Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Abs. Das Leben der Frucht.
Es wird nämlich ein jedes Glied, nach dem Maasse,
als man selbiges öfter gebraucht, und so auch ein Mus-
kel, den man öfters anstrengt (a), in seinem Umfange
dikker: man fand den Daumen bei dem Mädchen, so man
in den Wäldern von Lothringen entdekkte, von einer
ganz ungewöhnlichen Grösse.

Gegentheils sind die Gliedmaassen der Mädchen
schwächer, und ungemein schlank, weil ihr müßiges Leben
die Kräfte dieser Muskeln in einer beständigen Ruhe
läst. Hirsche, welche man in eine enge Weide einschließt,
bekommen knorrige Schenkel (b). So ist die so genann-
te englische Krankheit (rachitis), eine Krankheit bei Na-
tionen, welche Künste ausüben, wobei man viel sizzen
muß, z. E. bei den Engländern und Holländern.

§. 19.
Die anziehende Kraft.

Dieses wichtige Jnstrument der Natur beweiset auch
bei der Entwikkelung in belebten Körpern, seine wichtige
Dienste.

So macht erstlich die anziehende Kraft an dem Fa-
dengewebe, wenn selbiges nunmehr einige Festigkeit er-
reicht hat, alle Arten von Biegungen, indem sie, nach
dem verschiedenen Grade ihrer Stärke, und nach der
Festigkeit des festen Grundes, gegen welchen sie ihre
Stärke ausübt, die Gefässe und Päkke der Muskelfasern
auf allerhand Arten zu biegen versteht. Dahin kann
man die Krümmung der Halsader (c) unterhalb der
Hirnschale, die Krümmungen der Gallenblase, so sich
aus der ovalen und geraden Figur in eine schnabelför-
mige und kopfförmige Gestalt eines kleinen Vogels ver-
wandelt. Die Biegungen des Grimm- (d) und Blind-

darms
(a) [Spaltenumbruch] L. XI. p. 570.
(b) BUFFON T. IX. p. 133.
(c) L. X. p. 118.
(d) [Spaltenumbruch] L. XXIV. p. 120. doch kömmt
noch das Gewicht des Kotes dazu.
J i 4

IV. Abſ. Das Leben der Frucht.
Es wird naͤmlich ein jedes Glied, nach dem Maaſſe,
als man ſelbiges oͤfter gebraucht, und ſo auch ein Mus-
kel, den man oͤfters anſtrengt (a), in ſeinem Umfange
dikker: man fand den Daumen bei dem Maͤdchen, ſo man
in den Waͤldern von Lothringen entdekkte, von einer
ganz ungewoͤhnlichen Groͤſſe.

Gegentheils ſind die Gliedmaaſſen der Maͤdchen
ſchwaͤcher, und ungemein ſchlank, weil ihr muͤßiges Leben
die Kraͤfte dieſer Muskeln in einer beſtaͤndigen Ruhe
laͤſt. Hirſche, welche man in eine enge Weide einſchließt,
bekommen knorrige Schenkel (b). So iſt die ſo genann-
te engliſche Krankheit (rachitis), eine Krankheit bei Na-
tionen, welche Kuͤnſte ausuͤben, wobei man viel ſizzen
muß, z. E. bei den Englaͤndern und Hollaͤndern.

§. 19.
Die anziehende Kraft.

Dieſes wichtige Jnſtrument der Natur beweiſet auch
bei der Entwikkelung in belebten Koͤrpern, ſeine wichtige
Dienſte.

So macht erſtlich die anziehende Kraft an dem Fa-
dengewebe, wenn ſelbiges nunmehr einige Feſtigkeit er-
reicht hat, alle Arten von Biegungen, indem ſie, nach
dem verſchiedenen Grade ihrer Staͤrke, und nach der
Feſtigkeit des feſten Grundes, gegen welchen ſie ihre
Staͤrke ausuͤbt, die Gefaͤſſe und Paͤkke der Muskelfaſern
auf allerhand Arten zu biegen verſteht. Dahin kann
man die Kruͤmmung der Halsader (c) unterhalb der
Hirnſchale, die Kruͤmmungen der Gallenblaſe, ſo ſich
aus der ovalen und geraden Figur in eine ſchnabelfoͤr-
mige und kopffoͤrmige Geſtalt eines kleinen Vogels ver-
wandelt. Die Biegungen des Grimm- (d) und Blind-

