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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 8. Lothar von Supplinburg (1125-1137).
Aussöhnung Mailands mit Rom entzog ihm vollends den Boden.
Das ganze Unternehmen erwies sich als ein Mißgriff, denn als er
1130 mit leeren Händen nach Deutschland zurückkehrte, fand er die
gespaltene staufische Macht auch dort bedenklich im Rückgang und
in ihren Kernlanden bedroht. Schon war an ein Durchdringen des
Gegenkönigtums nicht entfernt mehr zu denken, als eine andre
große Spaltung, die seit kurzem die Welt bewegte, diese inner-
deutschen Gegensätze völlig in den Hintergrund treten ließ.

Aus dem Widerstreit römischer Adelsfaktionen war 1130 eine
päpstliche Doppelwahl erwachsen.1) Um einem Siege der Pierleoni
zuvorzukommen, hatten die Frangipani unter Führung des Kanzlers
Haimerich in überhastetem und völlig rechtlosem Verfahren Inno-
zenz II. erhoben, dem dann das Haupt der Gegenpartei Peter
Pierleoni als Anaklet II. in formell unanfechtbarer Wahl entgegen-
gestellt wurde. Machte der eine die Priorität für sich geltend, so
der andere das bessere Recht. Europa hatte zu entscheiden. Da
war es von maßgebender Bedeutung, daß der minder hervorragende
von beiden, der vor seinem mächtigeren Gegner aus Rom und
Italien weichen mußte, Innozenz, ein Mann von ehrenhafter Mittel-
mäßigkeit, vielleicht eben deswegen die Hilfe Bernhards von Clair-
vaux und des französischen Mönchtums gewann, dem er sich mit
feinem Instinkt in die Arme warf. Das bedeutete die Anerkennung
Frankreichs und bestimmte die Entscheidung Lothars, der nun von
den beiden Parteien umworben wurde. Ein kraftvolles und eigen-
ständiges Königtum wie das der Salier hätte diese vorteilhafte Lage
gründlich zugunsten der deutschen Herrscherrechte ausgenutzt.
Lothar, behindert durch die staufische Gegnerschaft und gebunden
durch Rücksichten und Gefühlswerte, faßte die Entscheidung wesent-
lich als bedrückende Gewissenssache und war schließlich froh, die
Verantwortung auf eine deutsche Synode abwälzen zu können. Unter
den geistlichen Fürsten des Reiches fehlten solche nicht ganz, die
von der Überlegenheit der Sache Anaklets überzeugt waren, aber
unter Führung Norberts entschied die Mehrheit im Sinne Bernhards.
Lothar folgte und zog dann auch England nach sich. Die große
Gelegenheit war versäumt, und aus seiner Entscheidung ergaben
sich für den deutschen König neue Pflichten. Man erwartete von
ihm die Rückführung seines Papstes nach Rom und die dauernde
Sicherung der "von jüdischer Wut bedrängten Kirche".

Denn Anaklet, eine gebietende, geistig hochstehende Persön-
lichkeit, der die Gegner mit Unrecht eine Fülle von Makel anzu-
hängen suchten, war in der Tat -- und darin liegt nicht zum

1) Vgl. Mühlbacher, Die streitige Papstwahl des J. 1130. 1876.

§ 8. Lothar von Supplinburg (1125‒1137).
Aussöhnung Mailands mit Rom entzog ihm vollends den Boden.
Das ganze Unternehmen erwies sich als ein Mißgriff, denn als er
1130 mit leeren Händen nach Deutschland zurückkehrte, fand er die
gespaltene staufische Macht auch dort bedenklich im Rückgang und
in ihren Kernlanden bedroht. Schon war an ein Durchdringen des
Gegenkönigtums nicht entfernt mehr zu denken, als eine andre
große Spaltung, die seit kurzem die Welt bewegte, diese inner-
deutschen Gegensätze völlig in den Hintergrund treten ließ.

