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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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II. Die Zeit der Staufer.

Der alle kirchenpolitischen Streitpunkte schlichtende, alle Mög-
lichkeiten klug überschauende Vertrag von Anagni, der die beider-
seitige Diplomatie auf einem Höhepunkte zeigt, war ein Präliminar-
friede, der erst in Kraft treten sollte, wenn der Abschluß mit
Sizilien und den Lombarden gelang.1) Die Schwierigkeiten, die
namentlich in Oberitalien zu erwarten waren, wollte Alexander
persönlich auf einem dort abzuhaltenden Friedenskongreß, der dann
wirklich in Venedig2) stattfand, beseitigen helfen.

Bald zeigte sich, wie sehr Friedrich seine Lage durch dies
Sonderabkommen mit der Kurie verbessert hatte. Mißtrauen trat,
vom Kaiser geschürt, zwischen Papst und Lombarden. Ihre Klagen
über das einseitige Vorgehen Alexanders erinnern an die der deutschen
Opposition nach Canossa. In der Tat schnellten die kaiserlichen
Forderungen sofort in die Höhe und blieben nicht einmal mehr
bei den schon in Montebello, geschweige denn nach Legnano,
gebotenen Zugeständnissen stehen. Der Papst hatte jetzt ein Inter-
esse an ihrem Entgegenkommen; versagten sie sich, so traf sie der
Vorwurf, allein noch den kirchlichen Frieden zu hemmen. Als es
trotzdem zu keiner Einigung kam, empfahl der Papst statt des Frie-
dens einen sechsjährigen Waffenstillstand. An sich war dieser für
den Kaiser nicht unbedingt ungünstig, denn bis zu seinem Ablauf
konnte er die Spaltungen im Bunde, aus dem jetzt bereits Cremona
und Tortona austraten, erweitern, und bei künftigen Verhandlungen
würde er den von der Kurie völlig getrennten Lombarden gegenüber-
stehen. Gleichwohl hat er es ganz persönlich mit ungemeiner
diplomatischer Kunst verstanden, für diese vom Papst beantragte
Abwandlung des Vertrags von Anagni auch seinerseits eine bedeut-
same Änderung zu seinen Gunsten durchzusetzen. An die Stelle
genauer Umgrenzung der kirchlichen Territorialansprüche trat die
unbestimmte Erklärung einer gegenseitigen Rückgabe des entwen-
deten Besitzes. Rechtsstreitigkeiten darüber sollten durch ein
gemischtes Schiedsgericht zum Austrag gebracht werden. Da aber
auch dort eine Einigung schwerlich zu erwarten stand, so mußten
die strittigen Objekte in der Hand des jeweiligen Besitzers ver-
bleiben, vor allem das mathildische Gut in der Verwaltung des

1) Der griechische Kaiser wird zwar ebenfalls genannt, kommt aber weiter
kaum in Betracht; nach dem Tode Manuels (1180) hörten die griechischen
Angriffe und Intriguen in Italien von selbst auf.
2) Die ältere für den Kaiser allzu ungünstige Auffassung des Friedens
von Venedig (m. G. Const. I, 360 ff.) ist namentlich durch die Forschungen
Fickers beseitigt. Erst die Kenntnis des Vertrags von Anagni ermöglichte
das volle Verständnis jener Friedensabmachungen; daher kommen die älteren
Arbeiten von Peters und Eichner neben den Ausführungen Giesebrechts kaum
mehr in Betracht.
II. Die Zeit der Staufer.

Der alle kirchenpolitischen Streitpunkte schlichtende, alle Mög-
lichkeiten klug überschauende Vertrag von Anagni, der die beider-
seitige Diplomatie auf einem Höhepunkte zeigt, war ein Präliminar-
friede, der erst in Kraft treten sollte, wenn der Abschluß mit
Sizilien und den Lombarden gelang.1) Die Schwierigkeiten, die
namentlich in Oberitalien zu erwarten waren, wollte Alexander
persönlich auf einem dort abzuhaltenden Friedenskongreß, der dann
wirklich in Venedig2) stattfand, beseitigen helfen.

