Sie kehrten sich schon seit langer Zeit nicht mehr an die Freuden der Liebe, indem die Empfindlichkeit bey ih- nen aufhörte, welche die Zeugungstheile belebt: indem nunmehro alle Sinnen callöse werden. Völlig verschwin- det der Gebrauch der Ohren (g)(h). Die Alten hatten blos mehr Licht zum Sehen nöthig; auf dieses Uebel folgt mit den Jahren eine völlige Blindheit sowol bei Menschen als bei Thieren (i); theils wegen des schwarzen Staa- res, welcher wegen der callösen Eigenschaft des Nezz- häutchens entsteht (k), theils wegen des grauen Staares, welcher von einer vollkommenen Verdunkelung der Kry- stallinse herrühret.
Sie empfinden auch nichts mehr, weder vom Ge- schmakke noch vom Geruch (l), und es schienen mir die- jenigen, welche in diesen Zustand verfielen, süsse Sa- chen vornemlich zu lieben. Doch es ist auch das Ge- fühl wegen ihrer harten Haut nicht mehr dasselbe.
Alle Muskeln sind äusserst schwach (l*), sie verlieren den Gebrauch ihrer Häuser, und sehen sich genöthigt, sich in ihr Schlafzimmer, und von da in ihr Bette zu begeben, da sie nicht mehr die Kräfte haben, ihren Kör- per zu tragen. Daher sind alle alte Thiere, selbst der muntere Hund und kriegerische Löwe nunmehr schläfrig. Das Gedärme, so seine reizbare Kräfte verloren, behält den Koth eine sehr lange Zeit bey sich; selbst der Reiz der Blase dauert nicht bis in die lezzte Zeit hinein, indem sie der Tod oft mit Hülfe einer Lähmung dieses Harnbe- halters überfällt.
(m) (n)
Die
(g)[Spaltenumbruch]WEPFER apoplex p. 268.
(h) Auch Hunde werden taub. LINN. syst. nat. T. I. P. 2. p. 60.
(i)Idem. Am Hunde, an der Nachtigall. Aedologia p. 135.
(k)L. XVI. p. 490. &c.
(l)[Spaltenumbruch]BARZILLAI Samuel. L. II. c. 19.
(l*)WEPFER l. c.
(m)WINTRINGHAM p. 36. 37.
(n)L. XXIV. p. 187. Greis von 130 Jahren FISCHER p. 97.
Leben u. Tod der Menſchen. XXX. B.
Sie kehrten ſich ſchon ſeit langer Zeit nicht mehr an die Freuden der Liebe, indem die Empfindlichkeit bey ih- nen aufhoͤrte, welche die Zeugungstheile belebt: indem nunmehro alle Sinnen calloͤſe werden. Voͤllig verſchwin- det der Gebrauch der Ohren (g)(h). Die Alten hatten blos mehr Licht zum Sehen noͤthig; auf dieſes Uebel folgt mit den Jahren eine voͤllige Blindheit ſowol bei Menſchen als bei Thieren (i); theils wegen des ſchwarzen Staa- res, welcher wegen der calloͤſen Eigenſchaft des Nezz- haͤutchens entſteht (k), theils wegen des grauen Staares, welcher von einer vollkommenen Verdunkelung der Kry- ſtallinſe herruͤhret.
Sie empfinden auch nichts mehr, weder vom Ge- ſchmakke noch vom Geruch (l), und es ſchienen mir die- jenigen, welche in dieſen Zuſtand verfielen, ſuͤſſe Sa- chen vornemlich zu lieben. Doch es iſt auch das Ge- fuͤhl wegen ihrer harten Haut nicht mehr daſſelbe.