Aus dem Widerstreit römischer Adelsfaktionen war 1130 eine
päpstliche Doppelwahl erwachsen.1) Um einem Siege der Pierleoni
zuvorzukommen, hatten die Frangipani unter Führung des Kanzlers
Haimerich in überhastetem und völlig rechtlosem Verfahren Inno-
zenz II. erhoben, dem dann das Haupt der Gegenpartei Peter
Pierleoni als Anaklet II. in formell unanfechtbarer Wahl entgegen-
gestellt wurde. Machte der eine die Priorität für sich geltend, so
der andere das bessere Recht. Europa hatte zu entscheiden. Da
war es von maßgebender Bedeutung, daß der minder hervorragende
von beiden, der vor seinem mächtigeren Gegner aus Rom und
Italien weichen mußte, Innozenz, ein Mann von ehrenhafter Mittel-
mäßigkeit, vielleicht eben deswegen die Hilfe Bernhards von Clair-
vaux und des französischen Mönchtums gewann, dem er sich mit
feinem Instinkt in die Arme warf. Das bedeutete die Anerkennung
Frankreichs und bestimmte die Entscheidung Lothars, der nun von
den beiden Parteien umworben wurde. Ein kraftvolles und eigen-
ständiges Königtum wie das der Salier hätte diese vorteilhafte Lage
gründlich zugunsten der deutschen Herrscherrechte ausgenutzt.
Lothar, behindert durch die staufische Gegnerschaft und gebunden
durch Rücksichten und Gefühlswerte, faßte die Entscheidung wesent-
lich als bedrückende Gewissenssache und war schließlich froh, die
Verantwortung auf eine deutsche Synode abwälzen zu können. Unter
den geistlichen Fürsten des Reiches fehlten solche nicht ganz, die
von der Überlegenheit der Sache Anaklets überzeugt waren, aber
unter Führung Norberts entschied die Mehrheit im Sinne Bernhards.
Lothar folgte und zog dann auch England nach sich. Die große
Gelegenheit war versäumt, und aus seiner Entscheidung ergaben
sich für den deutschen König neue Pflichten. Man erwartete von
ihm die Rückführung seines Papstes nach Rom und die dauernde
Sicherung der „von jüdischer Wut bedrängten Kirche“.

Denn Anaklet, eine gebietende, geistig hochstehende Persön-
lichkeit, der die Gegner mit Unrecht eine Fülle von Makel anzu-
hängen suchten, war in der Tat — und darin liegt nicht zum

1) Vgl. Mühlbacher, Die streitige Papstwahl des J. 1130. 1876.
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[95/0103] § 8. Lothar von Supplinburg (1125‒1137). Aussöhnung Mailands mit Rom entzog ihm vollends den Boden. Das ganze Unternehmen erwies sich als ein Mißgriff, denn als er 1130 mit leeren Händen nach Deutschland zurückkehrte, fand er die gespaltene staufische Macht auch dort bedenklich im Rückgang und in ihren Kernlanden bedroht. Schon war an ein Durchdringen des Gegenkönigtums nicht entfernt mehr zu denken, als eine andre große Spaltung, die seit kurzem die Welt bewegte, diese inner- deutschen Gegensätze völlig in den Hintergrund treten ließ. Aus dem Widerstreit römischer Adelsfaktionen war 1130 eine päpstliche Doppelwahl erwachsen. 1) Um einem Siege der Pierleoni zuvorzukommen, hatten die Frangipani unter Führung des Kanzlers Haimerich in überhastetem und völlig rechtlosem Verfahren Inno- zenz II. erhoben, dem dann das Haupt der Gegenpartei Peter Pierleoni als Anaklet II. in formell unanfechtbarer Wahl entgegen- gestellt wurde. Machte der eine die Priorität für sich geltend, so der andere das bessere Recht. Europa hatte zu entscheiden. Da war es von maßgebender Bedeutung, daß der minder hervorragende von beiden, der vor seinem mächtigeren Gegner aus Rom und Italien weichen mußte, Innozenz, ein Mann von ehrenhafter Mittel- mäßigkeit, vielleicht eben deswegen die Hilfe Bernhards von Clair- vaux und des französischen Mönchtums gewann, dem er sich mit feinem Instinkt in die Arme warf. Das bedeutete die Anerkennung Frankreichs und bestimmte die Entscheidung Lothars, der nun von den beiden Parteien umworben wurde. Ein kraftvolles und eigen- ständiges Königtum wie das der Salier hätte diese vorteilhafte Lage gründlich zugunsten der deutschen Herrscherrechte ausgenutzt. Lothar, behindert durch die staufische Gegnerschaft und gebunden durch Rücksichten und Gefühlswerte, faßte die Entscheidung wesent- lich als bedrückende Gewissenssache und war schließlich froh, die Verantwortung auf eine deutsche Synode abwälzen zu können. Unter den geistlichen Fürsten des Reiches fehlten solche nicht ganz, die von der Überlegenheit der Sache Anaklets überzeugt waren, aber unter Führung Norberts entschied die Mehrheit im Sinne Bernhards. Lothar folgte und zog dann auch England nach sich. Die große Gelegenheit war versäumt, und aus seiner Entscheidung ergaben sich für den deutschen König neue Pflichten. Man erwartete von ihm die Rückführung seines Papstes nach Rom und die dauernde Sicherung der „von jüdischer Wut bedrängten Kirche“. Denn Anaklet, eine gebietende, geistig hochstehende Persön- lichkeit, der die Gegner mit Unrecht eine Fülle von Makel anzu- hängen suchten, war in der Tat — und darin liegt nicht zum 1) Vgl. Mühlbacher, Die streitige Papstwahl des J. 1130. 1876.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/103>, abgerufen am 24.11.2024.