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Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690.

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Romans I. Buch.
gefraget: Welches von beyden in der Conversation angeneh-
mer/ entweder ein gutes Judicium, oder aber ein gutes Gedächt-
nüß zu haben? Was meine Person belanget/ so halte ich es mit
dem Ersten/ dafern es in der That/ ja wie man ins gemein saget:
Daß nemlich diese beyde Facultäten der Seelen in einem Men-
schen nimmer gleich/ sondern wie schwach die eine/ so starck die
andere in ihm sey. Jn einem Discurs ist nichts annehmlichers/
als wann alles wol auf einander folget/ und eine ungezwungene
Veränderung deß Gesprächs von einer Materie zu der andern
geschicht/ dann die gar zu lange Continuation einer Rede von
einem einzigen Ding fället auch den allerernsthafftigsten Leuten
verdrießlich/ welche sich so wol/ als die Natur selbsten/ an der
Vatietät oder Veränderung ergötzen/ und muß solche mit den
Musicalischen Thonen übereinnimmen/ daß sie gleichsam durch
andere mittlere Thone fein an einander hangen/ und mit der
Mahler-Kunst/ da sich in einem Gemählde die Erhöhungen all-
gemählich verlieren müssen/ dafern es dem Gesicht gefallen soll.
Also muß auch einer/ der einen Discurs führet/ so er anders bey
der Gesellschafft wil beliebt seyn/ nicht von einer Materie auf die
andere hupffen/ wie die Atzeln oder Elftern/ welches ins gemein
die jenigen Leute thun/ die kein Judicium haben/ und deßwegen
die Compagnie mit ihrem verworrenen Gehirn und abge-
schmackten Gespräch gar wenig vergnügen/ wollen auch/ wie
die Narren/ ihre Meynung von allen Dingen sagen/ es mag sich
reimen oder nicht. Gleichwie Jener/ der von Plinio reden hö-
rete/ dem Andern ins Wort fiel/ und sprach: Der wil viel von
Plinio reden/ und ist doch sein Lebtage nicht da gewesen. Oder/
wie ein anderer/ so von dem Concilio Lateranensi sagen hörete/
sprach: Er hätte den Mann vor diesem wol gekannt. An statt
dessen/ daß ein judicieuser Mensch lieber einem Jedweden/ als
sich selbsten Gehör gibt/ behält er sich die Gelegenheit für/ zu
rechter Zeit zu reden/ bekräfftiget die Meynungen/ die er gehö-
ret/ oder corrigiret sie gar sittsam/ wie es in einer Ehr-liebenden
Conversation erfordert wird. Und wann er auß den schwachen
Argumenten/ die die andern vorbringen/ abnimmt/ daß ein Discurs
lang gnug ist debattiret und abgebandelt worden/ verändert er
ihn allgemählich/ und zwar unvermerckt mit solcher Modera-
tion
und Bescheidenheit/ daß/ gleich wie die Dämmerung darzu
dienet/ daß die Nacht der Sonnen weiche/ deren Klarheit wir
sonsten nicht würden ertragen können/ wann sie auß der Finster-
nüß plötzlich herfür blickete/ wie hingegen die Finsternüß uns

unerträg-

Romans I. Buch.
gefraget: Welches von beyden in der Converſation angeneh-
mer/ entweder ein gutes Judicium, oder aber ein gutes Gedaͤcht-
nuͤß zu haben? Was meine Perſon belanget/ ſo halte ich es mit
dem Erſten/ dafern es in der That/ ja wie man ins gemein ſaget:
Daß nemlich dieſe beyde Facultaͤten der Seelen in einem Men-
ſchen nimmer gleich/ ſondern wie ſchwach die eine/ ſo ſtarck die
andere in ihm ſey. Jn einem Diſcurs iſt nichts annehmlichers/
als wann alles wol auf einander folget/ und eine ungezwungene
Veraͤnderung deß Geſpraͤchs von einer Materie zu der andern
geſchicht/ dann die gar zu lange Continuation einer Rede von
einem einzigen Ding faͤllet auch den allerernſthafftigſten Leuten
verdrießlich/ welche ſich ſo wol/ als die Natur ſelbſten/ an der
Vatietaͤt oder Veraͤnderung ergoͤtzen/ und muß ſolche mit den
Muſicaliſchen Thonen uͤbereinnimmen/ daß ſie gleichſam durch
andere mittlere Thone fein an einander hangen/ und mit der
Mahler-Kunſt/ da ſich in einem Gemaͤhlde die Erhoͤhungen all-
gemaͤhlich verlieren muͤſſen/ dafern es dem Geſicht gefallen ſoll.
Alſo muß auch einer/ der einen Diſcurs fuͤhret/ ſo er anders bey
der Geſellſchafft wil beliebt ſeyn/ nicht von einer Materie auf die
andere hupffen/ wie die Atzeln oder Elftern/ welches ins gemein
die jenigen Leute thun/ die kein Judicium haben/ und deßwegen
die Compagnie mit ihrem verworrenen Gehirn und abge-
ſchmackten Geſpraͤch gar wenig vergnuͤgen/ wollen auch/ wie
die Narren/ ihre Meynung von allen Dingen ſagen/ es mag ſich
reimen oder nicht. Gleichwie Jener/ der von Plinio reden hoͤ-
rete/ dem Andern ins Wort fiel/ und ſprach: Der wil viel von
Plinio reden/ und iſt doch ſein Lebtage nicht da geweſen. Oder/
wie ein anderer/ ſo von dem Concilio Lateranenſi ſagen hoͤrete/
ſprach: Er haͤtte den Mann vor dieſem wol gekannt. An ſtatt
deſſen/ daß ein judicieuſer Menſch lieber einem Jedweden/ als
ſich ſelbſten Gehoͤr gibt/ behaͤlt er ſich die Gelegenheit fuͤr/ zu
rechter Zeit zu reden/ bekraͤfftiget die Meynungen/ die er gehoͤ-
ret/ oder corrigiret ſie gar ſittſam/ wie es in einer Ehr-liebenden
Converſation erfordert wird. Und wann er auß den ſchwachen
Argumenten/ die die andern vorbringen/ abnim̃t/ daß ein Diſcurs
lang gnug iſt debattiret und abgebandelt worden/ veraͤndert er
ihn allgemaͤhlich/ und zwar unvermerckt mit ſolcher Modera-
tion
und Beſcheidenheit/ daß/ gleich wie die Daͤmmerung darzu
dienet/ daß die Nacht der Sonnen weiche/ deren Klarheit wir
ſonſten nicht wuͤrden ertragen koͤnnen/ wann ſie auß der Finſter-
nuͤß ploͤtzlich herfuͤr blickete/ wie hingegen die Finſternuͤß uns

