Da ausserdem aus den Nieren beständig neuer Urin nachfließt, so nimmt seine Menge immer mehr und mehr zu, die Blase wird davon ausgedehnt, sie schmerzt, und es wird uns der Reiz am Anfange nur beschwerlich, und endlich unerträglich [Spaltenumbruch](f*), den man vom Verhalten des Urins empfindet, und es würde ein grosser Künstler, der sich an seinen Feinden rächen wollte, keine grausamere Folter ersinnen können, als die Schaam zu verbinden, um die Blase bersten zu lassen (g).
Auf solche Art entsteht bei uns der Trieb, den Harn zu lassen, schneller wenn der Urin scharf ist, und die Blase empfindlicher und gerizzt, wie bei Leuten ist, die mit dem Steine behaftet sind, und welche sich gezwungen sehen, fast beständig wenig Tropfen auf einmal wegzu- lassen. Weniger wird die Blase von einem wohl gekoch- ten Urine gereizt, dergleichen man nach dem nächtlichen Schlafe läßt: weniger auch bei gewissen Personen, und man hat aus Exempeln, daß es Frauenspersonen gegeben, welche den Urin bis an ihren Todt an sich gehalten, weil sie keinen Reiz dazu gefühlt(h). Jndessen ist bei dem Verhalten immer Gefahr zu befüxchten: denn er senkt nicht nur, wenn er fault, einen steinigen Bodensazz in grösserer Menge nieder (i); sondern er löset auch die aus einander getriebene Fasern der Blase auf (k), und rau- bet selbigen alle Kraft, sich zusammen zu ziehen.
Wenn nun der Mensch im Begriffe steht, dem Reize der Natur zu gehorchen, und die Blase voller Urin ist, alsdenn fängt ein solcher, der den Harn lassen will, vom Einatmen an, er ziehet in die Lunge viel Luft hinein, indem er die Brust langsam und anhaltend erweitert, er behält die Luft lange Zeit in sich, wie man es bei den An-
strengun-
(f*) Von gehemmter Blase brach der Schmerz in Raserei aus FICHET. obs. p. 321.
(g)TIBERIUS.
(h)[Spaltenumbruch]
Kein Klistir machte Stuhl- gang. Ohne Stein eine tödliche Jschurie. MARTII obs.
(i)p. 367.
(k)p. 323.
Die Harnwege, XXVI. Buch.
Da auſſerdem aus den Nieren beſtaͤndig neuer Urin nachfließt, ſo nimmt ſeine Menge immer mehr und mehr zu, die Blaſe wird davon ausgedehnt, ſie ſchmerzt, und es wird uns der Reiz am Anfange nur beſchwerlich, und endlich unertraͤglich [Spaltenumbruch](f*), den man vom Verhalten des Urins empfindet, und es wuͤrde ein groſſer Kuͤnſtler, der ſich an ſeinen Feinden raͤchen wollte, keine grauſamere Folter erſinnen koͤnnen, als die Schaam zu verbinden, um die Blaſe berſten zu laſſen (g).
Auf ſolche Art entſteht bei uns der Trieb, den Harn zu laſſen, ſchneller wenn der Urin ſcharf iſt, und die Blaſe empfindlicher und gerizzt, wie bei Leuten iſt, die mit dem Steine behaftet ſind, und welche ſich gezwungen ſehen, faſt beſtaͤndig wenig Tropfen auf einmal wegzu- laſſen. Weniger wird die Blaſe von einem wohl gekoch- ten Urine gereizt, dergleichen man nach dem naͤchtlichen Schlafe laͤßt: weniger auch bei gewiſſen Perſonen, und man hat aus Exempeln, daß es Frauensperſonen gegeben, welche den Urin bis an ihren Todt an ſich gehalten, weil ſie keinen Reiz dazu gefuͤhlt(h). Jndeſſen iſt bei dem Verhalten immer Gefahr zu befuͤxchten: denn er ſenkt nicht nur, wenn er fault, einen ſteinigen Bodenſazz in groͤſſerer Menge nieder (i); ſondern er loͤſet auch die aus einander getriebene Faſern der Blaſe auf (k), und rau- bet ſelbigen alle Kraft, ſich zuſammen zu ziehen.
