Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Auge, das bald minutenlang auf das erlöschende Flämmchen der Nachtlampe gedankenlos hinstarrte, bald in ängstlich scheuer Hast von Gegenstand zu Gegenstand schweifte, von einer innern Ruhelosigkeit, von einer Gottverlassenheit der Seele zeugten, wie nur Verzweiflung oder Schuld sie empfinden. -- Jetzt fuhr er auf und horchte. -- Schritte -- waren das nicht Schritte? Nein, es war nichts! Er trocknete sich den Schweiß von der Stirn, strich die wirren Haare zurück, die sie bedeckten, und schritt unruhig im Zimmer auf und nieder. -- Warum gab ich auch dem Drängen der alten Margit nach, murmelte er vor sich hin, und was bestand ich später darauf, mich nicht zu entfernen? Der alte Schwätzer mußte freilich im Auge behalten werden, und wer konnte wissen, daß mich das dumme Fieber packen würde, und daß ich wie ein Schulknabe -- Er vollendete nicht, denn jetzt schallten wirklich draußen rasche Schritte nah und näher, denen bald ein derbes Pochen an der verschlossenen Thür folgte. Ferencz stand einen Augenblick wie erstarrt, dann sich ermannend, sprang er in die Ecke der Stube, riß mit zitternden Händen seinen Mantel von der Wand, breitete ihn über das offene Felleisen hin und wankte dann zur Thür, den Riegel zurückzuschieben; nun öffnete sie sich, und Horvath stand auf ihrer Schwelle dem bis in die Lippen erbleichenden Ferencz gegenüber, der vergebens seine tödtliche Unruhe unter Bücklingen und ehrerbietigen Morgengrüßen zu verbergen strebte. Auge, das bald minutenlang auf das erlöschende Flämmchen der Nachtlampe gedankenlos hinstarrte, bald in ängstlich scheuer Hast von Gegenstand zu Gegenstand schweifte, von einer innern Ruhelosigkeit, von einer Gottverlassenheit der Seele zeugten, wie nur Verzweiflung oder Schuld sie empfinden. — Jetzt fuhr er auf und horchte. — Schritte — waren das nicht Schritte? Nein, es war nichts! Er trocknete sich den Schweiß von der Stirn, strich die wirren Haare zurück, die sie bedeckten, und schritt unruhig im Zimmer auf und nieder. — Warum gab ich auch dem Drängen der alten Margit nach, murmelte er vor sich hin, und was bestand ich später darauf, mich nicht zu entfernen? Der alte Schwätzer mußte freilich im Auge behalten werden, und wer konnte wissen, daß mich das dumme Fieber packen würde, und daß ich wie ein Schulknabe — Er vollendete nicht, denn jetzt schallten wirklich draußen rasche Schritte nah und näher, denen bald ein derbes Pochen an der verschlossenen Thür folgte. Ferencz stand einen Augenblick wie erstarrt, dann sich ermannend, sprang er in die Ecke der Stube, riß mit zitternden Händen seinen Mantel von der Wand, breitete ihn über das offene Felleisen hin und wankte dann zur Thür, den Riegel zurückzuschieben; nun öffnete sie sich, und Horváth stand auf ihrer Schwelle dem bis in die Lippen erbleichenden Ferencz gegenüber, der vergebens seine tödtliche Unruhe unter Bücklingen und ehrerbietigen Morgengrüßen zu verbergen strebte. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0047"/> Auge, das bald minutenlang auf das erlöschende Flämmchen der Nachtlampe gedankenlos hinstarrte, bald in ängstlich scheuer Hast von Gegenstand zu Gegenstand schweifte, von einer innern Ruhelosigkeit, von einer Gottverlassenheit der Seele zeugten, wie nur Verzweiflung oder Schuld sie empfinden. — Jetzt fuhr er auf und horchte. — Schritte — waren das nicht Schritte? Nein, es war nichts! Er trocknete sich den Schweiß von der Stirn, strich die wirren Haare zurück, die sie bedeckten, und schritt unruhig im Zimmer auf und nieder. — Warum gab ich auch dem Drängen der alten Margit nach, murmelte er vor sich hin, und was bestand ich später darauf, mich nicht zu entfernen? Der alte Schwätzer mußte freilich im Auge behalten werden, und wer konnte wissen, daß mich das dumme Fieber packen würde, und daß ich wie ein Schulknabe — Er vollendete nicht, denn jetzt schallten wirklich draußen rasche Schritte nah und näher, denen bald ein derbes Pochen an der verschlossenen Thür folgte. Ferencz stand einen Augenblick wie erstarrt, dann sich ermannend, sprang er in die Ecke der Stube, riß mit zitternden Händen seinen Mantel von der Wand, breitete ihn über das offene Felleisen hin und wankte dann zur Thür, den Riegel zurückzuschieben; nun öffnete sie sich, und Horváth stand auf ihrer Schwelle dem bis in die Lippen erbleichenden Ferencz gegenüber, der vergebens seine tödtliche Unruhe unter Bücklingen und ehrerbietigen Morgengrüßen zu verbergen strebte.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Auge, das bald minutenlang auf das erlöschende Flämmchen der Nachtlampe gedankenlos hinstarrte, bald in ängstlich scheuer Hast von Gegenstand zu Gegenstand schweifte, von einer innern Ruhelosigkeit, von einer Gottverlassenheit der Seele zeugten, wie nur Verzweiflung oder Schuld sie empfinden. — Jetzt fuhr er auf und horchte. — Schritte — waren das nicht Schritte? Nein, es war nichts! Er trocknete sich den Schweiß von der Stirn, strich die wirren Haare zurück, die sie bedeckten, und schritt unruhig im Zimmer auf und nieder. — Warum gab ich auch dem Drängen der alten Margit nach, murmelte er vor sich hin, und was bestand ich später darauf, mich nicht zu entfernen? Der alte Schwätzer mußte freilich im Auge behalten werden, und wer konnte wissen, daß mich das dumme Fieber packen würde, und daß ich wie ein Schulknabe — Er vollendete nicht, denn jetzt schallten wirklich draußen rasche Schritte nah und näher, denen bald ein derbes Pochen an der verschlossenen Thür folgte. Ferencz stand einen Augenblick wie erstarrt, dann sich ermannend, sprang er in die Ecke der Stube, riß mit zitternden Händen seinen Mantel von der Wand, breitete ihn über das offene Felleisen hin und wankte dann zur Thür, den Riegel zurückzuschieben; nun öffnete sie sich, und Horváth stand auf ihrer Schwelle dem bis in die Lippen erbleichenden Ferencz gegenüber, der vergebens seine tödtliche Unruhe unter Bücklingen und ehrerbietigen Morgengrüßen zu verbergen strebte.
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Zitationshilfe: | Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/47>, abgerufen am 16.07.2024. |