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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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Die Zeit der Staufer.
Zeitläuften war Philipp, wenigstens im Anfang, staatsmännisch und
kriegerisch in keiner Weise gewachsen; erst durch die bitteren Er-
fahrungen des folgenden Jahrzehnts ist er gereift und erstarkt, und
diese kräftige Aufwärtsbewegung verhieß immerhin eine gute Zukunft.

Ganz anders sein welfischer Gegner! Otto IV. war als Knabe
seinem Vater in die Verbannung gefolgt und am normannisch-
englischen Hofe auferzogen als der besondere Liebling seines Oheims
Richard Löwenherz, der ihn mit der Grafschaft Poitou belehnte.
Blutsverwandtschaft, gleiche Züge des welfischen Familiencharakters
und bewußte Nacheiferung hatten ihn in der Tat seinem könig-
lichen Oheim sehr ähnlich gemacht. Er war von hohem Wuchs
und gewaltiger Körperkraft, kriegseifrig und abenteuerlustig, tollkühn
und verwegen, wie nur je ein normannischer Ritter, aber auch
hochfahrend, schroff und derb, dabei doch ohne die innere Sicher-
heit, die die Bildung verleiht, schwankend zwischen Überhebung
und Verzagtheit. Es charakterisiert seine unfeine Habgier, daß man
ihm den Plan zuschrieb, die Bordelle im Reiche zu einer staat-
lichen Einnahmequelle zu gestalten.1) Ein solcher Mann war nicht
zum klug berechnenden Politiker geboren, ihm fehlte jegliche di-
plomatische Feinheit. Sein rücksichtsloses Zugreifen mochte gefähr-
lich sein, wenn die Macht hinter ihm stand, aber er wußte sie sich
nicht dauernd zu sichern; er konnte die Schlingen seiner Gegner
wohl durchhauen, aber er besaß nicht die Gewandtheit, sich ihnen
auf die Länge zu entwinden.

Wahl und Krönung waren bei beiden Königen nicht einwand-
frei verlaufen. Hatte Philipp weitaus die Mehrheit der Wahl-
stimmen und trug er die echten Reichsinsignien, so war Otto an
dem rechten Orte Aachen von dem dazu befugten Kölner Erz-
bischof gekrönt. Es gab keine höhere Instanz als das Schwert.
Zwischen dem staufischen Süden und dem welfischen Norden
schwankten die Fürsten "dahin, daher," um sich dem zuzuwenden,
der ihnen von den Besitzungen und Rechten der Krone jeweils
am meisten preisgab; Landgraf Hermann von Thüringen verschaffte
sich damals durch vollendete politische Grundsatzlosigkeit die Mittel
für seinen glänzenden Musenhof auf der Wartburg. Neben den
Lockungen von Geld und Gut wirkte der Einfluß des Auslandes.
Die verwandtschaftlichen Bande und die Handelsbeziehungen Kölns,
seines Hauptstützpunktes, wiesen den Welfen gleichmäßig nach
England, von wo er durch König Richard mit reichen Geldmitteln
unterstützt wurde. Um so enger schloß sich Philipp an Frankreich
(1198) zu gemeinsamer Abwehr des englisch-welfischen Bundes.

1) Ann. v. Reinhardsbrunn, M. G. SS. XXX, 583.

Die Zeit der Staufer.
Zeitläuften war Philipp, wenigstens im Anfang, staatsmännisch und
kriegerisch in keiner Weise gewachsen; erst durch die bitteren Er-
fahrungen des folgenden Jahrzehnts ist er gereift und erstarkt, und
diese kräftige Aufwärtsbewegung verhieß immerhin eine gute Zukunft.

Ganz anders sein welfischer Gegner! Otto IV. war als Knabe
seinem Vater in die Verbannung gefolgt und am normannisch-
englischen Hofe auferzogen als der besondere Liebling seines Oheims
Richard Löwenherz, der ihn mit der Grafschaft Poitou belehnte.
Blutsverwandtschaft, gleiche Züge des welfischen Familiencharakters
und bewußte Nacheiferung hatten ihn in der Tat seinem könig-
lichen Oheim sehr ähnlich gemacht. Er war von hohem Wuchs
und gewaltiger Körperkraft, kriegseifrig und abenteuerlustig, tollkühn
und verwegen, wie nur je ein normannischer Ritter, aber auch
hochfahrend, schroff und derb, dabei doch ohne die innere Sicher-
heit, die die Bildung verleiht, schwankend zwischen Überhebung
und Verzagtheit. Es charakterisiert seine unfeine Habgier, daß man
ihm den Plan zuschrieb, die Bordelle im Reiche zu einer staat-
lichen Einnahmequelle zu gestalten.1) Ein solcher Mann war nicht
zum klug berechnenden Politiker geboren, ihm fehlte jegliche di-
plomatische Feinheit. Sein rücksichtsloses Zugreifen mochte gefähr-
lich sein, wenn die Macht hinter ihm stand, aber er wußte sie sich
nicht dauernd zu sichern; er konnte die Schlingen seiner Gegner
wohl durchhauen, aber er besaß nicht die Gewandtheit, sich ihnen
auf die Länge zu entwinden.

