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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 5. Der Kampf zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. (1075-1085).
als König von Deutschland, von dem der Lehensleid, falls nicht
wirklich mehr geleistet, doch jedenfalls erwartet wurde.

Alles hing davon ab, ob dieser zweite Bann noch denselben
Eindruck machen würde, wie der erste. Abgesehen von der ab-
stumpfenden Wirkung jeder Wiederholung und der Enttäuschung
der friedebedürftigen Massen über diese neue Kriegserklärung kam
da, namentlich für die Haltung des deutschen Episkopates, ein
weiterer Beschluß der Fastensynode in Betracht, der die letzten
Absichten der Kurie in der Frage der Bistumsbesetzung mit voll-
kommener Deutlichkeit enthüllte. Papst oder Metropolit sollten die
Vornahme jeder Wahl durch einen Visitator anordnen, ihre Zu-
stimmung dazu erteilen, bei einem unrechtmäßigen Verlaufe aber
das Wahlrecht durch "Devolution" dauernd an sich nehmen. Be-
denkt man, daß die Kurie schon seit einiger Zeit bestrebt war, die
Erzbischöfe durch die Verpflichtung sofortiger Pallieneinholung so-
wie durch besondere Gehorsamseide eng an sich zu ketten, so wollte
die Erwähnung des Metropoliten nicht viel heißen, und der Beschluß
besagte nicht weniger, als daß das Papsttum sich mit der kaum
geforderten freien kanonischen Wahl nicht mehr begnügen, sondern
seinen maßgebenden Einfluß an die Stelle des königlichen setzen
wollte. Das blieb in der Tat das Programm der Kurie, bis Innozenz III.
es verwirklichte; schon Gregor aber setzte es im Machtgebiete des
Gegenkönigs Rudolf in Kraft. Das mußte die deutschen Bischöfe
stutzig machen. Vor die Frage gestellt, ob sie deutsche Reichs-
fürsten oder Diener des Papstes sein wollten, entschied sich die
Mehrheit doch für das erste und scharte sich in dem neuen Kampfe
um König Heinrich. Auf sie gestützt, tat dieser jetzt den Schritte
zu dem man 1076 bei dem allgemeinen Abfall nicht mehr ge-
kommen war: auf der Synode von Brixen (1080) erfolgte nicht nur
die erneute Absetzung und Bannung Gregors, sondern auch die
Aufstellung eines Gegenpapstes. Stimmung und Einzelvorgänge er-
innerten an Worms. Jener Kardinal Hugo Candidus war abermals
zugegen und betrieb die Verhetzung mit noch viel abgeschmackteren
Verläumdungen, die in der Anklage gipfelten, Hildebrand habe seine
vier Vorgänger durch Gift aus dem Wege räumen lassen. Noch
war man auf beiden Seiten nicht imstande, einen Kampf auf Leben
und Tod ohne persönliche Verunglimpfung des Gegners zu führen.
Auch der neue Gegenpapst Erzbischof Wibert von Ravenna, ein
Mann von unbescholtenem Wandel, der, die alte Rivalität Ravennas
mit der Feindschaft der lombardischen Bischöfe gegen Rom in seiner
Person vereinend, seine Rolle zwei Jahrzehnte lang mit ungemeiner
Klugheit und Tatkraft durchgeführt hat, wurde von Gregor bald
genug als Verbrecher gekennzeichnet. So ging nun ein völliger

§ 5. Der Kampf zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. (1075‒1085).
als König von Deutschland, von dem der Lehensleid, falls nicht
wirklich mehr geleistet, doch jedenfalls erwartet wurde.

