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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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IV. Abschnitt. Das Sehen.
oder von Schlagadern, welche auf die Sehnerven klopfen
(f), wohin vielleicht, aber auch zu der weniger vesten Umbeu-
gung der Muskeln in einem einzigen Punkt, die doppelten
Bilder der trunkenen und furchtsamen Leuten, indem die-
jenigen, welche die Dächer hoher Thürmer ausbessern,
gemeiniglich sogleich schwindlich herunterfallen, wenn sie
Dinge doppelt zu sehen anfangen. Eben so ist auch das
doppelte Sehen beschaffen, woran der Fehler eines Mus-
kels schuld ist, der seine Bewegung verlohren hat (g).

Es beziehet sich alles dieses darauf, daß wir ein ein-
ziges Object sehen, so oft die Empfindungen einander
ähnlich sind, doppelt aber, wenn dieselbe unähnlich sind,
und dieses geschiehet ebenfalls, es mögen unähnliche Em-
pfindungen in einem Auge entstehen oder in zweien. Es
entstehet aber eine andere Empfindung, wenn entweder in
einerlei Auge die Bilder auf zwei verschiedene Punkte der
Nezzhaut auffallen, oder wenn in beiden Augen die
Sehwinkel einander ungleich sind, und folglich unter
Bildern ein Unterschied ist (i). Es erhellet auch, daß
das Auge nicht eine andere besondere Natur habe, da wir
auch mit zwei Naselöchern einen einzigen Geruch, und mit
zwei Ohren einen Schall vernehmen.

Es thut hier die Vereinigung der Nerven nichts, da
dergleichen in Gehörnerven nicht statt findet (k), noch
dieses bei den Augen der Raupen (l), oder anderer Jnsek-
ten vorkömmt: Noch hierdurch nach Gewohnheit gehandelt
wird, indem die neulich ausgekrochene Biene mit ihren
tausend Augen eben so genau nach dem verlangten Bie-
nenkorbe flieht, als sie nach langer Erfahrung fliegen
würde. Und es haben auch diejenigen nicht doppelt gese-
hen, die mit einem Staare gebohren waren, und ihr
Gesichte plözzlich wieder bekommen. Wenn einige schie-

lende
(f) [Spaltenumbruch] VATER.
(g) De la HIRE p. 614. POR-
TERFIELD T. II. pag. 313 MEA-
RA l. c.
(i) [Spaltenumbruch] PLEMP. L. IV. propos. 16.
(k) L. XV. p. 299. 300.
(l) vid. p. 351.
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IV. Abſchnitt. Das Sehen.
oder von Schlagadern, welche auf die Sehnerven klopfen
(f), wohin vielleicht, aber auch zu der weniger veſten Umbeu-
gung der Muſkeln in einem einzigen Punkt, die doppelten
Bilder der trunkenen und furchtſamen Leuten, indem die-
jenigen, welche die Daͤcher hoher Thuͤrmer ausbeſſern,
gemeiniglich ſogleich ſchwindlich herunterfallen, wenn ſie
Dinge doppelt zu ſehen anfangen. Eben ſo iſt auch das
doppelte Sehen beſchaffen, woran der Fehler eines Muſ-
kels ſchuld iſt, der ſeine Bewegung verlohren hat (g).

Es beziehet ſich alles dieſes darauf, daß wir ein ein-
ziges Object ſehen, ſo oft die Empfindungen einander
aͤhnlich ſind, doppelt aber, wenn dieſelbe unaͤhnlich ſind,
und dieſes geſchiehet ebenfalls, es moͤgen unaͤhnliche Em-
pfindungen in einem Auge entſtehen oder in zweien. Es
entſtehet aber eine andere Empfindung, wenn entweder in
einerlei Auge die Bilder auf zwei verſchiedene Punkte der
Nezzhaut auffallen, oder wenn in beiden Augen die
Sehwinkel einander ungleich ſind, und folglich unter
Bildern ein Unterſchied iſt (i). Es erhellet auch, daß
das Auge nicht eine andere beſondere Natur habe, da wir
auch mit zwei Naſeloͤchern einen einzigen Geruch, und mit
zwei Ohren einen Schall vernehmen.

