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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648.

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Die siebende Stunde.
der Anzahl ihrer Capitel/ oder Abtheilung: Also
sol man auch allezeit das Gedicht benamen von
seinem Begriff/ und nicht von dem Reimmaß/ o-
der der Versarte. So viel von den schweren Ge-
dichten.

10. Ferners kan auch das Gedicht gar zu
leicht/ die Wort gar zu schlecht/ und der Jnhalt
gar zu einfältig seyn/ welchs gleichsowol des Dich-
ters Vnverstand erweiset. Es muß unter der
gebundnen und ungebundnen Rede ein Vnter-
scheid seyn; allermassen auch derselben Jnhalt
einander keines wegs gleichet/ oder gleichen soll.

11. Die Poeterey ist eine Nachahmung * des-
sen/ was ist/ oder seyn könt. Wie nun der Mah-
ler die sichtbarliche Gestalt und Beschaffenheit vor
Augen stellet/ also bildet der Poet auf das eigent-
lichste die innerliche Bewantniß eines Dings. Ein
Mahler muß natürliche Farben gebrauchen/
wann er Lob von seiner Arbeit haben wil: Der
Poet muß eigentliche und den Sachen gemässe
Wort führen/ wann er mit seinem Gedicht beste-
hen sol. Solche Wort müssen mehrmals nach
den Gründen der Muttersprach erfunden und
gefüget werden/ welches einem jeden zu thun er-
laubt/ und gehört hieher die fleissige Lesung aller
Poeten in fremden Sprachen/ daß wir ihrer Re-
den Zierlichkeit/ sowol als ihrer Erfindungen Ar-

tigkeit
B iij

Die ſiebende Stunde.
der Anzahl ihrer Capitel/ oder Abtheilung: Alſo
ſol man auch allezeit das Gedicht benamen von
ſeinem Begriff/ und nicht von dem Reimmaß/ o-
der der Versarte. So viel von den ſchweren Ge-
dichten.

10. Ferners kan auch das Gedicht gar zu
leicht/ die Wort gar zu ſchlecht/ und der Jnhalt
gar zu einfaͤltig ſeyn/ welchs gleichſowol des Dich-
ters Vnverſtand erweiſet. Es muß unter der
gebundnen und ungebundnen Rede ein Vnter-
ſcheid ſeyn; allermaſſen auch derſelben Jnhalt
einander keines wegs gleichet/ oder gleichen ſoll.

11. Die Poeterey iſt eine Nachahmung * deſ-
ſen/ was iſt/ oder ſeyn koͤnt. Wie nun der Mah-
ler die ſichtbarliche Geſtalt uñ Beſchaffenheit vor
Augen ſtellet/ alſo bildet der Poet auf das eigent-
lichſte die innerliche Bewantniß eines Dings. Ein
Mahler muß natuͤrliche Farben gebrauchen/
wann er Lob von ſeiner Arbeit haben wil: Der
Poet muß eigentliche und den Sachen gemaͤſſe
Wort fuͤhren/ wann er mit ſeinem Gedicht beſte-
hen ſol. Solche Wort muͤſſen mehrmals nach
den Gruͤnden der Mutterſprach erfunden und
gefuͤget werden/ welches einem jeden zu thun er-
laubt/ und gehoͤrt hieher die fleiſſige Leſung aller
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den Zierlichkeit/ ſowol als ihrer Erfindungen Ar-

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[7/0021] Die ſiebende Stunde. der Anzahl ihrer Capitel/ oder Abtheilung: Alſo ſol man auch allezeit das Gedicht benamen von ſeinem Begriff/ und nicht von dem Reimmaß/ o- der der Versarte. So viel von den ſchweren Ge- dichten. 10. Ferners kan auch das Gedicht gar zu leicht/ die Wort gar zu ſchlecht/ und der Jnhalt gar zu einfaͤltig ſeyn/ welchs gleichſowol des Dich- ters Vnverſtand erweiſet. Es muß unter der gebundnen und ungebundnen Rede ein Vnter- ſcheid ſeyn; allermaſſen auch derſelben Jnhalt einander keines wegs gleichet/ oder gleichen ſoll. 11. Die Poeterey iſt eine Nachahmung * deſ- ſen/ was iſt/ oder ſeyn koͤnt. Wie nun der Mah- ler die ſichtbarliche Geſtalt uñ Beſchaffenheit vor Augen ſtellet/ alſo bildet der Poet auf das eigent- lichſte die innerliche Bewantniß eines Dings. Ein Mahler muß natuͤrliche Farben gebrauchen/ wann er Lob von ſeiner Arbeit haben wil: Der Poet muß eigentliche und den Sachen gemaͤſſe Wort fuͤhren/ wann er mit ſeinem Gedicht beſte- hen ſol. Solche Wort muͤſſen mehrmals nach den Gruͤnden der Mutterſprach erfunden und gefuͤget werden/ welches einem jeden zu thun er- laubt/ und gehoͤrt hieher die fleiſſige Leſung aller Poeten in fremden Sprachen/ daß wir ihrer Re- den Zierlichkeit/ ſowol als ihrer Erfindungen Ar- tigkeit B iij

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648/21>, abgerufen am 23.11.2024.