Wenn nun der Menſch im Begriffe ſteht, dem Reize der Natur zu gehorchen, und die Blaſe voller Urin iſt, alsdenn faͤngt ein ſolcher, der den Harn laſſen will, vom Einatmen an, er ziehet in die Lunge viel Luft hinein, indem er die Bruſt langſam und anhaltend erweitert, er behaͤlt die Luft lange Zeit in ſich, wie man es bei den An-
ſtrengun-
(f*) Von gehemmter Blaſe brach der Schmerz in Raſerei aus FICHET. obſ. p. 321.
(g)TIBERIUS.
(h)[Spaltenumbruch]
Kein Kliſtir machte Stuhl- gang. Ohne Stein eine toͤdliche Jſchurie. MARTII obſ.
(i)p. 367.
(k)p. 323.
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[586/0622]
Die Harnwege, XXVI. Buch.
Da auſſerdem aus den Nieren beſtaͤndig neuer Urin
nachfließt, ſo nimmt ſeine Menge immer mehr und mehr
zu, die Blaſe wird davon ausgedehnt, ſie ſchmerzt, und
es wird uns der Reiz am Anfange nur beſchwerlich, und
endlich unertraͤglich
(f*), den man vom Verhalten des
Urins empfindet, und es wuͤrde ein groſſer Kuͤnſtler, der
ſich an ſeinen Feinden raͤchen wollte, keine grauſamere
Folter erſinnen koͤnnen, als die Schaam zu verbinden,
um die Blaſe berſten zu laſſen (g).
Auf ſolche Art entſteht bei uns der Trieb, den Harn
zu laſſen, ſchneller wenn der Urin ſcharf iſt, und die
Blaſe empfindlicher und gerizzt, wie bei Leuten iſt, die
mit dem Steine behaftet ſind, und welche ſich gezwungen
ſehen, faſt beſtaͤndig wenig Tropfen auf einmal wegzu-
laſſen. Weniger wird die Blaſe von einem wohl gekoch-
ten Urine gereizt, dergleichen man nach dem naͤchtlichen
Schlafe laͤßt: weniger auch bei gewiſſen Perſonen, und
man hat aus Exempeln, daß es Frauensperſonen gegeben,
welche den Urin bis an ihren Todt an ſich gehalten, weil
ſie keinen Reiz dazu gefuͤhlt (h). Jndeſſen iſt bei dem
Verhalten immer Gefahr zu befuͤxchten: denn er ſenkt
nicht nur, wenn er fault, einen ſteinigen Bodenſazz in
groͤſſerer Menge nieder (i); ſondern er loͤſet auch die aus
einander getriebene Faſern der Blaſe auf (k), und rau-
bet ſelbigen alle Kraft, ſich zuſammen zu ziehen.
Wenn nun der Menſch im Begriffe ſteht, dem
Reize der Natur zu gehorchen, und die Blaſe voller Urin
iſt, alsdenn faͤngt ein ſolcher, der den Harn laſſen will,
vom Einatmen an, er ziehet in die Lunge viel Luft hinein,
indem er die Bruſt langſam und anhaltend erweitert, er
behaͤlt die Luft lange Zeit in ſich, wie man es bei den An-
ſtrengun-
(f*) Von gehemmter Blaſe
brach der Schmerz in Raſerei aus
FICHET. obſ. p. 321.
(g) TIBERIUS.
(h)
Kein Kliſtir machte Stuhl-
gang. Ohne Stein eine toͤdliche
Jſchurie. MARTII obſ.
(i) p. 367.
(k) p. 323.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 7. Berlin, 1775, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende07_1775/622>, abgerufen am 22.11.2024.
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