Es thut hier die Vereinigung der Nerven nichts, da
dergleichen in Gehoͤrnerven nicht ſtatt findet (k), noch
dieſes bei den Augen der Raupen (l), oder anderer Jnſek-
ten vorkoͤmmt: Noch hierdurch nach Gewohnheit gehandelt
wird, indem die neulich ausgekrochene Biene mit ihren
tauſend Augen eben ſo genau nach dem verlangten Bie-
nenkorbe flieht, als ſie nach langer Erfahrung fliegen
wuͤrde. Und es haben auch diejenigen nicht doppelt geſe-
hen, die mit einem Staare gebohren waren, und ihr
Geſichte ploͤzzlich wieder bekommen. Wenn einige ſchie-

lende
(f) [Spaltenumbruch] VATER.
(g) De la HIRE p. 614. POR-
TERFIELD T. II. pag. 313 MEA-
RA l. c.
(i) [Spaltenumbruch] PLEMP. L. IV. propoſ. 16.
(k) L. XV. p. 299. 300.
(l) vid. p. 351.
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[979/0997] IV. Abſchnitt. Das Sehen. oder von Schlagadern, welche auf die Sehnerven klopfen (f), wohin vielleicht, aber auch zu der weniger veſten Umbeu- gung der Muſkeln in einem einzigen Punkt, die doppelten Bilder der trunkenen und furchtſamen Leuten, indem die- jenigen, welche die Daͤcher hoher Thuͤrmer ausbeſſern, gemeiniglich ſogleich ſchwindlich herunterfallen, wenn ſie Dinge doppelt zu ſehen anfangen. Eben ſo iſt auch das doppelte Sehen beſchaffen, woran der Fehler eines Muſ- kels ſchuld iſt, der ſeine Bewegung verlohren hat (g). Es beziehet ſich alles dieſes darauf, daß wir ein ein- ziges Object ſehen, ſo oft die Empfindungen einander aͤhnlich ſind, doppelt aber, wenn dieſelbe unaͤhnlich ſind, und dieſes geſchiehet ebenfalls, es moͤgen unaͤhnliche Em- pfindungen in einem Auge entſtehen oder in zweien. Es entſtehet aber eine andere Empfindung, wenn entweder in einerlei Auge die Bilder auf zwei verſchiedene Punkte der Nezzhaut auffallen, oder wenn in beiden Augen die Sehwinkel einander ungleich ſind, und folglich unter Bildern ein Unterſchied iſt (i). Es erhellet auch, daß das Auge nicht eine andere beſondere Natur habe, da wir auch mit zwei Naſeloͤchern einen einzigen Geruch, und mit zwei Ohren einen Schall vernehmen. Es thut hier die Vereinigung der Nerven nichts, da dergleichen in Gehoͤrnerven nicht ſtatt findet (k), noch dieſes bei den Augen der Raupen (l), oder anderer Jnſek- ten vorkoͤmmt: Noch hierdurch nach Gewohnheit gehandelt wird, indem die neulich ausgekrochene Biene mit ihren tauſend Augen eben ſo genau nach dem verlangten Bie- nenkorbe flieht, als ſie nach langer Erfahrung fliegen wuͤrde. Und es haben auch diejenigen nicht doppelt geſe- hen, die mit einem Staare gebohren waren, und ihr Geſichte ploͤzzlich wieder bekommen. Wenn einige ſchie- lende (f) VATER. (g) De la HIRE p. 614. POR- TERFIELD T. II. pag. 313 MEA- RA l. c. (i) PLEMP. L. IV. propoſ. 16. (k) L. XV. p. 299. 300. (l) vid. p. 351. Q q q 2

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 979. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/997>, abgerufen am 23.11.2024.