches
Stamm-Wort machen und dem allgemeinen
Gebrauch aufdringen/ wie dorten Pomponius
gesagt/ daß der Käiser zwar den Leuten das
Stattrecht solches aber mit nichten den Wör-
tern geben könne.

25. Was ist dann daß uns für neu und un-
erhört fürgerucket wird? Wann aus natürlicher
Krafft und würckender Eigenschafft der Stamm-
Wörter fernere ungewöhnliche Ableitungen

und

III.
auf mehr verſtaͤndiger Oburtheil beziehen. Der
Alltagsmann kan nicht hohe Worte fuͤhren/ weil
er keine hohe Sachen zu behandlen hat/ verſtehet
ſelbe nicht und handelt beſcheidenlich/ wann
er dergleichen ſonder Verachtung an ſeinem Or-
te beruhen laͤſſet.

24. Zu ſeltnen Gedanken dienen ſeltne Wort/
welche mehrmals erdacht/ und von dero Verfaſ-
ſer nach der Sprache Aenlichkeit oder Ebenmaß
(ſecundum Linguæ Analogiam) erfunden wer-
den muͤſſen. Niemand wolle ſich hier mit einem
unbedachten Vorurtheil uͤbereilen/ und zu rucke
ſehen auf die alten Philoſophos, Platonem, A-
riſtotelem, Apuleium
und andere/ ob ſie nicht in
ſehr vielen Sachen neue Woͤrter erdacht/ welche
zwar nach ihrem Grund alt/ nach der Zuſam-
menfuͤgung aber neu; daß ſie zuvor in keinem
Buche gefunden worden. Der geſtalt kan kein
Kaͤiſer noch Fuͤrſt ein gantz neues teutſches
Stamm-Wort machen und dem allgemeinen
Gebrauch aufdringen/ wie dorten Pomponius
geſagt/ daß der Kaͤiſer zwar den Leuten das
Stattrecht ſolches aber mit nichten den Woͤr-
tern geben koͤnne.

25. Was iſt dann daß uns fuͤr neu und un-
erhoͤrt fuͤrgerucket wird? Wann aus natuͤrlicher
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Woͤrter fernere ungewoͤhnliche Ableitungen

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[18/0050] III. auf mehr verſtaͤndiger Oburtheil beziehen. Der Alltagsmann kan nicht hohe Worte fuͤhren/ weil er keine hohe Sachen zu behandlen hat/ verſtehet ſelbe nicht und handelt beſcheidenlich/ wann er dergleichen ſonder Verachtung an ſeinem Or- te beruhen laͤſſet. 24. Zu ſeltnen Gedanken dienen ſeltne Wort/ welche mehrmals erdacht/ und von dero Verfaſ- ſer nach der Sprache Aenlichkeit oder Ebenmaß (ſecundum Linguæ Analogiam) erfunden wer- den muͤſſen. Niemand wolle ſich hier mit einem unbedachten Vorurtheil uͤbereilen/ und zu rucke ſehen auf die alten Philoſophos, Platonem, A- riſtotelem, Apuleium und andere/ ob ſie nicht in ſehr vielen Sachen neue Woͤrter erdacht/ welche zwar nach ihrem Grund alt/ nach der Zuſam- menfuͤgung aber neu; daß ſie zuvor in keinem Buche gefunden worden. Der geſtalt kan kein Kaͤiſer noch Fuͤrſt ein gantz neues teutſches Stamm-Wort machen und dem allgemeinen Gebrauch aufdringen/ wie dorten Pomponius geſagt/ daß der Kaͤiſer zwar den Leuten das Stattrecht ſolches aber mit nichten den Woͤr- tern geben koͤnne. 25. Was iſt dann daß uns fuͤr neu und un- erhoͤrt fuͤrgerucket wird? Wann aus natuͤrlicher Krafft und wuͤrckender Eigenſchafft der Stam̃- Woͤrter fernere ungewoͤhnliche Ableitungen und

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/50>, abgerufen am 24.11.2024.