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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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II. Die Zeit der Staufer.
Frommen von Niederschlesien auf der Wahlstatt bei Liegnitz eine
vernichtende Niederlage bei (9. April 1241)1) und verwüstete Mähren.
Der Schrecken lief durch das Reich und ließ die tatsächlich große
Gefahr vielleicht noch furchtbarer erscheinen, denn an den befestigten
Städten Deutschlands hätte sich der Anprall wohl ohnehin, wenn
auch erst nach entsetzlichen Verheerungen und Leiden, gebrochen.
Dem Kaiser hätte sich hier eine große Aussicht geboten, Retter
von Europa zu werden und die ihm angebotene Lehenshoheit über
Ungarn zu gewinnen, hätte er nur die Hände freigehabt. So blieb
ihm nichts, als durch Befehle, Aufforderungen und Hilfsgesuche
wenigstens von fern die deutsche Abwehr unter seinem Sohne
Konrad zu organisieren, während der Papst diesen Maßnahmen
eher entgegenarbeitete. Auch nach Gregors Tode hielten die
dauernde Spannung und die alles überragende Bedeutung der Papst-
wahl Friedrich an Italien gefesselt.2) Inzwischen war die mongolische
Gefahr für den Augenblick vorübergegangen. Das vorläufige Ge-
nügen an den ungarischen Ebenen, die starke österreichisch-böhmische
Verteidigungstellung und mehr als alles Thronwirren in Innerasien
nach dem Tode des Großkhans Ogotai (Ende 1241) hemmten den
Siegeslauf. Indessen blieb die jederzeit drohende Gefahr einer
Wiederaufnahme für die beiden Häupter der Christenheit eine
ernste Mahnung zur Einigkeit, als nun endlich (25. Juni 1243) in dem
Genuesen Sinibald Fieschi, aus dem Hause des Grafen von Lavagna, ein
neuer Papst, Innozenz IV. (1243-54), gewählt ward.3) Friedrich, der
mit ihm in durchaus freundlichen Beziehungen gestanden, begrüßte
das Ereignis als eine Bürgschaft des Friedens und ordnete in
Sizilien einen allgemeinen Dankgottesdienst an; er hat sich noch
die ganze nächste Zeit an die Hoffnung geklammert, daß sich mit
diesem Papste die Möglichkeit eines friedlichen Auskommens finden
lassen müsse. Es war die größte und verhängnisvollste Täuschung
seines Lebens!

Schon der Name Innozenz hätte ihm über das Programm des
neuen Papstes die Augen öffnen sollen; er war vom ersten Augen-

1) Daß die immerhin tapfere Gegenwehr die Mongolen zur Umkehr be-
stimmt hätte, ist irrig.
2) Die auf Matthäus Paris. zurückgehende, namentlich von Schirrmacher,
IV, 499 ff., zuletzt von Schirmer (Greifsw. Diss. 1904) verfochtene Annahme
eines letzten, heimlichen Aufenthalts Friedrichs in Deutschland in dieser Zeit
entbehrt der überzeugenden Begründung.
3) Vgl. seine Biographie v. seinem Beichtiger, dem Minoriten Nikolaus
v. Calvi (de Carbio; Curbio ist Lesefehler!), Archivio della soc. Rom. etc. 21.
Seine Register hersg. v. Berger 1881 ff.; dazu Mitt. d. Inst. f. öst. Gesch. 24.
Vgl. auch Reg. Imp. V, S. 1260. Eine neuere vollständige Biographie fehlt;
von Monographien nenne ich schon hier C. Rodenberg, Inn. IV. u. d. Königr.
Sizilien 1245-1254 (1892).

II. Die Zeit der Staufer.
Frommen von Niederschlesien auf der Wahlstatt bei Liegnitz eine
vernichtende Niederlage bei (9. April 1241)1) und verwüstete Mähren.
Der Schrecken lief durch das Reich und ließ die tatsächlich große
Gefahr vielleicht noch furchtbarer erscheinen, denn an den befestigten
Städten Deutschlands hätte sich der Anprall wohl ohnehin, wenn
auch erst nach entsetzlichen Verheerungen und Leiden, gebrochen.
Dem Kaiser hätte sich hier eine große Aussicht geboten, Retter
von Europa zu werden und die ihm angebotene Lehenshoheit über
Ungarn zu gewinnen, hätte er nur die Hände freigehabt. So blieb
ihm nichts, als durch Befehle, Aufforderungen und Hilfsgesuche
wenigstens von fern die deutsche Abwehr unter seinem Sohne
Konrad zu organisieren, während der Papst diesen Maßnahmen
eher entgegenarbeitete. Auch nach Gregors Tode hielten die
dauernde Spannung und die alles überragende Bedeutung der Papst-
wahl Friedrich an Italien gefesselt.2) Inzwischen war die mongolische
Gefahr für den Augenblick vorübergegangen. Das vorläufige Ge-
nügen an den ungarischen Ebenen, die starke österreichisch-böhmische
Verteidigungstellung und mehr als alles Thronwirren in Innerasien
nach dem Tode des Großkhans Ogotai (Ende 1241) hemmten den
Siegeslauf. Indessen blieb die jederzeit drohende Gefahr einer
Wiederaufnahme für die beiden Häupter der Christenheit eine
ernste Mahnung zur Einigkeit, als nun endlich (25. Juni 1243) in dem
Genuesen Sinibald Fieschi, aus dem Hause des Grafen von Lavagna, ein
neuer Papst, Innozenz IV. (1243‒54), gewählt ward.3) Friedrich, der
mit ihm in durchaus freundlichen Beziehungen gestanden, begrüßte
das Ereignis als eine Bürgschaft des Friedens und ordnete in
Sizilien einen allgemeinen Dankgottesdienst an; er hat sich noch
die ganze nächste Zeit an die Hoffnung geklammert, daß sich mit
diesem Papste die Möglichkeit eines friedlichen Auskommens finden
lassen müsse. Es war die größte und verhängnisvollste Täuschung
seines Lebens!