Alle Muskeln ſind aͤuſſerſt ſchwach (l*), ſie verlieren den Gebrauch ihrer Haͤuſer, und ſehen ſich genoͤthigt, ſich in ihr Schlafzimmer, und von da in ihr Bette zu begeben, da ſie nicht mehr die Kraͤfte haben, ihren Koͤr- per zu tragen. Daher ſind alle alte Thiere, ſelbſt der muntere Hund und kriegeriſche Loͤwe nunmehr ſchlaͤfrig. Das Gedaͤrme, ſo ſeine reizbare Kraͤfte verloren, behaͤlt den Koth eine ſehr lange Zeit bey ſich; ſelbſt der Reiz der Blaſe dauert nicht bis in die lezzte Zeit hinein, indem ſie der Tod oft mit Huͤlfe einer Laͤhmung dieſes Harnbe- halters uͤberfaͤllt.
(m) (n)
Die
(g)[Spaltenumbruch]WEPFER apoplex p. 268.
(h) Auch Hunde werden taub. LINN. ſyſt. nat. T. I. P. 2. p. 60.
(i)Idem. Am Hunde, an der Nachtigall. Aedologia p. 135.
(k)L. XVI. p. 490. &c.
(l)[Spaltenumbruch]BARZILLAI Samuel. L. II. c. 19.
(l*)WEPFER l. c.
(m)WINTRINGHAM p. 36. 37.
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[924[926]/0978]
Leben u. Tod der Menſchen. XXX. B.
Sie kehrten ſich ſchon ſeit langer Zeit nicht mehr an
die Freuden der Liebe, indem die Empfindlichkeit bey ih-
nen aufhoͤrte, welche die Zeugungstheile belebt: indem
nunmehro alle Sinnen calloͤſe werden. Voͤllig verſchwin-
det der Gebrauch der Ohren (g) (h). Die Alten hatten
blos mehr Licht zum Sehen noͤthig; auf dieſes Uebel folgt
mit den Jahren eine voͤllige Blindheit ſowol bei Menſchen
als bei Thieren (i); theils wegen des ſchwarzen Staa-
res, welcher wegen der calloͤſen Eigenſchaft des Nezz-
haͤutchens entſteht (k), theils wegen des grauen Staares,
welcher von einer vollkommenen Verdunkelung der Kry-
ſtallinſe herruͤhret.
Sie empfinden auch nichts mehr, weder vom Ge-
ſchmakke noch vom Geruch (l), und es ſchienen mir die-
jenigen, welche in dieſen Zuſtand verfielen, ſuͤſſe Sa-
chen vornemlich zu lieben. Doch es iſt auch das Ge-
fuͤhl wegen ihrer harten Haut nicht mehr daſſelbe.
Alle Muskeln ſind aͤuſſerſt ſchwach (l*), ſie verlieren
den Gebrauch ihrer Haͤuſer, und ſehen ſich genoͤthigt,
ſich in ihr Schlafzimmer, und von da in ihr Bette zu
begeben, da ſie nicht mehr die Kraͤfte haben, ihren Koͤr-
per zu tragen. Daher ſind alle alte Thiere, ſelbſt der
muntere Hund und kriegeriſche Loͤwe nunmehr ſchlaͤfrig.
Das Gedaͤrme, ſo ſeine reizbare Kraͤfte verloren, behaͤlt
den Koth eine ſehr lange Zeit bey ſich; ſelbſt der Reiz
der Blaſe dauert nicht bis in die lezzte Zeit hinein, indem
ſie der Tod oft mit Huͤlfe einer Laͤhmung dieſes Harnbe-
halters uͤberfaͤllt.
Die
(m)
(n)
(g)
WEPFER apoplex p. 268.
(h) Auch Hunde werden taub.
LINN. ſyſt. nat. T. I. P. 2. p. 60.
(i) Idem. Am Hunde, an der
Nachtigall. Aedologia p. 135.
(k) L. XVI. p. 490. &c.
(l)
BARZILLAI Samuel. L. II.
c. 19.
(l*) WEPFER l. c.
(m) WINTRINGHAM p. 36.
37.
(n) L. XXIV. p. 187. Greis
von 130 Jahren FISCHER p. 97.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 924[926]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/978>, abgerufen am 24.11.2024.
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