§. 16. Ursache, warum die Thränen in der Betrübniß häufiger zufliessen.
Wir haben von scharfen Dingen überhaupt geredet. Sie fliessen auch vom Kizzeln der Nase zu (h+). Es ist offenbar, daß die Natur keine andere Maschine nö- thig habe (h*), damit sie bei der Berührung eines schar- fen und verlezzenden Körpers häufig zufliessen möge, und daß die Absonderung der Thränen ohne Hülfe des runden Muskels zunehmen könne. Jch habe nämlich gesehen, wenn ich ein salziges Pulver auf die zottige Haut des Grimmdarmes streuete, daß unter meinen Au- gen diese Bekleidung von ganz kleinen Tröpfchen naß wurde. Eben dieses hat auch der ehedem berühmte Meibom(i) an den Augen erfahren; und ich habe es am Speichel, bei Berührung der scharfen cevadilla, nicht ohne Ungemächlichkeit selbst wiederholet. Die Ur- sache, warum diese Absonderung häufiger geschicht, ist noch nicht bekandt, doch scheint sie in den Nerven zu stekken (i*).
Eine andere Ursache kömmt auf den Zufluß des Blu- tes nach dem Kopfe an, wenn solcher plözzlich geschicht. So erzeugen sich die Thränen, und fliessen die Bakken herab, bey übermäßigem Lachen, Niesen, und im Hu- sten, wie ich gar zu oft an mir selbst erfahren muß.
Noch eine andere Ursache beruhet auf eine zarte Lei- denschaft, es mag sich nun selbige mit der Freude, oder mit der Betrübniß vereinigen. So fliessen bei der
Freu-
(h+)[Spaltenumbruch]DUVERNEY p. 137.
(h*) Daß dennoch die Thrä- neugänge erschüttert, aber nicht ausgedrükkt werden BONDEU sur les gland. p. 28.
(i)[Spaltenumbruch]Vas. nov. palpebr.
(i*) Offenbar fließt nach dem Reizze der Nerven der oberen Zähne, die Thräne zu, CHESEL- DEN anat. ed. VI. p. 234.
A a a 3
I. Abſchnitt. Werkzeug.
§. 16. Urſache, warum die Thraͤnen in der Betruͤbniß haͤufiger zuflieſſen.
Wir haben von ſcharfen Dingen uͤberhaupt geredet. Sie flieſſen auch vom Kizzeln der Naſe zu (h†). Es iſt offenbar, daß die Natur keine andere Maſchine noͤ- thig habe (h*), damit ſie bei der Beruͤhrung eines ſchar- fen und verlezzenden Koͤrpers haͤufig zuflieſſen moͤge, und daß die Abſonderung der Thraͤnen ohne Huͤlfe des runden Muſkels zunehmen koͤnne. Jch habe naͤmlich geſehen, wenn ich ein ſalziges Pulver auf die zottige Haut des Grimmdarmes ſtreuete, daß unter meinen Au- gen dieſe Bekleidung von ganz kleinen Troͤpfchen naß wurde. Eben dieſes hat auch der ehedem beruͤhmte Meibom(i) an den Augen erfahren; und ich habe es am Speichel, bei Beruͤhrung der ſcharfen cevadilla, nicht ohne Ungemaͤchlichkeit ſelbſt wiederholet. Die Ur- ſache, warum dieſe Abſonderung haͤufiger geſchicht, iſt noch nicht bekandt, doch ſcheint ſie in den Nerven zu ſtekken (i*).
Eine andere Urſache koͤmmt auf den Zufluß des Blu- tes nach dem Kopfe an, wenn ſolcher ploͤzzlich geſchicht. So erzeugen ſich die Thraͤnen, und flieſſen die Bakken herab, bey uͤbermaͤßigem Lachen, Nieſen, und im Hu- ſten, wie ich gar zu oft an mir ſelbſt erfahren muß.
Noch eine andere Urſache beruhet auf eine zarte Lei- denſchaft, es mag ſich nun ſelbige mit der Freude, oder mit der Betruͤbniß vereinigen. So flieſſen bei der
Freu-
(h†)[Spaltenumbruch]DUVERNEY p. 137.
(h*) Daß dennoch die Thraͤ- neugaͤnge erſchuͤttert, aber nicht ausgedruͤkkt werden BONDEU ſur les gland. p. 28.
(i)[Spaltenumbruch]Vaſ. nov. palpebr.
(i*) Offenbar fließt nach dem Reizze der Nerven der oberen Zaͤhne, die Thraͤne zu, CHESEL- DEN anat. ed. VI. p. 234.