unertraͤg-
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[543/0559] Romans I. Buch. gefraget: Welches von beyden in der Converſation angeneh- mer/ entweder ein gutes Judicium, oder aber ein gutes Gedaͤcht- nuͤß zu haben? Was meine Perſon belanget/ ſo halte ich es mit dem Erſten/ dafern es in der That/ ja wie man ins gemein ſaget: Daß nemlich dieſe beyde Facultaͤten der Seelen in einem Men- ſchen nimmer gleich/ ſondern wie ſchwach die eine/ ſo ſtarck die andere in ihm ſey. Jn einem Diſcurs iſt nichts annehmlichers/ als wann alles wol auf einander folget/ und eine ungezwungene Veraͤnderung deß Geſpraͤchs von einer Materie zu der andern geſchicht/ dann die gar zu lange Continuation einer Rede von einem einzigen Ding faͤllet auch den allerernſthafftigſten Leuten verdrießlich/ welche ſich ſo wol/ als die Natur ſelbſten/ an der Vatietaͤt oder Veraͤnderung ergoͤtzen/ und muß ſolche mit den Muſicaliſchen Thonen uͤbereinnimmen/ daß ſie gleichſam durch andere mittlere Thone fein an einander hangen/ und mit der Mahler-Kunſt/ da ſich in einem Gemaͤhlde die Erhoͤhungen all- gemaͤhlich verlieren muͤſſen/ dafern es dem Geſicht gefallen ſoll. Alſo muß auch einer/ der einen Diſcurs fuͤhret/ ſo er anders bey der Geſellſchafft wil beliebt ſeyn/ nicht von einer Materie auf die andere hupffen/ wie die Atzeln oder Elftern/ welches ins gemein die jenigen Leute thun/ die kein Judicium haben/ und deßwegen die Compagnie mit ihrem verworrenen Gehirn und abge- ſchmackten Geſpraͤch gar wenig vergnuͤgen/ wollen auch/ wie die Narren/ ihre Meynung von allen Dingen ſagen/ es mag ſich reimen oder nicht. Gleichwie Jener/ der von Plinio reden hoͤ- rete/ dem Andern ins Wort fiel/ und ſprach: Der wil viel von Plinio reden/ und iſt doch ſein Lebtage nicht da geweſen. Oder/ wie ein anderer/ ſo von dem Concilio Lateranenſi ſagen hoͤrete/ ſprach: Er haͤtte den Mann vor dieſem wol gekannt. An ſtatt deſſen/ daß ein judicieuſer Menſch lieber einem Jedweden/ als ſich ſelbſten Gehoͤr gibt/ behaͤlt er ſich die Gelegenheit fuͤr/ zu rechter Zeit zu reden/ bekraͤfftiget die Meynungen/ die er gehoͤ- ret/ oder corrigiret ſie gar ſittſam/ wie es in einer Ehr-liebenden Converſation erfordert wird. Und wann er auß den ſchwachen Argumenten/ die die andern vorbringen/ abnim̃t/ daß ein Diſcurs lang gnug iſt debattiret und abgebandelt worden/ veraͤndert er ihn allgemaͤhlich/ und zwar unvermerckt mit ſolcher Modera- tion und Beſcheidenheit/ daß/ gleich wie die Daͤmmerung darzu dienet/ daß die Nacht der Sonnen weiche/ deren Klarheit wir ſonſten nicht wuͤrden ertragen koͤnnen/ wann ſie auß der Finſter- nuͤß ploͤtzlich herfuͤr blickete/ wie hingegen die Finſternuͤß uns unertraͤg-

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Zitationshilfe: Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/happel_roman_1690/559>, abgerufen am 22.11.2024.