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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 18. Entscheidungskampf zwischen Kaisertum u. Papsttum (1239-1250).
bar die Vorstellung, jene Niederlage vor Parma bedeute den ent-
scheidenden Wendepunkt in Friedrichs Geschicken; seitdem sei er
ein besiegter, gebrochener Mann gewesen, dem nichts Rechtes mehr
habe gelingen wollen.1)

Dieser Eindruck ist wohl wesentlich mit hervorgerufen durch
die beiden furchtbaren Schicksalsschläge, die den Kaiser in seinen
letzten Jahren ganz persönlich trafen und ihm seine sinkende
Lebenssonne verfinsterten. Der eine war die Untreue seines er-
probtesten und vertrautesten Staatsmannes. Peter von Vinea2) war
durch seine hervorragende juristische Bildung und seine seltene, in
der Schule seiner Heimat Capua entwickelte, stilistische und red-
nerische Formgewandtheit aus niederer Herkunft zu den höchsten
Ämtern emporgestiegen. Lange als Großhofrichter an Recht-
sprechung und Gesetzgebung3) Siziliens hervorragend beteiligt, zu
den wichtigsten diplomatischen Missionen verwandt und neben
Thaddäus von Suessa mit der tatsächlichen Leitung der Kanzlei
betraut, war er 1247 als Reichsprotonotar und Logothet des König-
reichs Sizilien alleiniger Vorstand der nun auch offiziell die Reichs-
angelegenheiten erledigenden kaiserlichen Kanzlei geworden.4) Da
er das vollste Vertrauen des Monarchen besaß und in Wahrheit "zu
seinem Herzen die Schlüssel führte", indem er zu bestimmen hatte,
welche Briefe und Bittschriften überhaupt an ihn gelangten, welche
kurzerhand erledigt wurden, so galt er mit Recht nächst dem
Herrscher als der mächtigste Mann im Staate. Dieser verant-
wortungsvollen und versuchungsreichen Stellung ist offenbar seine
moralische Festigkeit auf die Dauer nicht gewachsen gewesen; er
hat, wie wir annehmen dürfen, sein Amt in unerhörter Weise zu
eigner Bereicherung ausgenützt und Gelder bis zu einer Höhe ver-
untreut, daß dem Reiche daraus in der durch den langjährigen
Krieg hervorgerufenen schweren Finanznot nach des Kaisers eignen
Worten5) geradezu eine ernstliche Gefahr erwuchs. Diese Ent-
deckung und schmerzlichste Enttäuschung seines Lebens traf Fried-
rich während seines Aufenthaltes in Cremona (Febr. 1249), als sein
Gemüt eben durch einen noch viel furchtbareren Vertrauensbruch
verdüstert war. Sein eigner, vielbegünstigter Leibarzt, der von

1) Diese Vorstellung ist nach den Ausführungen Fickers in der Einleitung
von Reg. Imp. V unhaltbar.
2) Vgl. Huillard-Breholles, Vie et Correspondance de Pierre de la Vigne
(1864).
3) Schlagend erscheint mir namentlich der von Friedrich selbst ange-
wandte Vergleich Peters mit Moses, den Reg. Imp. V, 3764 voraussetzt.
4) Den ihm von neueren Darstellern meist beigelegten Kanzlertitel hat
er nie geführt.
5) Reg. Imp. V, 3764.

§ 18. Entscheidungskampf zwischen Kaisertum u. Papsttum (1239‒1250).
bar die Vorstellung, jene Niederlage vor Parma bedeute den ent-
scheidenden Wendepunkt in Friedrichs Geschicken; seitdem sei er
ein besiegter, gebrochener Mann gewesen, dem nichts Rechtes mehr
habe gelingen wollen.1)

Dieser Eindruck ist wohl wesentlich mit hervorgerufen durch
die beiden furchtbaren Schicksalsschläge, die den Kaiser in seinen
letzten Jahren ganz persönlich trafen und ihm seine sinkende
Lebenssonne verfinsterten. Der eine war die Untreue seines er-
probtesten und vertrautesten Staatsmannes. Peter von Vinea2) war
durch seine hervorragende juristische Bildung und seine seltene, in
der Schule seiner Heimat Capua entwickelte, stilistische und red-
nerische Formgewandtheit aus niederer Herkunft zu den höchsten
Ämtern emporgestiegen. Lange als Großhofrichter an Recht-
sprechung und Gesetzgebung3) Siziliens hervorragend beteiligt, zu
den wichtigsten diplomatischen Missionen verwandt und neben
Thaddäus von Suessa mit der tatsächlichen Leitung der Kanzlei
betraut, war er 1247 als Reichsprotonotar und Logothet des König-
reichs Sizilien alleiniger Vorstand der nun auch offiziell die Reichs-
angelegenheiten erledigenden kaiserlichen Kanzlei geworden.4) Da
er das vollste Vertrauen des Monarchen besaß und in Wahrheit „zu
seinem Herzen die Schlüssel führte“, indem er zu bestimmen hatte,
welche Briefe und Bittschriften überhaupt an ihn gelangten, welche
kurzerhand erledigt wurden, so galt er mit Recht nächst dem
Herrscher als der mächtigste Mann im Staate. Dieser verant-
wortungsvollen und versuchungsreichen Stellung ist offenbar seine
moralische Festigkeit auf die Dauer nicht gewachsen gewesen; er
hat, wie wir annehmen dürfen, sein Amt in unerhörter Weise zu
eigner Bereicherung ausgenützt und Gelder bis zu einer Höhe ver-
untreut, daß dem Reiche daraus in der durch den langjährigen
Krieg hervorgerufenen schweren Finanznot nach des Kaisers eignen
Worten5) geradezu eine ernstliche Gefahr erwuchs. Diese Ent-
deckung und schmerzlichste Enttäuschung seines Lebens traf Fried-
rich während seines Aufenthaltes in Cremona (Febr. 1249), als sein
Gemüt eben durch einen noch viel furchtbareren Vertrauensbruch
verdüstert war. Sein eigner, vielbegünstigter Leibarzt, der von

