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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650.

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Die erste Stund.

17. Drittens/ werden die Erfindungen her-
genommen von den Umständen der Zeit/ und
des Orts/ welche ihm der Jnhalt seines Gedichts
an die Hand giebt: Also führet er ein die Tugen-
den und Laster/ die Sprachen und Künste/ Jahr-
Monat- und Tagszeiten/ die Frölichkeit/ die Trau-
rigkeit/ Flüsse/ Länder/ Berge/ Felsen/ und hierun-
ter gehört das Gemähl/ welches durch solche Be-
schreibung gleichsam beseelet wird.

18. Viertens/ ist die Gleichniß die allertiefste
Quelle etwas schönes/ und zur Sache dienliches
zu erfinden/ als bey welcher mehrmals das Be-
sagte alles kan angebracht werden/ hierunter ge-
hören die Sinnbilder/ deren Grund ein Gemähl
oder eine verblümte Beschreibung ist.

19. Wir wollen hier ein kurtzes Exempel se-
tzen. Du solst ein Gedicht schreiben von dem Glau-
ben/ davon sehr viel zu melden/ dieses Orts aber
sol er betrachtet werden/ als der waare seligma-
chende Glaube/ ohne welche der Mensch keine
Gottgefällige Werke thun kan. Kommet nun ein
Versstimpfler darüber/ so möchte er vielleicht be-
sagten Jnhalt also verfassen:

Gott wil ein reines Hertz/ das ihm allein
vertraut/
und nicht auf Menschen Hülf/ und eigne
Kräfte baut:
Ja
Die erſte Stund.

17. Drittens/ werden die Erfindungen her-
genommen von den Umſtaͤnden der Zeit/ und
des Orts/ welche ihm der Jnhalt ſeines Gedichts
an die Hand giebt: Alſo fuͤhret er ein die Tugen-
den und Laſter/ die Sprachen und Kuͤnſte/ Jahr-
Monat- und Tagszeiten/ die Froͤlichkeit/ die Trau-
rigkeit/ Fluͤſſe/ Laͤnder/ Berge/ Felſen/ und hierun-
ter gehoͤrt das Gemaͤhl/ welches durch ſolche Be-
ſchreibung gleichſam beſeelet wird.

18. Viertens/ iſt die Gleichniß die allertiefſte
Quelle etwas ſchoͤnes/ und zur Sache dienliches
zu erfinden/ als bey welcher mehrmals das Be-
ſagte alles kan angebracht werden/ hierunter ge-
hoͤren die Sinnbilder/ deren Grund ein Gemaͤhl
oder eine verbluͤmte Beſchreibung iſt.

19. Wir wollen hier ein kurtzes Exempel ſe-
tzen. Du ſolſt ein Gedicht ſchreiben von dem Glau-
ben/ davon ſehr viel zu melden/ dieſes Orts aber
ſol er betrachtet werden/ als der waare ſeligma-
chende Glaube/ ohne welche der Menſch keine
Gottgefaͤllige Werke thun kan. Kommet nun ein
Versſtimpfler daruͤber/ ſo moͤchte er vielleicht be-
ſagten Jnhalt alſo verfaſſen:

Gott wil ein reines Hertz/ das ihm allein
vertraut/
und nicht auf Menſchen Huͤlf/ und eigne
Kraͤfte baut:
Ja
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[12/0030] Die erſte Stund. 17. Drittens/ werden die Erfindungen her- genommen von den Umſtaͤnden der Zeit/ und des Orts/ welche ihm der Jnhalt ſeines Gedichts an die Hand giebt: Alſo fuͤhret er ein die Tugen- den und Laſter/ die Sprachen und Kuͤnſte/ Jahr- Monat- und Tagszeiten/ die Froͤlichkeit/ die Trau- rigkeit/ Fluͤſſe/ Laͤnder/ Berge/ Felſen/ und hierun- ter gehoͤrt das Gemaͤhl/ welches durch ſolche Be- ſchreibung gleichſam beſeelet wird. 18. Viertens/ iſt die Gleichniß die allertiefſte Quelle etwas ſchoͤnes/ und zur Sache dienliches zu erfinden/ als bey welcher mehrmals das Be- ſagte alles kan angebracht werden/ hierunter ge- hoͤren die Sinnbilder/ deren Grund ein Gemaͤhl oder eine verbluͤmte Beſchreibung iſt. 19. Wir wollen hier ein kurtzes Exempel ſe- tzen. Du ſolſt ein Gedicht ſchreiben von dem Glau- ben/ davon ſehr viel zu melden/ dieſes Orts aber ſol er betrachtet werden/ als der waare ſeligma- chende Glaube/ ohne welche der Menſch keine Gottgefaͤllige Werke thun kan. Kommet nun ein Versſtimpfler daruͤber/ ſo moͤchte er vielleicht be- ſagten Jnhalt alſo verfaſſen: Gott wil ein reines Hertz/ das ihm allein vertraut/ und nicht auf Menſchen Huͤlf/ und eigne Kraͤfte baut: Ja

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650/30>, abgerufen am 23.11.2024.