Wahl und Krönung waren bei beiden Königen nicht einwand-
frei verlaufen. Hatte Philipp weitaus die Mehrheit der Wahl-
stimmen und trug er die echten Reichsinsignien, so war Otto an
dem rechten Orte Aachen von dem dazu befugten Kölner Erz-
bischof gekrönt. Es gab keine höhere Instanz als das Schwert.
Zwischen dem staufischen Süden und dem welfischen Norden
schwankten die Fürsten „dahin, daher,“ um sich dem zuzuwenden,
der ihnen von den Besitzungen und Rechten der Krone jeweils
am meisten preisgab; Landgraf Hermann von Thüringen verschaffte
sich damals durch vollendete politische Grundsatzlosigkeit die Mittel
für seinen glänzenden Musenhof auf der Wartburg. Neben den
Lockungen von Geld und Gut wirkte der Einfluß des Auslandes.
Die verwandtschaftlichen Bande und die Handelsbeziehungen Kölns,
seines Hauptstützpunktes, wiesen den Welfen gleichmäßig nach
England, von wo er durch König Richard mit reichen Geldmitteln
unterstützt wurde. Um so enger schloß sich Philipp an Frankreich
(1198) zu gemeinsamer Abwehr des englisch-welfischen Bundes.

1) Ann. v. Reinhardsbrunn, M. G. SS. XXX, 583.
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[190/0198] Die Zeit der Staufer. Zeitläuften war Philipp, wenigstens im Anfang, staatsmännisch und kriegerisch in keiner Weise gewachsen; erst durch die bitteren Er- fahrungen des folgenden Jahrzehnts ist er gereift und erstarkt, und diese kräftige Aufwärtsbewegung verhieß immerhin eine gute Zukunft. Ganz anders sein welfischer Gegner! Otto IV. war als Knabe seinem Vater in die Verbannung gefolgt und am normannisch- englischen Hofe auferzogen als der besondere Liebling seines Oheims Richard Löwenherz, der ihn mit der Grafschaft Poitou belehnte. Blutsverwandtschaft, gleiche Züge des welfischen Familiencharakters und bewußte Nacheiferung hatten ihn in der Tat seinem könig- lichen Oheim sehr ähnlich gemacht. Er war von hohem Wuchs und gewaltiger Körperkraft, kriegseifrig und abenteuerlustig, tollkühn und verwegen, wie nur je ein normannischer Ritter, aber auch hochfahrend, schroff und derb, dabei doch ohne die innere Sicher- heit, die die Bildung verleiht, schwankend zwischen Überhebung und Verzagtheit. Es charakterisiert seine unfeine Habgier, daß man ihm den Plan zuschrieb, die Bordelle im Reiche zu einer staat- lichen Einnahmequelle zu gestalten. 1) Ein solcher Mann war nicht zum klug berechnenden Politiker geboren, ihm fehlte jegliche di- plomatische Feinheit. Sein rücksichtsloses Zugreifen mochte gefähr- lich sein, wenn die Macht hinter ihm stand, aber er wußte sie sich nicht dauernd zu sichern; er konnte die Schlingen seiner Gegner wohl durchhauen, aber er besaß nicht die Gewandtheit, sich ihnen auf die Länge zu entwinden. Wahl und Krönung waren bei beiden Königen nicht einwand- frei verlaufen. Hatte Philipp weitaus die Mehrheit der Wahl- stimmen und trug er die echten Reichsinsignien, so war Otto an dem rechten Orte Aachen von dem dazu befugten Kölner Erz- bischof gekrönt. Es gab keine höhere Instanz als das Schwert. Zwischen dem staufischen Süden und dem welfischen Norden schwankten die Fürsten „dahin, daher,“ um sich dem zuzuwenden, der ihnen von den Besitzungen und Rechten der Krone jeweils am meisten preisgab; Landgraf Hermann von Thüringen verschaffte sich damals durch vollendete politische Grundsatzlosigkeit die Mittel für seinen glänzenden Musenhof auf der Wartburg. Neben den Lockungen von Geld und Gut wirkte der Einfluß des Auslandes. Die verwandtschaftlichen Bande und die Handelsbeziehungen Kölns, seines Hauptstützpunktes, wiesen den Welfen gleichmäßig nach England, von wo er durch König Richard mit reichen Geldmitteln unterstützt wurde. Um so enger schloß sich Philipp an Frankreich (1198) zu gemeinsamer Abwehr des englisch-welfischen Bundes. 1) Ann. v. Reinhardsbrunn, M. G. SS. XXX, 583.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/198>, abgerufen am 24.11.2024.