Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wechselte die Farbe und schoß einen scheuen, stechenden Blick voll feindlichen Ingrimms nach dem Sprechenden; aber er schien Gründe zu haben, sich zurückzuhalten, denn er biß sich in die Lippen und versetzte nach einer Pause mit gepreßter Stimme: Ich will kein Almosen! Ich will ein Unterkommen, ich will Arbeit finden! Pah, Arbeit! rief Horvath, mit den feinen, zarten Händen! Was für Arbeit will Er damit verrichten? Der Jüngling richtete sich empor und erwiederte mit verächtlichem Lächeln und dem sichtlichen Gefühle geistiger Ueberlegenheit, mit der Feder sei mehr Arbeit zu verrichten, als mit der Holzaxt; er sei des Rechnens und der Buchführung kundig; er spreche und schreibe zwar nicht Ungarisch, aber Deutsch, Welsch und Latein und verstehe sich auch noch auf andere nützliche Dinge. Horvath hörte die zuversichtlichen Worte mit beifälligem Kopfnicken an und warf nach kurzem Besinnen die Frage hin, wie er heiße, was er bisher getrieben und ob er Zeugnisse seines Wohlverhaltens habe? Der Fremde stockte eine Weile, aber bald gesammelt berichtete er mit geläufiger Zunge, er heiße Franz Bauer, sei aus Wien gebürtig, habe dort bei einem Advocaten servirt, diesen aber verlassen, um sich in der Welt umzusehen; in Fünfkirchen sei er schwer erkrankt und durch Diebstahl seiner Zeugnisse und des besten Theils seiner Habe beraubt worden; gestern sei er über den Plattensee herübergekommen und sitze nun hier und wisse sich nicht Rath noch Hilfe. Horvath's Beifallnicken hatte sich während dieses Berichts mehrmals in ein be- wechselte die Farbe und schoß einen scheuen, stechenden Blick voll feindlichen Ingrimms nach dem Sprechenden; aber er schien Gründe zu haben, sich zurückzuhalten, denn er biß sich in die Lippen und versetzte nach einer Pause mit gepreßter Stimme: Ich will kein Almosen! Ich will ein Unterkommen, ich will Arbeit finden! Pah, Arbeit! rief Horváth, mit den feinen, zarten Händen! Was für Arbeit will Er damit verrichten? Der Jüngling richtete sich empor und erwiederte mit verächtlichem Lächeln und dem sichtlichen Gefühle geistiger Ueberlegenheit, mit der Feder sei mehr Arbeit zu verrichten, als mit der Holzaxt; er sei des Rechnens und der Buchführung kundig; er spreche und schreibe zwar nicht Ungarisch, aber Deutsch, Welsch und Latein und verstehe sich auch noch auf andere nützliche Dinge. Horváth hörte die zuversichtlichen Worte mit beifälligem Kopfnicken an und warf nach kurzem Besinnen die Frage hin, wie er heiße, was er bisher getrieben und ob er Zeugnisse seines Wohlverhaltens habe? Der Fremde stockte eine Weile, aber bald gesammelt berichtete er mit geläufiger Zunge, er heiße Franz Bauer, sei aus Wien gebürtig, habe dort bei einem Advocaten servirt, diesen aber verlassen, um sich in der Welt umzusehen; in Fünfkirchen sei er schwer erkrankt und durch Diebstahl seiner Zeugnisse und des besten Theils seiner Habe beraubt worden; gestern sei er über den Plattensee herübergekommen und sitze nun hier und wisse sich nicht Rath noch Hilfe. Horváth's Beifallnicken hatte sich während dieses Berichts mehrmals in ein be- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0012"/> wechselte die Farbe und schoß einen scheuen, stechenden Blick voll feindlichen Ingrimms nach dem Sprechenden; aber er schien Gründe zu haben, sich zurückzuhalten, denn er biß sich in die Lippen und versetzte nach einer Pause mit gepreßter Stimme: Ich will kein Almosen! Ich will ein Unterkommen, ich will Arbeit finden! Pah, Arbeit! rief Horváth, mit den feinen, zarten Händen! Was für Arbeit will Er damit verrichten? Der Jüngling richtete sich empor und erwiederte mit verächtlichem Lächeln und dem sichtlichen Gefühle geistiger Ueberlegenheit, mit der Feder sei mehr Arbeit zu verrichten, als mit der Holzaxt; er sei des Rechnens und der Buchführung kundig; er spreche und schreibe zwar nicht Ungarisch, aber Deutsch, Welsch und Latein und verstehe sich auch noch auf andere nützliche Dinge. Horváth hörte die zuversichtlichen Worte mit beifälligem Kopfnicken an und warf nach kurzem Besinnen die Frage hin, wie er heiße, was er bisher getrieben und ob er Zeugnisse seines Wohlverhaltens habe? Der Fremde stockte eine Weile, aber bald gesammelt berichtete er mit geläufiger Zunge, er heiße Franz Bauer, sei aus Wien gebürtig, habe dort bei einem Advocaten servirt, diesen aber verlassen, um sich in der Welt umzusehen; in Fünfkirchen sei er schwer erkrankt und durch Diebstahl seiner Zeugnisse und des besten Theils seiner Habe beraubt worden; gestern sei er über den Plattensee herübergekommen und sitze nun hier und wisse sich nicht Rath noch Hilfe. Horváth's Beifallnicken hatte sich während dieses Berichts mehrmals in ein be-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
wechselte die Farbe und schoß einen scheuen, stechenden Blick voll feindlichen Ingrimms nach dem Sprechenden; aber er schien Gründe zu haben, sich zurückzuhalten, denn er biß sich in die Lippen und versetzte nach einer Pause mit gepreßter Stimme: Ich will kein Almosen! Ich will ein Unterkommen, ich will Arbeit finden! Pah, Arbeit! rief Horváth, mit den feinen, zarten Händen! Was für Arbeit will Er damit verrichten? Der Jüngling richtete sich empor und erwiederte mit verächtlichem Lächeln und dem sichtlichen Gefühle geistiger Ueberlegenheit, mit der Feder sei mehr Arbeit zu verrichten, als mit der Holzaxt; er sei des Rechnens und der Buchführung kundig; er spreche und schreibe zwar nicht Ungarisch, aber Deutsch, Welsch und Latein und verstehe sich auch noch auf andere nützliche Dinge. Horváth hörte die zuversichtlichen Worte mit beifälligem Kopfnicken an und warf nach kurzem Besinnen die Frage hin, wie er heiße, was er bisher getrieben und ob er Zeugnisse seines Wohlverhaltens habe? Der Fremde stockte eine Weile, aber bald gesammelt berichtete er mit geläufiger Zunge, er heiße Franz Bauer, sei aus Wien gebürtig, habe dort bei einem Advocaten servirt, diesen aber verlassen, um sich in der Welt umzusehen; in Fünfkirchen sei er schwer erkrankt und durch Diebstahl seiner Zeugnisse und des besten Theils seiner Habe beraubt worden; gestern sei er über den Plattensee herübergekommen und sitze nun hier und wisse sich nicht Rath noch Hilfe. Horváth's Beifallnicken hatte sich während dieses Berichts mehrmals in ein be-
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Zitationshilfe: | Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/12>, abgerufen am 16.07.2024. |