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Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690.

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Romans I. Buch.

ALs der Teutsche seinen vernünfftigen Discurs,
woran der Magnificus ein sonderbares Gefal-
len hatte/ beschlosse/ legete Condado der Ge-
sellschafft die Frage vor/ wer in den Streittigkeiten
der Gelehrten wol ein recht-mässiger Richter seyn
könne? Aber der Magnificus antwortete ihm ex tem-
pore
hierauf folgender Gestalt: Diese Frage/ mein
Printz/ sprach er/ ist von unserm Vorsteher Galeno
bereits erörtert/ und in einer langen Rede von Phi-
lippo Scherbio
außgeführet worden/ deren Jnnhalt
wir kürtzlich allhier repetiren wollen. Wer sich zu ei-
nem Richter in Streit-Sachen der Gelehrten auf-
werffen wil/ muß mit nachfolgenden 7. Gaben gezie-
ret seyn/ oder sein Urtheil wird als untüchtig verworf-
fen/ und mit einem nachtheiligen Ob-Urtheil bele-
get werden.

1. MUß er eine natürliche Ubertrefflichkeit erweisen/ und in der
Erfindung scharffsinnig/ in Begreiffung aller Sachen
unermüdet und Lehr-gierig/ in der Beurtheilung verständig/
und in der Bemerckung fähig und eingriffig seyn. Wie schwer
aber dieses sey/ erscheinet in dem/ daß die Artzney-Verständigen
beglauben/ daß die Scharffsinnigen Gall-reich/ schneller/ gar
hitziger und trockener Beschaffenheit. Die Verständigen aber
Melancholisch/ mit wenig Wärme/ sehr trocken sind. Die gute
Gedächtnüß haben/ mit lüfftiger Feuchtigkeit das Gehirn ge-
mässiget haben. Weil nun solches nicht in unserm Wünschen
und Willen stehet/ wird es billig der von GOtt verliehenen Be-
gnädigung beygemessen/ und ersehen wir täglich/ daß andere
Pferde auf die Reut-Schul/ andere in den Mühl-Wagen ge-
hören/ und daß nicht ein jeder Kopff von der Natur zu dem Stu-
di
ren geartet ist.
2. Soll besagter Richter von Jugend auf in allen freyen
Künsten verständig angeführet worden seyn/ damit der gute
Acker auch mit gutem Samen befruchtet werden möge/ welcher
sonsten viel Unkraut bringen/ und mit unnützen Disteln und
Hecken zu wuchern pfleget. Hier liget nun sehr viel an der Lehr-
Art/ und dem Grund in allen Sprachen/ die wir bey heutigem
Zustande nicht ermangeln/ und als eine nothwendige Zierde er-
halten
Romans I. Buch.

ALs der Teutſche ſeinen vernuͤnfftigen Diſcurs,
woran der Magnificus ein ſonderbares Gefal-
len hatte/ beſchloſſe/ legete Condado der Ge-
ſellſchafft die Frage vor/ wer in den Streittigkeiten
der Gelehrten wol ein recht-maͤſſiger Richter ſeyn
koͤnne? Aber der Magnificus antwortete ihm ex tem-
pore
hierauf folgender Geſtalt: Dieſe Frage/ mein
Printz/ ſprach er/ iſt von unſerm Vorſteher Galeno
bereits eroͤrtert/ und in einer langen Rede von Phi-
lippo Scherbio
außgefuͤhret worden/ deren Jnnhalt
wir kuͤrtzlich allhier repetiren wollen. Wer ſich zu ei-
nem Richter in Streit-Sachen der Gelehrten auf-
werffen wil/ muß mit nachfolgenden 7. Gaben gezie-
ret ſeyn/ oder ſein Urtheil wird als untuͤchtig verworf-
fen/ und mit einem nachtheiligen Ob-Urtheil bele-
get werden.