1) Diese Vorstellung ist nach den Ausführungen Fickers in der Einleitung
von Reg. Imp. V unhaltbar.
2) Vgl. Huillard-Bréholles, Vie et Correspondance de Pierre de la Vigne
(1864).
3) Schlagend erscheint mir namentlich der von Friedrich selbst ange-
wandte Vergleich Peters mit Moses, den Reg. Imp. V, 3764 voraussetzt.
4) Den ihm von neueren Darstellern meist beigelegten Kanzlertitel hat
er nie geführt.
5) Reg. Imp. V, 3764.
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[253/0261] § 18. Entscheidungskampf zwischen Kaisertum u. Papsttum (1239‒1250). bar die Vorstellung, jene Niederlage vor Parma bedeute den ent- scheidenden Wendepunkt in Friedrichs Geschicken; seitdem sei er ein besiegter, gebrochener Mann gewesen, dem nichts Rechtes mehr habe gelingen wollen. 1) Dieser Eindruck ist wohl wesentlich mit hervorgerufen durch die beiden furchtbaren Schicksalsschläge, die den Kaiser in seinen letzten Jahren ganz persönlich trafen und ihm seine sinkende Lebenssonne verfinsterten. Der eine war die Untreue seines er- probtesten und vertrautesten Staatsmannes. Peter von Vinea 2) war durch seine hervorragende juristische Bildung und seine seltene, in der Schule seiner Heimat Capua entwickelte, stilistische und red- nerische Formgewandtheit aus niederer Herkunft zu den höchsten Ämtern emporgestiegen. Lange als Großhofrichter an Recht- sprechung und Gesetzgebung 3) Siziliens hervorragend beteiligt, zu den wichtigsten diplomatischen Missionen verwandt und neben Thaddäus von Suessa mit der tatsächlichen Leitung der Kanzlei betraut, war er 1247 als Reichsprotonotar und Logothet des König- reichs Sizilien alleiniger Vorstand der nun auch offiziell die Reichs- angelegenheiten erledigenden kaiserlichen Kanzlei geworden. 4) Da er das vollste Vertrauen des Monarchen besaß und in Wahrheit „zu seinem Herzen die Schlüssel führte“, indem er zu bestimmen hatte, welche Briefe und Bittschriften überhaupt an ihn gelangten, welche kurzerhand erledigt wurden, so galt er mit Recht nächst dem Herrscher als der mächtigste Mann im Staate. Dieser verant- wortungsvollen und versuchungsreichen Stellung ist offenbar seine moralische Festigkeit auf die Dauer nicht gewachsen gewesen; er hat, wie wir annehmen dürfen, sein Amt in unerhörter Weise zu eigner Bereicherung ausgenützt und Gelder bis zu einer Höhe ver- untreut, daß dem Reiche daraus in der durch den langjährigen Krieg hervorgerufenen schweren Finanznot nach des Kaisers eignen Worten 5) geradezu eine ernstliche Gefahr erwuchs. Diese Ent- deckung und schmerzlichste Enttäuschung seines Lebens traf Fried- rich während seines Aufenthaltes in Cremona (Febr. 1249), als sein Gemüt eben durch einen noch viel furchtbareren Vertrauensbruch verdüstert war. Sein eigner, vielbegünstigter Leibarzt, der von 1) Diese Vorstellung ist nach den Ausführungen Fickers in der Einleitung von Reg. Imp. V unhaltbar. 2) Vgl. Huillard-Bréholles, Vie et Correspondance de Pierre de la Vigne (1864). 3) Schlagend erscheint mir namentlich der von Friedrich selbst ange- wandte Vergleich Peters mit Moses, den Reg. Imp. V, 3764 voraussetzt. 4) Den ihm von neueren Darstellern meist beigelegten Kanzlertitel hat er nie geführt. 5) Reg. Imp. V, 3764.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/261>, abgerufen am 25.11.2024.