Schon der Name Innozenz hätte ihm über das Programm des
neuen Papstes die Augen öffnen sollen; er war vom ersten Augen-

1) Daß die immerhin tapfere Gegenwehr die Mongolen zur Umkehr be-
stimmt hätte, ist irrig.
2) Die auf Matthäus Paris. zurückgehende, namentlich von Schirrmacher,
IV, 499 ff., zuletzt von Schirmer (Greifsw. Diss. 1904) verfochtene Annahme
eines letzten, heimlichen Aufenthalts Friedrichs in Deutschland in dieser Zeit
entbehrt der überzeugenden Begründung.
3) Vgl. seine Biographie v. seinem Beichtiger, dem Minoriten Nikolaus
v. Calvi (de Carbio; Curbio ist Lesefehler!), Archivio della soc. Rom. etc. 21.
Seine Register hersg. v. Berger 1881 ff.; dazu Mitt. d. Inst. f. öst. Gesch. 24.
Vgl. auch Reg. Imp. V, S. 1260. Eine neuere vollständige Biographie fehlt;
von Monographien nenne ich schon hier C. Rodenberg, Inn. IV. u. d. Königr.
Sizilien 1245‒1254 (1892).
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[244/0252] II. Die Zeit der Staufer. Frommen von Niederschlesien auf der Wahlstatt bei Liegnitz eine vernichtende Niederlage bei (9. April 1241) 1) und verwüstete Mähren. Der Schrecken lief durch das Reich und ließ die tatsächlich große Gefahr vielleicht noch furchtbarer erscheinen, denn an den befestigten Städten Deutschlands hätte sich der Anprall wohl ohnehin, wenn auch erst nach entsetzlichen Verheerungen und Leiden, gebrochen. Dem Kaiser hätte sich hier eine große Aussicht geboten, Retter von Europa zu werden und die ihm angebotene Lehenshoheit über Ungarn zu gewinnen, hätte er nur die Hände freigehabt. So blieb ihm nichts, als durch Befehle, Aufforderungen und Hilfsgesuche wenigstens von fern die deutsche Abwehr unter seinem Sohne Konrad zu organisieren, während der Papst diesen Maßnahmen eher entgegenarbeitete. Auch nach Gregors Tode hielten die dauernde Spannung und die alles überragende Bedeutung der Papst- wahl Friedrich an Italien gefesselt. 2) Inzwischen war die mongolische Gefahr für den Augenblick vorübergegangen. Das vorläufige Ge- nügen an den ungarischen Ebenen, die starke österreichisch-böhmische Verteidigungstellung und mehr als alles Thronwirren in Innerasien nach dem Tode des Großkhans Ogotai (Ende 1241) hemmten den Siegeslauf. Indessen blieb die jederzeit drohende Gefahr einer Wiederaufnahme für die beiden Häupter der Christenheit eine ernste Mahnung zur Einigkeit, als nun endlich (25. Juni 1243) in dem Genuesen Sinibald Fieschi, aus dem Hause des Grafen von Lavagna, ein neuer Papst, Innozenz IV. (1243‒54), gewählt ward. 3) Friedrich, der mit ihm in durchaus freundlichen Beziehungen gestanden, begrüßte das Ereignis als eine Bürgschaft des Friedens und ordnete in Sizilien einen allgemeinen Dankgottesdienst an; er hat sich noch die ganze nächste Zeit an die Hoffnung geklammert, daß sich mit diesem Papste die Möglichkeit eines friedlichen Auskommens finden lassen müsse. Es war die größte und verhängnisvollste Täuschung seines Lebens! Schon der Name Innozenz hätte ihm über das Programm des neuen Papstes die Augen öffnen sollen; er war vom ersten Augen- 1) Daß die immerhin tapfere Gegenwehr die Mongolen zur Umkehr be- stimmt hätte, ist irrig. 2) Die auf Matthäus Paris. zurückgehende, namentlich von Schirrmacher, IV, 499 ff., zuletzt von Schirmer (Greifsw. Diss. 1904) verfochtene Annahme eines letzten, heimlichen Aufenthalts Friedrichs in Deutschland in dieser Zeit entbehrt der überzeugenden Begründung. 3) Vgl. seine Biographie v. seinem Beichtiger, dem Minoriten Nikolaus v. Calvi (de Carbio; Curbio ist Lesefehler!), Archivio della soc. Rom. etc. 21. Seine Register hersg. v. Berger 1881 ff.; dazu Mitt. d. Inst. f. öst. Gesch. 24. Vgl. auch Reg. Imp. V, S. 1260. Eine neuere vollständige Biographie fehlt; von Monographien nenne ich schon hier C. Rodenberg, Inn. IV. u. d. Königr. Sizilien 1245‒1254 (1892).

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/252>, abgerufen am 24.11.2024.