1. MUß er eine natuͤrliche Ubertrefflichkeit erweiſen/ und in der
Erfindung ſcharffſinnig/ in Begreiffung aller Sachen
unermuͤdet und Lehr-gierig/ in der Beurtheilung verſtaͤndig/
und in der Bemerckung faͤhig und eingriffig ſeyn. Wie ſchwer
aber dieſes ſey/ erſcheinet in dem/ daß die Artzney-Verſtaͤndigen
beglauben/ daß die Scharffſinnigen Gall-reich/ ſchneller/ gar
hitziger und trockener Beſchaffenheit. Die Verſtaͤndigen aber
Melancholiſch/ mit wenig Waͤrme/ ſehr trocken ſind. Die gute
Gedaͤchtnuͤß haben/ mit luͤfftiger Feuchtigkeit das Gehirn ge-
maͤſſiget haben. Weil nun ſolches nicht in unſerm Wuͤnſchen
und Willen ſtehet/ wird es billig der von GOtt verliehenen Be-
gnaͤdigung beygemeſſen/ und erſehen wir taͤglich/ daß andere
Pferde auf die Reut-Schul/ andere in den Muͤhl-Wagen ge-
hoͤren/ und daß nicht ein jeder Kopff von der Natur zu dem Stu-
di
ren geartet iſt.
2. Soll beſagter Richter von Jugend auf in allen freyen
Kuͤnſten verſtaͤndig angefuͤhret worden ſeyn/ damit der gute
Acker auch mit gutem Samen befruchtet werden moͤge/ welcher
ſonſten viel Unkraut bringen/ und mit unnuͤtzen Diſteln und
Hecken zu wuchern pfleget. Hier liget nun ſehr viel an der Lehr-
Art/ und dem Grund in allen Sprachen/ die wir bey heutigem
Zuſtande nicht ermangeln/ und als eine nothwendige Zierde er-
halten
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[443/0457] Romans I. Buch. ALs der Teutſche ſeinen vernuͤnfftigen Diſcurs, woran der Magnificus ein ſonderbares Gefal- len hatte/ beſchloſſe/ legete Condado der Ge- ſellſchafft die Frage vor/ wer in den Streittigkeiten der Gelehrten wol ein recht-maͤſſiger Richter ſeyn koͤnne? Aber der Magnificus antwortete ihm ex tem- pore hierauf folgender Geſtalt: Dieſe Frage/ mein Printz/ ſprach er/ iſt von unſerm Vorſteher Galeno bereits eroͤrtert/ und in einer langen Rede von Phi- lippo Scherbio außgefuͤhret worden/ deren Jnnhalt wir kuͤrtzlich allhier repetiren wollen. Wer ſich zu ei- nem Richter in Streit-Sachen der Gelehrten auf- werffen wil/ muß mit nachfolgenden 7. Gaben gezie- ret ſeyn/ oder ſein Urtheil wird als untuͤchtig verworf- fen/ und mit einem nachtheiligen Ob-Urtheil bele- get werden. 1. MUß er eine natuͤrliche Ubertrefflichkeit erweiſen/ und in der Erfindung ſcharffſinnig/ in Begreiffung aller Sachen unermuͤdet und Lehr-gierig/ in der Beurtheilung verſtaͤndig/ und in der Bemerckung faͤhig und eingriffig ſeyn. Wie ſchwer aber dieſes ſey/ erſcheinet in dem/ daß die Artzney-Verſtaͤndigen beglauben/ daß die Scharffſinnigen Gall-reich/ ſchneller/ gar hitziger und trockener Beſchaffenheit. Die Verſtaͤndigen aber Melancholiſch/ mit wenig Waͤrme/ ſehr trocken ſind. Die gute Gedaͤchtnuͤß haben/ mit luͤfftiger Feuchtigkeit das Gehirn ge- maͤſſiget haben. Weil nun ſolches nicht in unſerm Wuͤnſchen und Willen ſtehet/ wird es billig der von GOtt verliehenen Be- gnaͤdigung beygemeſſen/ und erſehen wir taͤglich/ daß andere Pferde auf die Reut-Schul/ andere in den Muͤhl-Wagen ge- hoͤren/ und daß nicht ein jeder Kopff von der Natur zu dem Stu- diren geartet iſt. 2. Soll beſagter Richter von Jugend auf in allen freyen Kuͤnſten verſtaͤndig angefuͤhret worden ſeyn/ damit der gute Acker auch mit gutem Samen befruchtet werden moͤge/ welcher ſonſten viel Unkraut bringen/ und mit unnuͤtzen Diſteln und Hecken zu wuchern pfleget. Hier liget nun ſehr viel an der Lehr- Art/ und dem Grund in allen Sprachen/ die wir bey heutigem Zuſtande nicht ermangeln/ und als eine nothwendige Zierde er- halten

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Zitationshilfe: Happel, Eberhard Werner: Der Academische Roman. Ulm, 1690, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/happel_roman_1690/457>, abgerufen am 25.11.2024.