A a a 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0759"n="741"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Abſchnitt. Werkzeug.</hi></fw><lb/><divn="3"><head>§. 16.<lb/>
Urſache, warum die Thraͤnen in der Betruͤbniß<lb/>
haͤufiger zuflieſſen.</head><lb/><p>Wir haben von ſcharfen Dingen uͤberhaupt geredet.<lb/>
Sie flieſſen auch vom Kizzeln der Naſe zu <noteplace="foot"n="(h†)"><cb/><hirendition="#aq">DUVERNEY p.</hi> 137.</note>. Es<lb/>
iſt offenbar, daß die Natur keine andere Maſchine noͤ-<lb/>
thig habe <noteplace="foot"n="(h*)">Daß dennoch die Thraͤ-<lb/>
neugaͤnge erſchuͤttert, aber nicht<lb/>
ausgedruͤkkt werden <hirendition="#aq"><hirendition="#g">BONDEU</hi><lb/>ſur les gland. p.</hi> 28.</note>, damit ſie bei der Beruͤhrung eines ſchar-<lb/>
fen und verlezzenden Koͤrpers haͤufig zuflieſſen moͤge,<lb/>
und daß die Abſonderung der Thraͤnen ohne Huͤlfe des<lb/>
runden Muſkels zunehmen koͤnne. Jch habe naͤmlich<lb/>
geſehen, wenn ich ein ſalziges Pulver auf die zottige<lb/>
Haut des Grimmdarmes ſtreuete, daß unter meinen Au-<lb/>
gen dieſe Bekleidung von ganz kleinen Troͤpfchen naß<lb/>
wurde. Eben dieſes hat auch der ehedem beruͤhmte<lb/><hirendition="#fr">Meibom</hi><noteplace="foot"n="(i)"><cb/><hirendition="#aq">Vaſ. nov. palpebr.</hi></note> an den Augen erfahren; und ich habe es<lb/>
am Speichel, bei Beruͤhrung der ſcharfen <hirendition="#aq">cevadilla,</hi><lb/>
nicht ohne Ungemaͤchlichkeit ſelbſt wiederholet. Die Ur-<lb/>ſache, warum dieſe Abſonderung haͤufiger geſchicht, iſt<lb/>
noch nicht bekandt, doch ſcheint ſie in den Nerven zu<lb/>ſtekken <noteplace="foot"n="(i*)">Offenbar fließt nach dem<lb/>
Reizze der Nerven der oberen<lb/>
Zaͤhne, die Thraͤne zu, <hirendition="#aq">CHESEL-<lb/>
DEN anat. ed. VI. p.</hi> 234.</note>.</p><lb/><p>Eine andere Urſache koͤmmt auf den Zufluß des Blu-<lb/>
tes nach dem Kopfe an, wenn ſolcher ploͤzzlich geſchicht.<lb/>
So erzeugen ſich die Thraͤnen, und flieſſen die Bakken<lb/>
herab, bey uͤbermaͤßigem Lachen, Nieſen, und im Hu-<lb/>ſten, wie ich gar zu oft an mir ſelbſt erfahren muß.</p><lb/><p>Noch eine andere Urſache beruhet auf eine zarte Lei-<lb/>
denſchaft, es mag ſich nun ſelbige mit der Freude, oder<lb/>
mit der Betruͤbniß vereinigen. So flieſſen bei der<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A a a 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Freu-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[741/0759]
I. Abſchnitt. Werkzeug.
§. 16.
Urſache, warum die Thraͤnen in der Betruͤbniß
haͤufiger zuflieſſen.
Wir haben von ſcharfen Dingen uͤberhaupt geredet.
Sie flieſſen auch vom Kizzeln der Naſe zu (h†). Es
iſt offenbar, daß die Natur keine andere Maſchine noͤ-
thig habe (h*), damit ſie bei der Beruͤhrung eines ſchar-
fen und verlezzenden Koͤrpers haͤufig zuflieſſen moͤge,
und daß die Abſonderung der Thraͤnen ohne Huͤlfe des
runden Muſkels zunehmen koͤnne. Jch habe naͤmlich
geſehen, wenn ich ein ſalziges Pulver auf die zottige
Haut des Grimmdarmes ſtreuete, daß unter meinen Au-
gen dieſe Bekleidung von ganz kleinen Troͤpfchen naß
wurde. Eben dieſes hat auch der ehedem beruͤhmte
Meibom (i) an den Augen erfahren; und ich habe es
am Speichel, bei Beruͤhrung der ſcharfen cevadilla,
nicht ohne Ungemaͤchlichkeit ſelbſt wiederholet. Die Ur-
ſache, warum dieſe Abſonderung haͤufiger geſchicht, iſt
noch nicht bekandt, doch ſcheint ſie in den Nerven zu
ſtekken (i*).
Eine andere Urſache koͤmmt auf den Zufluß des Blu-
tes nach dem Kopfe an, wenn ſolcher ploͤzzlich geſchicht.
So erzeugen ſich die Thraͤnen, und flieſſen die Bakken
herab, bey uͤbermaͤßigem Lachen, Nieſen, und im Hu-
ſten, wie ich gar zu oft an mir ſelbſt erfahren muß.
Noch eine andere Urſache beruhet auf eine zarte Lei-
denſchaft, es mag ſich nun ſelbige mit der Freude, oder
mit der Betruͤbniß vereinigen. So flieſſen bei der
Freu-
(h†)
DUVERNEY p. 137.
(h*) Daß dennoch die Thraͤ-
neugaͤnge erſchuͤttert, aber nicht
ausgedruͤkkt werden BONDEU
ſur les gland. p. 28.
(i)
Vaſ. nov. palpebr.
(i*) Offenbar fließt nach dem
Reizze der Nerven der oberen
Zaͤhne, die Thraͤne zu, CHESEL-
DEN anat. ed. VI. p. 234.
A a a 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 741. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/759>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.