Bald zeigte sich, wie sehr Friedrich seine Lage durch dies
Sonderabkommen mit der Kurie verbessert hatte. Mißtrauen trat,
vom Kaiser geschürt, zwischen Papst und Lombarden. Ihre Klagen
über das einseitige Vorgehen Alexanders erinnern an die der deutschen
Opposition nach Canossa. In der Tat schnellten die kaiserlichen
Forderungen sofort in die Höhe und blieben nicht einmal mehr
bei den schon in Montebello, geschweige denn nach Legnano,
gebotenen Zugeständnissen stehen. Der Papst hatte jetzt ein Inter-
esse an ihrem Entgegenkommen; versagten sie sich, so traf sie der
Vorwurf, allein noch den kirchlichen Frieden zu hemmen. Als es
trotzdem zu keiner Einigung kam, empfahl der Papst statt des Frie-
dens einen sechsjährigen Waffenstillstand. An sich war dieser für
den Kaiser nicht unbedingt ungünstig, denn bis zu seinem Ablauf
konnte er die Spaltungen im Bunde, aus dem jetzt bereits Cremona
und Tortona austraten, erweitern, und bei künftigen Verhandlungen
würde er den von der Kurie völlig getrennten Lombarden gegenüber-
stehen. Gleichwohl hat er es ganz persönlich mit ungemeiner
diplomatischer Kunst verstanden, für diese vom Papst beantragte
Abwandlung des Vertrags von Anagni auch seinerseits eine bedeut-
same Änderung zu seinen Gunsten durchzusetzen. An die Stelle
genauer Umgrenzung der kirchlichen Territorialansprüche trat die
unbestimmte Erklärung einer gegenseitigen Rückgabe des entwen-
deten Besitzes. Rechtsstreitigkeiten darüber sollten durch ein
gemischtes Schiedsgericht zum Austrag gebracht werden. Da aber
auch dort eine Einigung schwerlich zu erwarten stand, so mußten
die strittigen Objekte in der Hand des jeweiligen Besitzers ver-
bleiben, vor allem das mathildische Gut in der Verwaltung des

1) Der griechische Kaiser wird zwar ebenfalls genannt, kommt aber weiter
kaum in Betracht; nach dem Tode Manuels (1180) hörten die griechischen
Angriffe und Intriguen in Italien von selbst auf.
2) Die ältere für den Kaiser allzu ungünstige Auffassung des Friedens
von Venedig (m. G. Const. I, 360 ff.) ist namentlich durch die Forschungen
Fickers beseitigt. Erst die Kenntnis des Vertrags von Anagni ermöglichte
das volle Verständnis jener Friedensabmachungen; daher kommen die älteren
Arbeiten von Peters und Eichner neben den Ausführungen Giesebrechts kaum
mehr in Betracht.
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[154/0162] II. Die Zeit der Staufer. Der alle kirchenpolitischen Streitpunkte schlichtende, alle Mög- lichkeiten klug überschauende Vertrag von Anagni, der die beider- seitige Diplomatie auf einem Höhepunkte zeigt, war ein Präliminar- friede, der erst in Kraft treten sollte, wenn der Abschluß mit Sizilien und den Lombarden gelang. 1) Die Schwierigkeiten, die namentlich in Oberitalien zu erwarten waren, wollte Alexander persönlich auf einem dort abzuhaltenden Friedenskongreß, der dann wirklich in Venedig 2) stattfand, beseitigen helfen. Bald zeigte sich, wie sehr Friedrich seine Lage durch dies Sonderabkommen mit der Kurie verbessert hatte. Mißtrauen trat, vom Kaiser geschürt, zwischen Papst und Lombarden. Ihre Klagen über das einseitige Vorgehen Alexanders erinnern an die der deutschen Opposition nach Canossa. In der Tat schnellten die kaiserlichen Forderungen sofort in die Höhe und blieben nicht einmal mehr bei den schon in Montebello, geschweige denn nach Legnano, gebotenen Zugeständnissen stehen. Der Papst hatte jetzt ein Inter- esse an ihrem Entgegenkommen; versagten sie sich, so traf sie der Vorwurf, allein noch den kirchlichen Frieden zu hemmen. Als es trotzdem zu keiner Einigung kam, empfahl der Papst statt des Frie- dens einen sechsjährigen Waffenstillstand. An sich war dieser für den Kaiser nicht unbedingt ungünstig, denn bis zu seinem Ablauf konnte er die Spaltungen im Bunde, aus dem jetzt bereits Cremona und Tortona austraten, erweitern, und bei künftigen Verhandlungen würde er den von der Kurie völlig getrennten Lombarden gegenüber- stehen. Gleichwohl hat er es ganz persönlich mit ungemeiner diplomatischer Kunst verstanden, für diese vom Papst beantragte Abwandlung des Vertrags von Anagni auch seinerseits eine bedeut- same Änderung zu seinen Gunsten durchzusetzen. An die Stelle genauer Umgrenzung der kirchlichen Territorialansprüche trat die unbestimmte Erklärung einer gegenseitigen Rückgabe des entwen- deten Besitzes. Rechtsstreitigkeiten darüber sollten durch ein gemischtes Schiedsgericht zum Austrag gebracht werden. Da aber auch dort eine Einigung schwerlich zu erwarten stand, so mußten die strittigen Objekte in der Hand des jeweiligen Besitzers ver- bleiben, vor allem das mathildische Gut in der Verwaltung des 1) Der griechische Kaiser wird zwar ebenfalls genannt, kommt aber weiter kaum in Betracht; nach dem Tode Manuels (1180) hörten die griechischen Angriffe und Intriguen in Italien von selbst auf. 2) Die ältere für den Kaiser allzu ungünstige Auffassung des Friedens von Venedig (m. G. Const. I, 360 ff.) ist namentlich durch die Forschungen Fickers beseitigt. Erst die Kenntnis des Vertrags von Anagni ermöglichte das volle Verständnis jener Friedensabmachungen; daher kommen die älteren Arbeiten von Peters und Eichner neben den Ausführungen Giesebrechts kaum mehr in Betracht.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/162>, abgerufen am 25.11.2024.