Alles hing davon ab, ob dieser zweite Bann noch denselben
Eindruck machen würde, wie der erste. Abgesehen von der ab-
stumpfenden Wirkung jeder Wiederholung und der Enttäuschung
der friedebedürftigen Massen über diese neue Kriegserklärung kam
da, namentlich für die Haltung des deutschen Episkopates, ein
weiterer Beschluß der Fastensynode in Betracht, der die letzten
Absichten der Kurie in der Frage der Bistumsbesetzung mit voll-
kommener Deutlichkeit enthüllte. Papst oder Metropolit sollten die
Vornahme jeder Wahl durch einen Visitator anordnen, ihre Zu-
stimmung dazu erteilen, bei einem unrechtmäßigen Verlaufe aber
das Wahlrecht durch „Devolution“ dauernd an sich nehmen. Be-
denkt man, daß die Kurie schon seit einiger Zeit bestrebt war, die
Erzbischöfe durch die Verpflichtung sofortiger Pallieneinholung so-
wie durch besondere Gehorsamseide eng an sich zu ketten, so wollte
die Erwähnung des Metropoliten nicht viel heißen, und der Beschluß
besagte nicht weniger, als daß das Papsttum sich mit der kaum
geforderten freien kanonischen Wahl nicht mehr begnügen, sondern
seinen maßgebenden Einfluß an die Stelle des königlichen setzen
wollte. Das blieb in der Tat das Programm der Kurie, bis Innozenz III.
es verwirklichte; schon Gregor aber setzte es im Machtgebiete des
Gegenkönigs Rudolf in Kraft. Das mußte die deutschen Bischöfe
stutzig machen. Vor die Frage gestellt, ob sie deutsche Reichs-
fürsten oder Diener des Papstes sein wollten, entschied sich die
Mehrheit doch für das erste und scharte sich in dem neuen Kampfe
um König Heinrich. Auf sie gestützt, tat dieser jetzt den Schritte
zu dem man 1076 bei dem allgemeinen Abfall nicht mehr ge-
kommen war: auf der Synode von Brixen (1080) erfolgte nicht nur
die erneute Absetzung und Bannung Gregors, sondern auch die
Aufstellung eines Gegenpapstes. Stimmung und Einzelvorgänge er-
innerten an Worms. Jener Kardinal Hugo Candidus war abermals
zugegen und betrieb die Verhetzung mit noch viel abgeschmackteren
Verläumdungen, die in der Anklage gipfelten, Hildebrand habe seine
vier Vorgänger durch Gift aus dem Wege räumen lassen. Noch
war man auf beiden Seiten nicht imstande, einen Kampf auf Leben
und Tod ohne persönliche Verunglimpfung des Gegners zu führen.
Auch der neue Gegenpapst Erzbischof Wibert von Ravenna, ein
Mann von unbescholtenem Wandel, der, die alte Rivalität Ravennas
mit der Feindschaft der lombardischen Bischöfe gegen Rom in seiner
Person vereinend, seine Rolle zwei Jahrzehnte lang mit ungemeiner
Klugheit und Tatkraft durchgeführt hat, wurde von Gregor bald
genug als Verbrecher gekennzeichnet. So ging nun ein völliger

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[57/0065] § 5. Der Kampf zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. (1075‒1085). als König von Deutschland, von dem der Lehensleid, falls nicht wirklich mehr geleistet, doch jedenfalls erwartet wurde. Alles hing davon ab, ob dieser zweite Bann noch denselben Eindruck machen würde, wie der erste. Abgesehen von der ab- stumpfenden Wirkung jeder Wiederholung und der Enttäuschung der friedebedürftigen Massen über diese neue Kriegserklärung kam da, namentlich für die Haltung des deutschen Episkopates, ein weiterer Beschluß der Fastensynode in Betracht, der die letzten Absichten der Kurie in der Frage der Bistumsbesetzung mit voll- kommener Deutlichkeit enthüllte. Papst oder Metropolit sollten die Vornahme jeder Wahl durch einen Visitator anordnen, ihre Zu- stimmung dazu erteilen, bei einem unrechtmäßigen Verlaufe aber das Wahlrecht durch „Devolution“ dauernd an sich nehmen. Be- denkt man, daß die Kurie schon seit einiger Zeit bestrebt war, die Erzbischöfe durch die Verpflichtung sofortiger Pallieneinholung so- wie durch besondere Gehorsamseide eng an sich zu ketten, so wollte die Erwähnung des Metropoliten nicht viel heißen, und der Beschluß besagte nicht weniger, als daß das Papsttum sich mit der kaum geforderten freien kanonischen Wahl nicht mehr begnügen, sondern seinen maßgebenden Einfluß an die Stelle des königlichen setzen wollte. Das blieb in der Tat das Programm der Kurie, bis Innozenz III. es verwirklichte; schon Gregor aber setzte es im Machtgebiete des Gegenkönigs Rudolf in Kraft. Das mußte die deutschen Bischöfe stutzig machen. Vor die Frage gestellt, ob sie deutsche Reichs- fürsten oder Diener des Papstes sein wollten, entschied sich die Mehrheit doch für das erste und scharte sich in dem neuen Kampfe um König Heinrich. Auf sie gestützt, tat dieser jetzt den Schritte zu dem man 1076 bei dem allgemeinen Abfall nicht mehr ge- kommen war: auf der Synode von Brixen (1080) erfolgte nicht nur die erneute Absetzung und Bannung Gregors, sondern auch die Aufstellung eines Gegenpapstes. Stimmung und Einzelvorgänge er- innerten an Worms. Jener Kardinal Hugo Candidus war abermals zugegen und betrieb die Verhetzung mit noch viel abgeschmackteren Verläumdungen, die in der Anklage gipfelten, Hildebrand habe seine vier Vorgänger durch Gift aus dem Wege räumen lassen. Noch war man auf beiden Seiten nicht imstande, einen Kampf auf Leben und Tod ohne persönliche Verunglimpfung des Gegners zu führen. Auch der neue Gegenpapst Erzbischof Wibert von Ravenna, ein Mann von unbescholtenem Wandel, der, die alte Rivalität Ravennas mit der Feindschaft der lombardischen Bischöfe gegen Rom in seiner Person vereinend, seine Rolle zwei Jahrzehnte lang mit ungemeiner Klugheit und Tatkraft durchgeführt hat, wurde von Gregor bald genug als Verbrecher gekennzeichnet. So ging nun ein völliger

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/65>, abgerufen am 22.11.2024.