Harenberg, Johann Christoph: Vernünftige und Christliche Gedancken Uber die VAMPIRS Oder Bluhtsaugende Todten. Wolfenbüttel, 1733.in einer starcken Fäulnis und Ausjährung seyn müssen. Wie will sich aber hiemit der Zustand der Vampirs in dem Grabe reimen? Warum ist in ihnen das Bluht so frisch und flüßig, wenn die Ausdünstung und Fäulnis derselben so gar starck zu seyn geglaubet wird? §. XXII. Wie starck in diesem Fall die Einbildung sey, will ich mit einigen Exempeln erläutern. Damit wir wissen mögen, was ich unter der Einbildung verstehe, so will ich mich erklähren. Die Einbildung ist eine Kraft der Seelen, wodurch man abwesende Sachen ihm vorstellet als gegenwärtig. Wo diese Kraft fehlet, da fehlet auch das Gedächtnis. Allein es kan die Einbildung sehr in Unordnung gerahten und der Wahrheit Eintrag thun. Denn man kan ihm unter einem Bilde die unmögliche Sachen als möglich vorstellen, ferner die möglichen statt der würcklichen, die nicht gegenwärtigen als in der That gegenwärtige, die ungewissen und unwahrscheinlichsten statt der gewißlich zukünftigen und instehenden. Man siehet, daß dieser Fehler von dem Mangel eines gegründeten Urtheils und guten Geschmacks herrühre. Daher die unordentliche und ausschweifende Einbildung so viele Quellen und Uhrsachen hat, als es Umstände giebet, welche uns des guten (a) Geschmacks (a) Untersuchung von dem guten Geschmack in der Dicht- und Rede-Kunst, ausgefertigt von
in einer starcken Fäulnis und Ausjährung seyn müssen. Wie will sich aber hiemit der Zustand der Vampirs in dem Grabe reimen? Warum ist in ihnen das Bluht so frisch und flüßig, wenn die Ausdünstung und Fäulnis derselben so gar starck zu seyn geglaubet wird? §. XXII. Wie starck in diesem Fall die Einbildung sey, will ich mit einigen Exempeln erläutern. Damit wir wissen mögen, was ich unter der Einbildung verstehe, so will ich mich erklähren. Die Einbildung ist eine Kraft der Seelen, wodurch man abwesende Sachen ihm vorstellet als gegenwärtig. Wo diese Kraft fehlet, da fehlet auch das Gedächtnis. Allein es kan die Einbildung sehr in Unordnung gerahten und der Wahrheit Eintrag thun. Denn man kan ihm unter einem Bilde die unmögliche Sachen als möglich vorstellen, ferner die möglichen statt der würcklichen, die nicht gegenwärtigen als in der That gegenwärtige, die ungewissen und unwahrscheinlichsten statt der gewißlich zukünftigen und instehenden. Man siehet, daß dieser Fehler von dem Mangel eines gegründeten Urtheils und guten Geschmacks herrühre. Daher die unordentliche und ausschweifende Einbildung so viele Quellen und Uhrsachen hat, als es Umstände giebet, welche uns des guten (a) Geschmacks (a) Untersuchung von dem guten Geschmack in der Dicht- und Rede-Kunst, ausgefertigt von
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0080" n="82"/> in einer starcken Fäulnis und Ausjährung seyn müssen. Wie will sich aber hiemit der Zustand der Vampirs in dem Grabe reimen? Warum ist in ihnen das Bluht so frisch und flüßig, wenn die Ausdünstung und Fäulnis derselben so gar starck zu seyn geglaubet wird?</p> </div> <div n="2"> <head>§. XXII.</head><lb/> <p>Wie starck in diesem Fall die Einbildung sey, will ich mit einigen Exempeln erläutern. Damit wir wissen mögen, was ich unter der Einbildung verstehe, so will ich mich erklähren. Die Einbildung ist eine Kraft der Seelen, wodurch man abwesende Sachen ihm vorstellet als gegenwärtig. Wo diese Kraft fehlet, da fehlet auch das Gedächtnis. Allein es kan die Einbildung sehr in Unordnung gerahten und der Wahrheit Eintrag thun. Denn man kan ihm unter einem Bilde die unmögliche Sachen als möglich vorstellen, ferner die möglichen statt der würcklichen, die nicht gegenwärtigen als in der That gegenwärtige, die ungewissen und unwahrscheinlichsten statt der gewißlich zukünftigen und instehenden. Man siehet, daß dieser Fehler von dem Mangel eines gegründeten Urtheils und guten Geschmacks herrühre. Daher die unordentliche und ausschweifende Einbildung so viele Quellen und Uhrsachen hat, als es Umstände giebet, welche uns des guten <note xml:id="note-0080" next="note-0081" place="foot" n="(a)"><hi rendition="#fr">Untersuchung von dem guten Geschmack in der Dicht- und Rede-Kunst</hi>, ausgefertigt von</note> Geschmacks </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [82/0080]
in einer starcken Fäulnis und Ausjährung seyn müssen. Wie will sich aber hiemit der Zustand der Vampirs in dem Grabe reimen? Warum ist in ihnen das Bluht so frisch und flüßig, wenn die Ausdünstung und Fäulnis derselben so gar starck zu seyn geglaubet wird?
§. XXII.
Wie starck in diesem Fall die Einbildung sey, will ich mit einigen Exempeln erläutern. Damit wir wissen mögen, was ich unter der Einbildung verstehe, so will ich mich erklähren. Die Einbildung ist eine Kraft der Seelen, wodurch man abwesende Sachen ihm vorstellet als gegenwärtig. Wo diese Kraft fehlet, da fehlet auch das Gedächtnis. Allein es kan die Einbildung sehr in Unordnung gerahten und der Wahrheit Eintrag thun. Denn man kan ihm unter einem Bilde die unmögliche Sachen als möglich vorstellen, ferner die möglichen statt der würcklichen, die nicht gegenwärtigen als in der That gegenwärtige, die ungewissen und unwahrscheinlichsten statt der gewißlich zukünftigen und instehenden. Man siehet, daß dieser Fehler von dem Mangel eines gegründeten Urtheils und guten Geschmacks herrühre. Daher die unordentliche und ausschweifende Einbildung so viele Quellen und Uhrsachen hat, als es Umstände giebet, welche uns des guten (a) Geschmacks
(a) Untersuchung von dem guten Geschmack in der Dicht- und Rede-Kunst, ausgefertigt von
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/harenberg_vampirs_1733 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/harenberg_vampirs_1733/80 |
Zitationshilfe: | Harenberg, Johann Christoph: Vernünftige und Christliche Gedancken Uber die VAMPIRS Oder Bluhtsaugende Todten. Wolfenbüttel, 1733, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harenberg_vampirs_1733/80>, abgerufen am 16.07.2024. |