darms
(a) [Spaltenumbruch] L. XI. p. 570.
(b) BUFFON T. IX. p. 133.
(c) L. X. p. 118.
(d) [Spaltenumbruch] L. XXIV. p. 120. doch koͤmmt
noch das Gewicht des Kotes dazu.
J i 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0555" n="501[503]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Ab&#x017F;. Das Leben der Frucht.</hi></fw><lb/>
Es wird na&#x0364;mlich ein jedes Glied, nach dem Maa&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
als man &#x017F;elbiges o&#x0364;fter gebraucht, und &#x017F;o auch ein Mus-<lb/>
kel, den man o&#x0364;fters an&#x017F;trengt <note place="foot" n="(a)"><cb/><hi rendition="#aq">L. XI. p.</hi> 570.</note>, in &#x017F;einem Umfange<lb/>
dikker: man fand den Daumen bei dem Ma&#x0364;dchen, &#x017F;o man<lb/>
in den Wa&#x0364;ldern von Lothringen entdekkte, von einer<lb/>
ganz ungewo&#x0364;hnlichen Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
              <p>Gegentheils &#x017F;ind die Gliedmaa&#x017F;&#x017F;en der Ma&#x0364;dchen<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;cher, und ungemein &#x017F;chlank, weil ihr mu&#x0364;ßiges Leben<lb/>
die Kra&#x0364;fte die&#x017F;er Muskeln in einer be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Ruhe<lb/>
la&#x0364;&#x017F;t. Hir&#x017F;che, welche man in eine enge Weide ein&#x017F;chließt,<lb/>
bekommen knorrige Schenkel <note place="foot" n="(b)"><hi rendition="#aq">BUFFON T. IX. p.</hi> 133.</note>. So i&#x017F;t die &#x017F;o genann-<lb/>
te engli&#x017F;che Krankheit (<hi rendition="#aq">rachitis</hi>), eine Krankheit bei Na-<lb/>
tionen, welche Ku&#x0364;n&#x017F;te ausu&#x0364;ben, wobei man viel &#x017F;izzen<lb/>
muß, z. E. bei den Engla&#x0364;ndern und Holla&#x0364;ndern.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 19.<lb/><hi rendition="#g">Die anziehende Kraft.</hi></head><lb/>
              <p>Die&#x017F;es wichtige Jn&#x017F;trument der Natur bewei&#x017F;et auch<lb/>
bei der Entwikkelung in belebten Ko&#x0364;rpern, &#x017F;eine wichtige<lb/>
Dien&#x017F;te.</p><lb/>
              <p>So macht er&#x017F;tlich die anziehende Kraft an dem Fa-<lb/>
dengewebe, wenn &#x017F;elbiges nunmehr einige Fe&#x017F;tigkeit er-<lb/>
reicht hat, alle Arten von Biegungen, indem &#x017F;ie, nach<lb/>
dem ver&#x017F;chiedenen Grade ihrer Sta&#x0364;rke, und nach der<lb/>
Fe&#x017F;tigkeit des fe&#x017F;ten Grundes, gegen welchen &#x017F;ie ihre<lb/>
Sta&#x0364;rke ausu&#x0364;bt, die Gefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und Pa&#x0364;kke der Muskelfa&#x017F;ern<lb/>
auf allerhand Arten zu biegen ver&#x017F;teht. Dahin kann<lb/>
man die Kru&#x0364;mmung der Halsader <note place="foot" n="(c)"><hi rendition="#aq">L. X. p.</hi> 118.</note> unterhalb der<lb/>
Hirn&#x017F;chale, die Kru&#x0364;mmungen der Gallenbla&#x017F;e, &#x017F;o &#x017F;ich<lb/>
aus der ovalen und geraden Figur in eine &#x017F;chnabelfo&#x0364;r-<lb/>
mige und kopffo&#x0364;rmige Ge&#x017F;talt eines kleinen Vogels ver-<lb/>
wandelt. Die Biegungen des Grimm- <note place="foot" n="(d)"><cb/><hi rendition="#aq">L. XXIV. p.</hi> 120. doch ko&#x0364;mmt<lb/>
noch das Gewicht des Kotes dazu.</note> und Blind-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J i 4</fw><fw place="bottom" type="catch">darms</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[501[503]/0555] IV. Abſ. Das Leben der Frucht. Es wird naͤmlich ein jedes Glied, nach dem Maaſſe, als man ſelbiges oͤfter gebraucht, und ſo auch ein Mus- kel, den man oͤfters anſtrengt (a), in ſeinem Umfange dikker: man fand den Daumen bei dem Maͤdchen, ſo man in den Waͤldern von Lothringen entdekkte, von einer ganz ungewoͤhnlichen Groͤſſe. Gegentheils ſind die Gliedmaaſſen der Maͤdchen ſchwaͤcher, und ungemein ſchlank, weil ihr muͤßiges Leben die Kraͤfte dieſer Muskeln in einer beſtaͤndigen Ruhe laͤſt. Hirſche, welche man in eine enge Weide einſchließt, bekommen knorrige Schenkel (b). So iſt die ſo genann- te engliſche Krankheit (rachitis), eine Krankheit bei Na- tionen, welche Kuͤnſte ausuͤben, wobei man viel ſizzen muß, z. E. bei den Englaͤndern und Hollaͤndern. §. 19. Die anziehende Kraft. Dieſes wichtige Jnſtrument der Natur beweiſet auch bei der Entwikkelung in belebten Koͤrpern, ſeine wichtige Dienſte. So macht erſtlich die anziehende Kraft an dem Fa- dengewebe, wenn ſelbiges nunmehr einige Feſtigkeit er- reicht hat, alle Arten von Biegungen, indem ſie, nach dem verſchiedenen Grade ihrer Staͤrke, und nach der Feſtigkeit des feſten Grundes, gegen welchen ſie ihre Staͤrke ausuͤbt, die Gefaͤſſe und Paͤkke der Muskelfaſern auf allerhand Arten zu biegen verſteht. Dahin kann man die Kruͤmmung der Halsader (c) unterhalb der Hirnſchale, die Kruͤmmungen der Gallenblaſe, ſo ſich aus der ovalen und geraden Figur in eine ſchnabelfoͤr- mige und kopffoͤrmige Geſtalt eines kleinen Vogels ver- wandelt. Die Biegungen des Grimm- (d) und Blind- darms (a) L. XI. p. 570. (b) BUFFON T. IX. p. 133. (c) L. X. p. 118. (d) L. XXIV. p. 120. doch koͤmmt noch das Gewicht des Kotes dazu. J i 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/555
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 501[503]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/555>, abgerufen am 20.11.2024.