Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648.Die zehende Stund. ist folgend. Eine Jungfrau hatte eine Perlehohes Werths gefunden/ welches ihr ihre fünf Brüder wolten abschwätzen/ der ältste war ein Mahler/ und versprache ihr ein treffliches Kunstgemähl. Der ander war ein Musicus/ und wolte ihr ein liebliches Liedlein singen und klingen. Der dritte war ein Koch/ gelobend/ sie mit den allerniedlichsten Speisen zu versehen. Der vier- te ein Apothecker/ brachte ihr ein köstliches Rauch- werk. Der fünfte ein Kupler/ und versprache sei- ner Schwestenr/ viel Buhler zuzuführen/ wann sie ihn mit dem Perle beschenken würde. Die Jung- frau hat diese ihre Brüder alle beharrlich abge- wiesen/ und ihrem Bräutigam und getreusten Liebhaber das schetzbare Perle ümsonst verehret. Die Jungfrau ist der Verstand/ das Perle ist der Wille; ihre Brüder sind die fünf Sinne/ das Gesicht/ das Gehör/ der Geschmack/ der Geruch/ und das Gefühl/ oder An- rühren. Dieser Jnhalt kan zwar ingebundener Rede er- Der * Prosopopoeia.
Die zehende Stund. iſt folgend. Eine Jungfrau hatte eine Perlehohes Werths gefunden/ welches ihr ihre fuͤnf Bruͤder wolten abſchwaͤtzen/ der aͤltſte war ein Mahler/ und verſprache ihr ein treffliches Kunſtgemaͤhl. Der ander war ein Muſicus/ uñ wolte ihr ein liebliches Liedlein ſingen und klingen. Der dritte war ein Koch/ gelobend/ ſie mit den allerniedlichſten Speiſen zu verſehen. Der vier- te ein Apothecker/ brachte ihr ein koͤſtliches Rauch- werk. Der fuͤnfte ein Kupler/ und verſprache ſei- ner Schweſtẽr/ viel Buhler zuzufuͤhren/ wann ſie ihn mit dem Perle beſchenken wuͤrde. Die Jung- frau hat dieſe ihre Bruͤder alle beharrlich abge- wieſen/ und ihrem Braͤutigam und getreuſten Liebhaber das ſchetzbare Perle uͤmſonſt verehret. Die Jungfrau iſt der Verſtand/ das Perle iſt der Wille; ihre Bruͤder ſind die fuͤnf Sinne/ das Geſicht/ das Gehoͤr/ der Geſchmack/ der Geruch/ und das Gefuͤhl/ oder An- ruͤhren. Dieſer Jnhalt kan zwar ingebundener Rede er- Der * Proſopopœia.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0066" n="52"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die zehende Stund.</hi></fw><lb/> iſt folgend. Eine <hi rendition="#fr">Jungfrau</hi> hatte eine <hi rendition="#fr">Perle</hi><lb/> hohes Werths gefunden/ welches ihr ihre fuͤnf<lb/> Bruͤder wolten abſchwaͤtzen/ der aͤltſte war ein<lb/><hi rendition="#fr">Mahler/</hi> und verſprache ihr ein treffliches<lb/> Kunſtgemaͤhl. Der ander war ein <hi rendition="#fr">Muſicus/</hi> uñ<lb/> wolte ihr ein liebliches Liedlein ſingen und klingen.<lb/> Der dritte war ein <hi rendition="#fr">Koch/</hi> gelobend/ ſie mit den<lb/> allerniedlichſten Speiſen zu verſehen. Der vier-<lb/> te ein Apothecker/ brachte ihr ein koͤſtliches Rauch-<lb/> werk. Der fuͤnfte ein <hi rendition="#fr">Kupler/</hi> und verſprache ſei-<lb/> ner Schweſtẽr/ viel Buhler zuzufuͤhren/ wann ſie<lb/> ihn mit dem Perle beſchenken wuͤrde. Die Jung-<lb/> frau hat dieſe ihre Bruͤder alle beharrlich abge-<lb/> wieſen/ und ihrem Braͤutigam und getreuſten<lb/> Liebhaber das ſchetzbare Perle uͤmſonſt verehret.<lb/> Die <hi rendition="#fr">Jungfrau</hi> iſt der <hi rendition="#fr">Verſtand/</hi> das <hi rendition="#fr">Perle</hi><lb/> iſt der <hi rendition="#fr">Wille;</hi> ihre Bruͤder ſind die fuͤnf Sinne/<lb/> das <hi rendition="#fr">Geſicht/ das Gehoͤr/ der Geſchmack/<lb/> der Geruch/ und das Gefuͤhl/ oder An-<lb/> ruͤhren.</hi></p><lb/> <p>Dieſer Jnhalt kan zwar ingebundener Rede er-<lb/> zehlet/ aber viel Poetiſcher durch die Perſonbil-<lb/> dung/<note place="foot" n="*"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Proſopopœia.</hi></hi></note> folgender maſſen verabfaſſet/ und gleich-<lb/> ſam ausgemahlet werden.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [52/0066]
Die zehende Stund.
iſt folgend. Eine Jungfrau hatte eine Perle
hohes Werths gefunden/ welches ihr ihre fuͤnf
Bruͤder wolten abſchwaͤtzen/ der aͤltſte war ein
Mahler/ und verſprache ihr ein treffliches
Kunſtgemaͤhl. Der ander war ein Muſicus/ uñ
wolte ihr ein liebliches Liedlein ſingen und klingen.
Der dritte war ein Koch/ gelobend/ ſie mit den
allerniedlichſten Speiſen zu verſehen. Der vier-
te ein Apothecker/ brachte ihr ein koͤſtliches Rauch-
werk. Der fuͤnfte ein Kupler/ und verſprache ſei-
ner Schweſtẽr/ viel Buhler zuzufuͤhren/ wann ſie
ihn mit dem Perle beſchenken wuͤrde. Die Jung-
frau hat dieſe ihre Bruͤder alle beharrlich abge-
wieſen/ und ihrem Braͤutigam und getreuſten
Liebhaber das ſchetzbare Perle uͤmſonſt verehret.
Die Jungfrau iſt der Verſtand/ das Perle
iſt der Wille; ihre Bruͤder ſind die fuͤnf Sinne/
das Geſicht/ das Gehoͤr/ der Geſchmack/
der Geruch/ und das Gefuͤhl/ oder An-
ruͤhren.
Dieſer Jnhalt kan zwar ingebundener Rede er-
zehlet/ aber viel Poetiſcher durch die Perſonbil-
dung/ * folgender maſſen verabfaſſet/ und gleich-
ſam ausgemahlet werden.
Der
* Proſopopœia.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648/66 |
Zitationshilfe: | Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648/66>, abgerufen am 29.07.2024. |