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[Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759.

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gensinn, den er dem unrechten Verfahren ei-
ner Sache entgegen setzen muste, als ein Auf-
rührer
verdächtig gemacht haben soll.

Sokrates wurde aber kein Autor, und
hierinn handelte er übereinstimmig mit sich
selbst. Wie der Held vor der Schlacht bey
Marathon keine Kinder nöthig hatte; so
wenig brauchte Sokrates Schriften zu sei-
nem Gedächtnisse. Seine Philosophie schick-
te sich für jeden Ort und zu jedem Fall. Der
Markt, das Feld, ein Gastmal, das Ge-
fängnis waren seine Schulen; und das er-
ste das beste Quodlibet des menschlichen Le-
bens und gesellschaftlichen Umganges diente
ihm den Saamen der Wahrheit auszustreuen.
So wenig Schulfüchserey er in seiner Lebens-
art beschuldigt wird, und so gut er auch die
Kunst verstand die besten Gesellschaften selbst
von jungen rohen Leuten zu unterhalten, er-
zählt man gleichwol von ihm, daß er ganze
Tage und Nächte unbeweglich gestanden, und
einer seiner Bildsäulen ähnlicher als sich selbst
gewesen. Seine Bücher würden also viel-
leicht wie diese seine Soliloquien und Selbst-
Gespräche ausgesehen haben. Er lobte ei-
nen Spatziergang als eine Suppe zu seinem
Abendbrodt; er suchte aber nicht wie ein
Peripatetiker die Wahrheit im Herumlaufen
und hin- und hergehen.

Daß

genſinn, den er dem unrechten Verfahren ei-
ner Sache entgegen ſetzen muſte, als ein Auf-
ruͤhrer
verdaͤchtig gemacht haben ſoll.

Sokrates wurde aber kein Autor, und
hierinn handelte er uͤbereinſtimmig mit ſich
ſelbſt. Wie der Held vor der Schlacht bey
Marathon keine Kinder noͤthig hatte; ſo
wenig brauchte Sokrates Schriften zu ſei-
nem Gedaͤchtniſſe. Seine Philoſophie ſchick-
te ſich fuͤr jeden Ort und zu jedem Fall. Der
Markt, das Feld, ein Gaſtmal, das Ge-
faͤngnis waren ſeine Schulen; und das er-
ſte das beſte Quodlibet des menſchlichen Le-
bens und geſellſchaftlichen Umganges diente
ihm den Saamen der Wahrheit auszuſtreuen.
So wenig Schulfuͤchſerey er in ſeiner Lebens-
art beſchuldigt wird, und ſo gut er auch die
Kunſt verſtand die beſten Geſellſchaften ſelbſt
von jungen rohen Leuten zu unterhalten, er-
zaͤhlt man gleichwol von ihm, daß er ganze
Tage und Naͤchte unbeweglich geſtanden, und
einer ſeiner Bildſaͤulen aͤhnlicher als ſich ſelbſt
geweſen. Seine Buͤcher wuͤrden alſo viel-
leicht wie dieſe ſeine Soliloquien und Selbſt-
Geſpraͤche ausgeſehen haben. Er lobte ei-
nen Spatziergang als eine Suppe zu ſeinem
Abendbrodt; er ſuchte aber nicht wie ein
Peripatetiker die Wahrheit im Herumlaufen
und hin- und hergehen.

Daß
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[58/0062] genſinn, den er dem unrechten Verfahren ei- ner Sache entgegen ſetzen muſte, als ein Auf- ruͤhrer verdaͤchtig gemacht haben ſoll. Sokrates wurde aber kein Autor, und hierinn handelte er uͤbereinſtimmig mit ſich ſelbſt. Wie der Held vor der Schlacht bey Marathon keine Kinder noͤthig hatte; ſo wenig brauchte Sokrates Schriften zu ſei- nem Gedaͤchtniſſe. Seine Philoſophie ſchick- te ſich fuͤr jeden Ort und zu jedem Fall. Der Markt, das Feld, ein Gaſtmal, das Ge- faͤngnis waren ſeine Schulen; und das er- ſte das beſte Quodlibet des menſchlichen Le- bens und geſellſchaftlichen Umganges diente ihm den Saamen der Wahrheit auszuſtreuen. So wenig Schulfuͤchſerey er in ſeiner Lebens- art beſchuldigt wird, und ſo gut er auch die Kunſt verſtand die beſten Geſellſchaften ſelbſt von jungen rohen Leuten zu unterhalten, er- zaͤhlt man gleichwol von ihm, daß er ganze Tage und Naͤchte unbeweglich geſtanden, und einer ſeiner Bildſaͤulen aͤhnlicher als ſich ſelbſt geweſen. Seine Buͤcher wuͤrden alſo viel- leicht wie dieſe ſeine Soliloquien und Selbſt- Geſpraͤche ausgeſehen haben. Er lobte ei- nen Spatziergang als eine Suppe zu ſeinem Abendbrodt; er ſuchte aber nicht wie ein Peripatetiker die Wahrheit im Herumlaufen und hin- und hergehen. Daß

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Zitationshilfe: [Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/62>, abgerufen am 22.11.2024.